>Scheiße, scheiße, scheiße. Scheiße, verdammte!< Ich hatte keine Ahnung, was genau ich noch schrie. Oder wohin ich lief. Ehrlich gesagt war mir das auch egal. Hauptsache ich kam weg von diesem Haus und weg von Ellen. Das war das einzige Ziel, das ich hatte. Denn in diesem Moment, als Ellen mir die Wahrheit versuchte beizubringen, kam in mir ein solcher Hass auf, wie ich ihn noch nie gespürt hatte. Er schien mich zu überrollen. Mich unter sich begraben zu wollen, sodass ich nie wieder an die Oberfläche kommen könnte. Dabei konnte ich gar nicht wissen, ob dieser Hass mein Hass war. Ob der Drang zu rennen wirklich mein Drang war. Ob mein Leben wirklich meines war. Allein der Gedanke daran, es könnte nicht so sein, machte mich wahnsinnig. Die Vorstellung eine Seele in mir zu haben, die nur ihre Erinnerungen wiedererlangen musste, war verrückt. Genauso wie Ellens Anmerkung es wäre die Seele eines bösen Magiers von vor 2000 oder 3000 Jahren. Verrückt, einfach nur verrückt. Diese ganze Situation war verrückt. Ich hätte mir gar nicht über solche Dinge Sorgen machen sollen. Hätte ein stinknormales Leben leben sollen zusammen mit meinen Freunden. Wen interessierte schon Magie? Wer glaubte schon noch an so etwas? Bisher hatte mir die Magie mehr Probleme bereitet als mein Charakter. Wenn es denn wirklich mein Charakter war.
Ich fand mich selbst und meine Beherrschung irgendwann auf dem Friedhof wieder, als ich gerade dabei war einen der Metallmülleimer zu zertreten. Er war bereits zerbeult und lag auf den Steinen. Ich sah eine gefühlte Ewigkeit auf ihn herab, fühlte mich, als wäre ich derjenige der zerbeult am Boden liegen würde. >Hast du dich etwas beruhigt?< Erschrocken darüber so plötzlich angesprochen zu werden, jagte ich herum, nur um dort Anna zu sehen. >Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken<
>Hast du aber<, erwiderte ich, meine Augen immer noch weit aufgerissen und auf ihr Gesicht geheftet. >Warum bist du mir gefolgt?< Sie lächelte mich warm an.
>Du bist hier fremd und es ist dunkel. Außerdem kenne ich meine Mutter. Sie ist nicht gerade feinfühlig< In einer normalen Situation hätte ich jetzt gelacht. Hätte ihr gesagt, dass ich schon damit klar kommen würde. Dass ich nicht besser war. Aber das hier war keine normale Situation. Zum ersten Mal seit ich denken konnte, fühlte ich mich von allen verraten und verkauft. Nicht einmal das Gefühl ein Mensch zu sein, den irgendwer irgendwann einmal brauchen, ja vielleicht sogar lieben würde, war mehr da. Ich fühlte mich von allem und jeden verlassen. Als wäre ich leer. >Komm. Setzen wir uns ne Minute< Ich folgte ihrer Aufforderung. Stumm und schleppend. Ließ mich auf einer Bank neben einer alten Tanne fallen. Anna setzte sich neben mich, behielt aber einen gewissen Abstand zwischen uns bei. Träge fragte ich mich, ob sie mir einfach nur Raum geben wollte oder vielleicht sogar Angst vor mir hatte. >Ich weiß, was Ellen dir gesagt hat. Und ich kann mir auch vorstellen, wie sie es gesagt hat. Es kann einen manchmal richtig runterziehen, ich weiß das, aber lass dich nicht so hängen. Das ist schließlich nicht das Ende der Welt< Nun verließ doch ein zugehebenermaßen ziemlich trockenes Lachen meine Kehle.
>Vielleicht nicht das Ende eurer Welt. Ich bin, gottverdammte scheiße, die Wiedergeburt irgendeines verrückten Ägypters! Nichts in meinem Leben gehört wirklich mir! Sondern ihm, mir... Argh! Ich versteh nicht einmal mehr, wer er und wer ich ist!< Ich redete wirres Zeug. War einfach nur verwirrt und am Ende mit meinen Nerven. Aufgewühlt vergrub ich meine Hände in meinen Haaren, stützte mich mit meinen Ellenbogen auf meinen Knien ab. Außenstehende hätten wahrscheinlich gedacht, ich hätte irgendwen heute zu Grabe gebracht. Verzweifelt genug war ich auf jeden Fall.
