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E L E N A

Heute war ein schlechter Tag. Ich hatte es schon am Morgen bemerkt, als ich aufgewacht war. Das Frühstück war noch schlimmer gewesen als gestern und meine Mutter war mit einer ekelhaft guten Laune aufgetaucht und hatte verkündet, dass wir bei ihrer Busenfreundin Eva unterkommen konnten. Ich hatte eigentlich nichts gegen Eva, aber ich hasste es, dass sie so eine Tratschtante war. Sie zog viel über andere her und erzählte jedes Geheimnis weiter. Mama hatte natürlich immer das Aktuellste aus dem hohen Business und gab es an Eva weiter, sodass am Ende jede Affäre, die eigentlich unterm Tisch bleiben sollte, weil es um einen wichtigen Geschäftspartner meines Vaters ging, öffentlich war. Doch diese Information war noch nicht die schlimmste für mich. Vor wenigen Minuten war nämlich die Ärztin gekommen und hatte mir gesagt, dass sie heute einige Schichten der verbrannten Haut abtragen würden. Das musste gemacht werden, damit das gesunde Gewebe besser verheilen konnte, da ich wohl irgendwie mit einer Säure in Kontakt gekommen war, als mein Rücken offen gewesen war. Man hatte mich bereits vorgewarnt, dass das extrem schmerzhaft werden würde, aber es ließ sich nicht ändern. Schon jetzt hatte ich unglaubliche Angst und sie wurde noch größer, als einige Schwestern das Zimmer betraten und mich in ein Behandlungszimmer schoben. Dann wurde mir etwas gespritzt und ich dämmerte kurz weg. Als ich wieder aufwachte lag ich auf dem Bauch und spürte frische Luft an meinem Rücken. Die Stimme der Ärztin drang an mein Ohr. "Elena, wir fangen jetzt an." Ich nickte leicht und versuchte mich irgendwie zu beruhigen. Panisch biss ich die Zähne aufeinander, welche jedoch sofort auseinandergerissen wurden, als zum ersten Mal die Pinzette angesetzt wurde. Ein schriller Schrei entfuhr mir, der Schmerz zuckte durch meinen ganzen Körper und Tränen stießen mir in die Augen. "Ich weiß, dass es weh tut Elena, aber du musst bitte versuchen still zu halten." Die Ärztin murmelte irgendetwas und kurze Zeit später spürte ich eine Spritze. Offensichtlich ein Beruhigungsmittel, denn ich spürte wie ich ruhiger wurde und meine Gliedmaßen schwerer. Erneut setzte sie die Pinzette an und wieder durchzuckte mich ein Schmerz, von dem ich mich fast übergeben musste. Ich schrie wie am Spieß, wusste nicht, was ich sonst tun konnte und machte mir nicht einmal die Mühe die Tränen aus meinem Gesicht zu wischen.

Gefühlte Stunden schrie ich, mittlerweile war ich fast heiser und wurde regelmäßig von heftigen Hustanfällen durchgeschüttelt. Ich wünschte mir nur noch, dass ich endlich ohnmächtig werden würde, aber meine Bitte wurde nicht erfüllt. Gerade war eine Pause und die Ärztin hatte kurz den Raum verlassen. Jetzt stellte sie sich neben mich. "Elena, pass auf. Du hast mir doch von deinem Freund Andi erzählt, erinnerst du dich? Wir haben es geschafft, ihn über Skype zuzschalten. Wenn er während der Behandlung mit dir redet, denkst du, dass du es dann besser schaffst?" Ich nickte. Eigentlich war mir egal, was sie damit erreichen wollte, für mich zählte nur, dass ich Andi sehen würde. Es vergingen etwa zehn Minuten, dann wurde ein iPad vor mein Gesicht gehalten. Blaue Augen musterten mich besorgt. Er trug die grüne Team-Jacke und seine lilane Milka-Mütze. "Hey, kleiner Pechvogel." "Hi", antwortete ich kratzig. "Die Ärztin hat mir alles erklärt, wir schaffen das jetzt zusammen, okay?" Ich nickte, auch wenn ich eigentlich etwas anderes machen wollte. Die Ärztin informierte uns, dass sie jetzt weitermachen würde. In der nächsten Sekunde entwich mir ein schmerzverzerrter Schrei, der jedoch unterbrochen wurde, als meine Stimme versagte. "Sch, Elena, alles gut. Hörst du meine Stimme? Konzentrier dich nur auf meine Worte, vergiss die Behandlung." Ich versuchte nicht mehr zu schreien, sondern wimmerte und schluchzte nur noch. Während Andi mir jetzt von Norwegen erzählte, schrie ich noch ab und zu auf, aber es ging deutlich ruhiger als vorher. Mittlerweile tat mir der Kopf vom vielen Weinen weh, aber ich hielt es aus. Irgendwie ging es. Neben Andi erschien jetzt Markus auf dem Bildschirm. Er flüsterte kurz mit Andi und ich hörte heraus, dass Andi eigentlich zum Training gemusst hätte. Er schickte Markus jedoch weg und widmete sich wieder mir. Er redete einfach irgendwas und ich versuchte mich darauf zu konzentrieren. Seine Stimme war unglaublich beruhigend und ich hatte mich mit der Zeit immer besser unter Kontrolle. Und dann war es endlich geschafft. "Wir sind fertig. Das hast du toll gemacht." Als hätte sie mit diesen Worten einen Schalter umgelegt, wich die Anspannung aus meinem Körper und ich brach bitterlich weinend auf dem Bett zusammen. Wieder wurde ich kurz in den Schlaf gespritzt und als ich aufwachte, war das iPad mit Andi weg und ich wieder in einen Verband gewickelt. Erschöpft rollte ich mich etwas zusammen und schloss die Augen erneut. Als ich in meinem Zimmer angekommen war, schlief ich bereits.


A N D I

Zitternd legte ich das iPad zur Seite und wischte mir übers Gesicht. Kleine Schweißtropfen standen mir auf der Stirn und salzige Spuren zierten mein Gesicht. Die letzte Stunde war die schlimmste meines Lebens gewesen. Elenas Schreie hallten mir noch immer in den Ohren nach und auch ihr rotes, verheultes und vor Schmerz verzogenes Gesicht ließ mich nicht los. Schnell brachte ich das iPad auf mein Zimmer, spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und ging dann zu den anderen, die am Trainieren waren. Entgegen dem, was ich normalerweise machte, ließ ich mich neben Markus auf den Boden fallen und dehnte mich und versuchte halbwegs seine Verrenkungen nachzuahmen. "Alles okay?", erkundigte er sich. Ich schüttelte den Kopf. "Das war so schrecklich. Ich wünschte, ich hätte richtig da sein können, um ihre Hand zu halten oder so." "Ich versteh dich. Mir hat schon der eine Schrei gereicht, den ich gehört habe. Das muss Folter gewesen sein." "Das war es auch. So ganz hab ich auch nicht verstanden wieso sie nicht komplett betäubt werden konnte, sondern nur etwas Beruhigungsmittel bekommen hat." "Hm, aber jetzt lässt es sich sowieso nicht mehr ändern. Also komm, lenk dich ab. Du willst doch endlich mal wieder Krafti schlagen." Er boxte mich leicht gegen die Schulter und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, welches ich schwach versuchte zu erwidern, bevor ich meine Jacke und die Mütze auszog und mit dem richtigen Training begann. Elena verließ meine Gedanken jedoch keine Sekunde.

Und er flog mit mir über den AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt