3. - Louis||Es gab bisher wenige Momente in meinem Leben, in denen ich wirklich sprachlos gewesen war, doch wenn dann waren es Momente, die mir nebenbei noch den Atem raubten. Es waren Momente, in denen ich meinen Augen keines Wegs traute und zu glauben schien, ein Trugbild wäre vor mir, welches mich täuschen und mir zeigen wolle, was man mit Illusionen alles in einem anstellen konnte. Und das hier, dieser Moment, war eines dieser Dinge.
Ich konnte nicht glauben, was ich sah und was ich hörte jagte mir einen Schauer über den Rücken. Am liebsten würde ich mich kneifen, um zu testen ob dies echt wäre, ob das, was ich sah, echt wäre, doch ich wusste genauso wie alle anderen hier in diesem Raum, dass es dies leider war.
Er stand da und sah mich an, musterte mich und erwartete eine Reaktion von mir, die ihm zeigte, dass auch ich echt war. Ja, das war ich leider und dies wusste er. Er wusste es, indem er seine grün leuchtenden Augen über mich gleiten ließ und sich über die Lippen leckte, während er mit verschränkten Armen dastand und nichts tat, außer den Blickkontakt halten zu wollen. "Ich hoffe dir gefallen die Sachen", hörte ich ihn mit tiefer Stimme sprechen. Sein Mundwinkel zuckte und das Blau in meinen Augen verengte sich. "Sie passen zu dir und machen..deiner Figur alle Ehre." Ich ekelte mich, denn Komplimente von ihm wollte ich nicht, mochte ich nicht. Ich hasste sie, doch ich wusste, dass er niemals damit aufhören würde.
"Komm mit mir, Louis", sprach er zart, dennoch bestimmend. Er streckte eine seiner Hände aus und hielt sie mir hin, trotz unserer minimalen Entfernung. Ich zögerte, denn ich wollte nicht mit. Ich wollte mich ihm keines Wegs unterwerfen, doch ich dachte, dass es vorerst besser wäre, würde ich tun was er sagt, denn ich wusste wie er werden konnte, wenn ich es nicht tat.
"Du kennst die Regeln, Kitten, komm."
Ich seufzte und legte die Scherben, die ich in meiner linken Hand hielt und schon aufgesammelt hatte, in die viel größere Hand von Benji, worauf ich im Augenwinkel sah, dass Harry die Stirn in Kraus zog. Er hatte keinen Grund eifersüchtig zu sein, denn er hatte sowieso keine Chancen. Und diese würde er auch niemals haben.
Mit geknickter Haltung stand ich auf und sah zu Boden, als ich auf ihn zulief. Ich hielt es nicht einmal für nötig den anderen beiden auf Wiedersehen zu sagen, sondern folgte Harry sogleich aus der Tür und betrachtete seine Schuhe, die noch immer einen Absatz hatten. Ich fragte mich, wozu er das Zeug eigentlich benötigte, denn er war groß genug, um ohne diese Dinger auszukommen.
Ich verschwendete keinen weiteren Gedanken mehr an seine Schuhe, sondern dankte ihm innerlich, dass er Gemma nicht auch noch mitgeschleppt hatte. Ich konnte sie bis auf den Tod nicht ausstehen und wünschte mir, dass ich sie nicht all zu oft vor Gesicht bekam.
Harry sprach nicht und auch ich tat es nicht, denn mir war nicht dazu zumute und er verdiente meine Wörter nicht. Ich lief ihm einfach schweigend hinterher und bemerkte, dass dies jeglich ein einfaches, bis jetzt riesiges, Haus war. Ich lief an Fenstern vorbei, die mir ein wundervolles Blumenfeld zeigten und an wirklich schön gestalteten Bildern, die an der Wand hingen und mich für einen kleinen Augenblick glücklich stimmten. Ich war zu verwundert und als Harry mich in einen Fahrstuhl führte, der aus Glas war, traute ich meinen Augen kaum. Alles war wunderschön, doch leider machte mir der Gedanke, der glaubte am Ende der Welt angekommen zu sein, sehr, sehr viele Sorgen.
Als ich erneut hinaus auf das Blumenfeld sah, erkannte ich ebenso einen Teich, in dem Seerosen waren und ich hoffte, dass auch Fische in ihm waren. Es erstaunte mich so sehr, die Veränderung war verblüffend, ja sogar atemberaubend, allerdings wurde mir schlecht, desto öfter ich daran dachte, dass das nichts Gutes verheißen mag. Man könnte sagen, dass dies für mich das perfekte Paradis sei und vielleicht war es das auch, jedoch sah ich es nicht. Mir schwebte übles im Kopf und ich dachte daran, was Harry alles mit mir machen könnte, schon getan und vielleicht noch vorhatte. Wie er mir wehtun würde, mich fesseln und mich schlagen würde. Mir sagen würde, wie nichtig und klein ich doch wäre.
