Kapitel 4
Euphorien
Henry erwachte auf weichem Untergrund. Dort war es gemütlich und warm. Für nichts und Niemanden auf der Welt würde er diesen Ort je wieder verlassen. Die Ruhe war ein Geschenk, das er dankbar und mit offenen Armen entgegennahm.
Fest stand jedenfalls, dass er sich nicht mehr bei Enórtis und auch nicht mehr im Klassenraum befand. Sein Gedächtnis fühlte sich benebelt an und schwindelig war ihm auch. „Nicht wieder übergeben", beschwor Henry sich und setzte sich auf.
Ein schummriges Zimmer lag ihm vor Augen welches er spärlich als sein Eigenes erkannte.
.Sein Atem ging flach aber mit erstaunlicher Schnelligkeit rappelte er sich hoch und wurde sogleich von tausend auf ihn einfallenden Erinnerungen konfrontiert. „War das Wirklichkeit?", fragte Henry sich laut und vor Entsetzen schier gelähmt.
„Aber meine Träume sind noch nie real geworden. Nie haben sich meine Träume auf irgendeine Weise negativ ausgewirkt, oder doch?"
Vergeblich wartete Henry auf eine Antwort. Stattdessen begann sein Unterbewusstsein sich zu regen. Wie in Trance, (aber mit genauso viel Hohn), säuselte es. Wie oft soll ich es dir noch sagen! Sag niemals nie. Aber so einem Dummkopf wie dir kann man nicht mehr helfen
Wer in sich in Angelegenheiten einmischt, die im Zusammenhang zu dunklen und schwarzen Mächten stehen ist nicht mehr zu helfen.
Jetzt wurde Henry richtig wütend und schnauzte laut: „Auch wenn du nur mein bescheuertes Unterbewusstsein bist gebe ich dir einen guten Rat: Halt dich aus meinen Angelegenheiten raus, Betonung auf meinen! Du ahnst nicht wie du mich mit deinem niemals nie nervst!" Er hatte sich in Rage geredet und bekam nun einen wahren Wutanfall. Beherrsche dich, raunte ihm eine sanfte Stimme in seinem Kopf zu. Bald wird alles besser sein. Beschäftige dich mit dem aktuellen und wichtigen.
„Ist ja gut", grummelte Henry vor sich hin und ließ das Thema „Unterbewusstsein" fallen wie eine heiße Kartoffel. „Aber jetzt mal zu den richtigen Problemen", fing er an zu grübeln und wippte energisch mit dem Kopf hin und her. „Wie kann ein Traum, auch wenn es einer von Enórtis ist mich in mein Zimmer teleportieren?! Es war ein normaler Traum, außer . . . außer dass irgendwie alle Sachen ziemlich real sind. Eigentlich würde es mich gar nicht wundern wenn ein so merkwürdiger Traum echt ist und Träume wie meiner teleportieren können. Dass es Magie gibt, hatte ich schon vorher im Gefühl12
Denk logisch, Henry, ratterte es in ihm. Gibt es Magie wirklich? Auch ohne Beweise war Henry sich ziemlich sicher, dass es sie gab. Irgendwo verborgen, wo keine Sterbensseele sie finden konnte. Seine früheren Erlebnisse waren nun endliche erklärbar.
„Nehmen wir an", schloss Henry alles zusammen, „mein Traum war völlig real, es gibt Enórtis, sprich das Spiegelwesen, diesen komischen Humphrey Sandersson und Xedjaan. Die Kräfte mit denen Enórtis umspringt sind gänzlich Zauberei zuzuschreiben. Jedenfalls besitzt er viel Macht.
Müsste es dann nicht auch so eine Art Magier-Gemeinschaft geben?" Entschlossen etwas über derartige Dinge heraus zu finden blätterte er kurze Zeit später in seinem Geschichtsbuch herum. Keine einzige brauchbare Information. „Jetzt muss ich den Computer doch noch anschalten", stöhnte Henry, tat es aber. Er wollte alles Erdenkliche daran setzen etwas Gescheites herauszufinden Als er dabei über das Wort magischer Zirkel stolperte stutzte er. „Zirkel bedeutet auf Englisch Kreis, nur anders geschrieben", durchdachte Henry die Situation.
Erst mochte ihm nicht bedeutendes in den Sinn kommen doch dann fiel es ihm wie Tomaten von den Augen. Wenn er seine Erinnerungen an den heutigen Tag erneut durchging blieben seine Gedanken an einem Bild von Mr Catcher, umgeben von Symbolen hängen. „Ein unendlicher Kreis", ging Henry ein Licht auf.
Aber dann war es mit dem Wissen schon vorüber. Das Wort „magischer" war übrig geblieben. „Unendliche Magie?", riet Henry war sich jedoch sicher dass er leider, nicht ins Schwarze getroffen hatte. „Unendliche magische Kreise?" Doch schon beim Aussprechen sah er ein das dieser Name falsch war. Wie wäre es mit „unendliche magische Gemeinschaft, schlug eine Stimme, wohlgemerkt nicht das Unterbewusstsein vor. Das heißt dass grade diese Gemeinschaft unauslöschbar ist und sie nicht vernichtet werden kann. Immer wieder kommen neue Kreaturen und Wesen auf die Welt die jene Kunst der Magie ausüben können!
