Vor 31 Tagen blieb die Zeit stehen.
Yuno war müde. Müde und verängstigt.
Einen Monat war es her, seitdem sie mit jemanden gesprochen hatte, seitdem sie den Wind auf ihrer Haut gespürt hatte und seitdem sie die Sonne am Horizont verschwinden sah. Nun saß sie auf der Schaukel, am Spielplatz zwei Straßen von zu Hause entfernt, und schwang gedämpft einen Schritt vor und zurück. Neben ihr war ein Junge, etwa zwei Jahre jünger als sie es war. Seiner Mimik entnehmbar war ein Lachen – man konnte den Spaß den er hatte auf Anhieb sehen. Was Yuno jedoch sah, war kein lachendes Kind. Sie sah den Rücken eines Jungen, welcher in der Luft stecken geblieben war. Die anderen lachenden Kinder im Sandkasten sahen für Yuno so aus, als würden sie keine Luft mehr bekommen. Aus diesem Grund, schaute sie auf ihre Füße, die im gleichen Takt sich als Einziges an diesem Ort bewegten.Yuno konnte sich die Lage in der sie sich befand nicht erklären. Mit ihren 11 Jahren erhoffte sie sich stets von den Erwachsenen geleitet zu werden, wie sollte sie sich denn ein so eigenartiges Phänomen alleine erklären?
Vielleicht waren es Feen, vielleicht war es Gott, so dachte sie. Wem sollte sie um Hilfe bitten?
Sie hatte viele Fragen, deshalb entschloss sie sich den Dingen auf den Grund zu gehen.
Einmal war Yuno mit ihrem Vater campen. Ihr Vater liebte Unternehmungen in der Natur. Das, und asiatische Horror-Filme.
»Wenn man alleine auf einer Insel ist oder im Dschungel oder so, was muss man da dann machen?«, fragte Yuno voller Neugierde im Zelt.
»Mal sehen.. Du kannst nicht wissen wie lange du dort bleibst, also ist es wichtig für Nahrung zu sorgen. Du solltest es dir gut einteilen. Nächster Punkt wäre, deine Umgebung gut zu kennen. Was weißt du über die Umgebung? Wo ist es sicher und wo musst du aufpassen? Wenn da zum Beispiel Tiere sind, solltest du dich nicht mit ihnen anlegen.«
»Hmm. Aber ich dachte, wenn ich mich mit den Tieren anfreunde, hab' ich bessere Chancen, so wie Tarzan. Ist doch bestimmt langweilig so ganz allein.«, ein Runzeln entstand auf Yunos kleiner Stirn.
»Langeweile, hm? Ich glaube eher, wenn man ganz allein ist, sollte man aufpassen nicht verrückt zu werden.. Genau, als dritter Punkt ist es wichtig die Motivation beizubehalten. Du musst überleben wollen.«Wer hätte gedacht, dass nur wenige Jahre später Yuno tatsächlich auf einer "einsamen Insel" stranden und die Ratschläge ihres Vaters brauchen würde?
An Nahrung fehlte es Yuno nicht. Auch wenn sie nicht kochen konnte, aß sie zu Hause Fertiggerichte.
Sicherheit war kein Problem. Die Umgebung war ihr vertraut und zur gleichen Zeit am fremdesten. Yuno galt zwar als Kind, aber an Verstand fehlte es ihr nicht. Ganz im Gegenteil, Yuno besaß eine überraschend gerissene Scharfsinnigkeit für ihr Alter.
Nach nur wenigen Stunden, nachdem die Zeit stehen blieb, fiel ihr auf, dass die Zeit nicht wirklich eingefroren war. Schließlich bekam sie Hunger und wurde müde. Zunächst schien es kompliziert, doch je mehr sie darüber nachdachte desto mehr Sinn machte es.
Ungefähr soviel begriff sie: Für alles um sie herum war die Zeit gestoppt, wie dem auch sei, galten alle Regeln der Natur für Yuno. Zum Beispiel Gravitation. Wenn Yuno einen Gegenstand, der vermeintlich in seiner Zeit eingefroren war, nahm und den Griff lockerte, fiel er zu Boden. Mit anderen Worten, erzwang sie das weiterlaufen der Zeit. Das bedeutete also, dass Yuno Auswirkungen auf die Umgebung hatte, obwohl diese keine auf sie haben konnte. Nach dieser Erkenntnis, führte die 11-jährige weitere Tests durch. Alle Fernsehsender blieben eingefroren, jedoch liefen DVDs sowie Kassetten einwandfrei. Jede Elektronik schien zu funktionieren, so kam Yuno schnell auf die Idee eine Digitalarmbanduhr mit funktionierenden Batterien zu holen. Nach einem Knopfklick lief die Zeit wieder, oder zumindest an ihrem schmalen Handgelenk.
Erst dieser Anblick brachte Yuno das erste Mal in dieser neuen Welt zum Lächeln.Dem viel-zu-ruhigem Spielplatz den Rücken kehrend, nahm sich Yuno ihr rosanes Fahrrad und radelte los. Auf der Straße war sie extrem aufmerksam, da sie angst hatte, dass die Zeit weiterlaufen könnte und die Autos plötzlich wieder Gas geben würden.
Ihr Ziel erreichte sie an einem großen Gebäude mit einer großen grünen Tür als Eingang. Yunos Schule.
Es gab immer noch Kinder, die wegen ihrer arbeitenden Eltern in der Schule waren.
»So, wer erklärt mir, wie man diese Rechnung löst?«
Das 11-jährige Mädchen stand an der Tafel, den Zeigestock in beiden Händen.
»Kommt schon Leute. Es ist eigentlich ganz einfach!«
Vor ihr eine Gruppe Gleichaltriger, sitzend...
»Wie wärs mit dir Billy? Oder vielleicht Tessa?«
...und den Blick nach Vorne richtend.
»Irgendjemand..?«Der dritte Ratschlag ihres Vaters erwies sich als schwer.
Schmerzhaft schwer.
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Das nullte Gesetz der Zeitlosen
ParanormalDie Welt, die stehenblieb und das Mädchen, das weiterlief.