Ich hielt den Atem an, denn all das gerade geschah in Sekundenschnelle. Harry drückte den Knopf, der uns ins oberste Stockwerk beförderte und schon fuhren wir nach oben. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit, als ich erneut auf den Teich sah und ich dachte daran, wie Harry meinen Kopf unter Wasser drückte. Jetzt mochte ich den Teich nicht mehr und die Fische und die Seerosen waren unwichtig.
Ich spürte die mächtige Präsenz von Harry in meinem Rücken und hörte Schritte, wie er sich mir näherte. Er presste seinen Rücken an meinen und legte seine rechte Hand an meine Hüfte, ließ den Daumen darüber kreisen. Ich stand da, mit verschränkten Armen, wie Harry wenige Minuten zuvor und wartete auf den Moment danach. Ich wartete, während mein Herz raste und ich glaubte zu ertrinken, denn ich hielt den Atem an. Ich dachte an den Teich und dachte daran, wie er sich in einen See verwandelte und wie ich darin langsam sank. Ein Stein wäre an meinem Fuß mit einem Seil gebunden und das Letzte, was ich sehen würde, wären seine grünen Augen, wie sie mir folgten. Sie folgten mir bis in den Tod.
Lippen platzierten sich an meinem Ohrläppchen, striffen es kurz. Ein heißer Atem kitzelte mich und wären es nicht Harry und ich, so könnte man denken, es wäre eines der romantischsten Dinge, die hier in diesem Fahrstuhl passierten. "Das alles gehört jetzt zu dir, Louis. All das gehört jetzt zu deinem neuen zu Hause und bald auch vollständig dir", wisperte der Grünäugige und wieder bekam ich eine Gänsehaut. Man möchte sagen, dass das kreisförmige Streichen an meiner Hüfte mir zur Beruhigung verhelfen mochte, doch das tat es nicht. Es machte mich irre und ich fragte mich, wann er wohl damit aufhören wolle. "Ich weiß, dass du Blumen liebst, deswegen ließ ich welche pflanzen. Ebenso habe ich eine Bibliothek mit all deinen Lieblingsbüchern einrichten lassen und viele mehr. Du darfst wann immer du willst und wo immer du willst lesen, Louis, es sei denn ich verbiete es dir. Du darfst dich innerhalb dieser Mauern überall bewegen, doch wenn ich dich brauche, dich bei mir haben will, musst du bereit sein alles stehen und liegen zu lassen, um zu mir zu kommen, denn so tut das ein Gatte nun mal", sprach er und schlang seine kräfrigen Arme um mich. "Dort hinten", sagte er und zeigte geradeaus, "hat dein Freiraum ein Ende. Dort hinten sind die Mauern, die dich beschützen. Die unsere Liebe beschützen werden." Und tatsächlich sah ich, dass sich dort, wo er eben noch hinzeigte, eine riesige Mauer befand. Mir blieb das Herz stehen. Das konnte nicht sein, es wäre unmöglich diese Mauern zu erklimmen. "Unser Märchen wird zu Ende geschrieben, Baby", ertönte Harry's Stimme rau, "und niemand wird dies jetzt jemals noch verhindern können."
Der Fahrstuhl stoppte und mein Herz begann wieder Blut durch meine Adern zu pumpen. Harry hielt mir seine Hand vor die Nase, in welche ich zögernd und zitternd meine in seine legte. Mit schlotternden, dennoch sich taub anfühlenden Beinen führte er mich hinaus, geknickt lief ich ihm hinterher und realisierte, was er tat. Er sperrte mich in seinem Schloss ein, in welchem die Mauern zu hoch, mein Mut zu wenig, er zu mächtig und ich zu mikrig waren. Er wollte mich in sein Schloss sperren, in sein Märchen.
Ich las darüber. Viele, viele kranke Menschen stellten sich oft vor in einer dieser Welten zu sein. In Welten aus ihrem Kopf zu sein und dass dort all die Dinge seien, die sie sich erträumten. Ob Harry auch so dachte? Träumte Harry auch von Welten und ihren Dingen? Falls Harry dies tat, dann ist wohl seine Welt ein Märchen. Ein grausames, ungeliebtes Märchen ist seine Welt, mit mehr Sorgen als Freude und mehr Hass als Liebe.
Er führte mich in einen Raum, der durch die Sonne beleuchtet war, welche durch die riesigen und breiten Fenster schien. Es stand ein kleiner Tisch am Rand des Raumes, auf welchen er deutete und mir den Stuhl ranschob, als ich mich setzte. Er tippte etwas in sein Handy, während er sich ebenfalls gegenüber von mir nieder ließ.
Ich sah ihn nicht an. Das Einzige, was ich von ihm sah, waren seine Bewegungen im Augenwinkel, denn ich sah nach draußen. Von den Blumen zu dem Teich und zu der Mauer.