Wie nett dass du mir das erst jetzt sagst, murrte Henry gab sich jedoch schließlich zufrieden.
Viel mehr Zeit zum Nachdenken wäre ihm ohnehin nicht geblieben, denn plötzlich hörte er eine schrille Stimme rufen: „Henry, bist du schon da? Komm doch mal, bitte!" Genervt rollte Henry mit den Augen und stampfte frustriert mit dem Fuß auf. „Nie kann ich mal für mich sein", murrte er und rief gleichzeitig seiner Mutter zu. „Warte kurz, ich komme!" Alle Eile war geboten und somit stopfte Henry das Geschichtsbuch und das Lexikon zurück in seine Schultasche. Anschließend fuhr er den Computer herunter und zog den Stecker heraus. Die Stimme seiner Mutter klang ihm im Kopf. „Wir müssen sparen und dazu gehört auch der Strom", hatte sie gesagt und Henry hatte mit den Augen gerollt und erwidert: „Ist ja gut. Ich spare alles was ich habe!"
Er blickte quer durch den Raum aber seine Gedanken schweiften ab und kehrten zu den merkwürdigen Ereignissen des Nachmittags zurück. „Nie werde ich diesen ganzen Zauberkrams verstehen", gab der erschöpfte Junge die Hoffnung leise auf. Henry öffnete die Tür und schlich die Treppe hinunter. „Mum, wo bist du?", rief er und drehte sich wild im Kreis.
Die Luft umzüngelte ihn und beinahe hätte der geheimnisvolle Sog Henry mit sich gerissen. Hilfe, dachte Henry und schloss beherzt die Augen. Wo komme ich denn jetzt wieder hin? Ein eisiger Windhauch durchstrich sein Haar und ließ ihn in seiner Bewegung erstarren.
Das kann nicht sein, beantwortete Henry die Frage die sich daraus ergab. Der Gedanke der ihm durch den Kopf geschossen war erinnerte ihn an etwas Bestimmtes. Nicht an Enórtis oder derartige Dinge, nein! An seinen Traum, den er so sorgfältig skizziert hatte. Dort war ein gähnender Abgrund vorgekommen, vermummte Gestalten und das kleine Kästchen das er, Henry, gefunden hatte. Und an genau dieser Schlucht stand er jetzt, und sah wie sie ihn schmierig angrinste.
Eisig kalter Wind wehte unablässig und ein Sog ruckte an Henry das es ihm die Beine wegzog. Immer schneller raste er auf den Abgrund zu, hörte das mysteriöse Trommelschlagen, das ihm furchtbar in den Ohren dröhnte. Eine leise Stimme bildete sich aus all dem Chaos und Henry hatte das Gefühl er müsse die Person der diese Stimme gehörte dringend persönlich kennenlernen. Vielleicht kann sie mir helfen, aus diesem Höllenschlund zu entfliehen, war Henrys letzter Gedanke.
Als er erwachte war ihm seine Umgebung völlig fremd. Wenn er solche Anfälle bekam erwachte Henry meist auf der Couch oder in seinem gemütlichen Bett. Verstört fasste er sich an den Kopf und stutzte. Da Henry auf steinharten Boden gefallen war hatte er damit gerechnet so etwas wie eine Gehirnerschütterung oder wenigstens eine Platzwunde erlitten zu haben. Doch anscheinend war nichts dergleichen eingetreten. Grade als er sich aufsetzen wollte schoss ein höllischer Schmerz durch seinen Knöchel und erst in diesem Augenblick bemerkte er das sein Fuß dick eingebunden und mit merkwürdig aussehenden Blättern umwickelt war.
Seltsam, dachte er. Wo bin ich hier bloß gelandet? Plötzlich ertönten Schritte aus dem Nebenzimmer und blitzschnell sank Henry zurück in die Kissen. Jeder der ihn hier sah sollte glauben er schliefe tief und fest. „Der Junge schläft immer noch seinen Rausch aus", ließ sich eine raue tiefe Stimme vernehmen. Rausch? Fast wäre Henry vor Empörung hochgefahren. Was dachte sich diese Person zu behaupten er hätte einen Rausch auszuschlafen! „Ist denn sicher dass er geheilt ist? Was machen wir wenn er nun doch vom Bösen besessen ist und . . . und keine Seele mehr in sich trägt?!", erklang eine zweite lautere Stimme gleich neben Henry. Er spürte den prickelnden Blick auf sich haften. Weiche warme Hände betasteten ihn und drehten den Jungen auf die Seite. „Joanna, sei dir versichert! Henry trägt nichts Böses in sich und besitzt eine Seele die so rein ist wie kaum eine auf Erden.", versicherte die raue Stimme. Gespannt hielt Henry den Atem an und lauschte dem Gespräch das sich vor seinen Augen, oder besser gesagt vor seinen Ohren, abspielte.