>Denkst du wirklich, du würdest noch leben, wenn diese Seele wirklich komplett du wäre?<
>Hä?< Ich war wirklich am durchdrehen, angesichts meiner mieserablen Kommunikationsfähigkeit.
>Deine Eltern haben damals gewusst, was mit dir sein könnte. Sie waren darauf vorbereitet, dich direkt nach der Geburt umzubringen, auch wenn es ihnen das Herz gebrochen hätte. So wie ich das damals verstanden habe, ist die Wiedergeburt dieses Magiers nicht natürlich. Seine Seele fährt in den Körper eines Neugeborenen und bringt dessen Seele um. In der Regel ist eine neugeborene Seele nicht in der Lage diesen Kampf, der im Kopf eines Säuglings vorgeht, zu gewinnen. Wenn er wirklich in dir ist, dann existiert er neben deiner eigenen Seele. Etwas anderes hätten Leana und Lucas gar nicht zugelassen< Stumm starrte ich sie an. Versuchte zu ergründen, ob sie mir gerade die Wahrheit sagte oder mich nur beruhigen wollte. Was auch immer davon zutraf, es wirkte nicht. Für mich klang das eher danach, dass meine Eltern mich nicht töten konnten und deshalb der gesamten Familie Niels irgendwelche Lügen aufgetischt hatten. Oder ich hatte einen Parasiten im Hirn. Keine der beiden Möglichkeiten gefiel mir besonders.
>Ihr habt es also alle gewusst<, fasste ich die Lage zusammen. >Auch Reginald und die Magier<
>Reginald, ja. Die Magier, nein. Sie wissen dein genaues Geburtsdatum nicht. Das wurde von Reginald verschleiert. Auch wenn ich darum wetten würde, dass das Mädchen entweder Bescheid weiß oder bereits einen konkreten Verdacht hat<
>Lilia?<
>Du klingst so ungläubig, als könnte sie gar nicht denken<, tadelte Anna.
>Das meine ich nicht!<, schoss ich zurück. >Aber Lilia würde mir so etwas niemals vorenthalten!<
>Und das weißt du woher? Weil du sie schon so lange kennst?< Annas Ton war nicht schneidend. Er war jenseits davon. Als würde sie mit jemanden sprechen, der nicht nur begriffsstutzig und dumm war, sondern zu allem Überfluss auch noch sehr stur. Es passte mir nicht. >Egal, was sie auch getan haben soll. Egal, was sie sagt und wie sie dir gegenüber handelt oder auftrifft. Sie ist und bleibt eine von ihnen< Das letzte Wort verließ ihren Mund spöttisch und angeekelt. Als gäbe es nichts schlimmeres, als die Magier im Heim des Königs.
>Ohne Lilia wäre ich tot. Sie ist meinetwegen zur Verräterin geworden-<
>Bist du dir da sicher? Warum sollte sie das tun? Für dich? Weil du ja ein ach so toller und netter Junge bist?< Sie bemerkte meinen Blick, der bei jedem ihrer Worter kälter wurde, nicht. Oder es interessierte sie nicht. >Wahrscheinlicher ist es, dass das alles - ihre Freundlichkeit, deine Gefangennahme, eure gemeinsame Flucht - eine einzige Farce ist. Gut durchdacht, damit du sie zu uns führst. Zu den anderen "Königsverrätern". Und du dummer Junge bist ihr auch noch auf den Leim gegangen. Genauso wie Lucas damals bei deiner Mutter< Das wars. Was zu viel war, war zu viel. Bevor sie auch noch ein Ton sagen konnte, war ich auf den Beinen. Stand direkt vor ihr. Und sah mit Feuer in den Händen kalt auf sie hinunter.
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Die Magier - Der König (pausiert)
FantasyNachdem Lilia Will aus der Gefangenschaft Socrates befreite und zurück in die Stadt, in der er lebte, gebracht hatte, wird Will von Albträumen und Stimmen in seinem Kopf geplagt. Doch damit nicht genug, zusammen mit Lilia ist er auf der Flucht vor S...