"Misa... Ich liebe dich. Willst du meine Freundin sein und mich eines Tages heiraten?"
Seine Worte trafen mich wie ein unerwarteter Klotz. Er sah erwartungsvoll zu mir auf. Mein Mund war wie ausgetrocknet, Kuro stand einige Meter entfernt und beobachtete uns kritisch. Als ich keine Antwort gab, verfinsterte sich Sakuyas Mine. "Ich habe diesen Schritt gewagt, mich als Mörder zu outen und für dich deine Tante zu töten.. und du gibst mir keine Antwort." Ich traute meinen Ohren nicht. "Für mich meine Tante getötet?" Seine Formulierung klang so, als ob ich das gewollt hätte. "Ich habe dich nicht darum gebeten! Weißt du überhaupt, was du damit angerichtet hast?" Auf meinen vorwurfsvollen Ton hin zog er überrascht die Augenbrauen hoch. "Ich habe dir einen Gefallen getan." Meinte er lächelnd. "Überleg doch mal. Deine Eltern sind nicht da. Du kannst tun und lassen, was du willst, du kannst ein neues Leben beginnen. Mit mir. Und nicht nur das." Er grinste mich an. "Wenn ich töte, wer dir nahe steht... dann habe ich dich für mich ganz alleine..."
Sein Grinsen hätte ich ihm gerne aus dem Gesicht geschlagen, doch in der jetzigen Situation fehlte mir der Mut. Ich war mir inzwischen ziemlich sicher, dass ich es mit einem Psychopathen zu tun hatte. Wer weiß, was er alles anstellen könnte, wenn ich ihn verärgerte. Kuro warf mir einen Blick zu, der darum bettelte, Sakuya den Kopf abreißen zu dürfen. Ich seufzte. Diese Situation war einfach zu absurd. Vermutlich würde ich jetzt gleich aufwachen und feststellen, dass das alles nur ein sehr schlimmer Traum war. Ich würde aufwachen, weil mein Handy vibriert. Sakuya hätte mir eine Nachricht geschrieben, um mich zu fragen, ob wir zusammen vor der Play Station abhängen können. Doch leider war es das nicht. Jeder Traum ist für die Zeit, während der man darin gefangen ist, eine eigene Realität. Und ich glaubte nicht, dass ich in diesem Fall der Realität entfliehen konnte.
Sakuya richtete sich auf. "Siehst du, was ich für dich getan habe?" Seine Worte holten mich aus meinen Gedanken. "Ich versuche, für dich mein Leben umzukrempeln. Und du bist mir nicht einmal dankbar? Ich bin dein bester Freund! Habe ich es denn nicht verdient, noch bedeutender für dich zu werden?" Mit jedem seiner Worte trat er einen weiteren Schritt auf mich zu. Ich wusste nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte. "Ist dir eigentlich bewusst, dass ich mich in dich verlieb..." Ein dunkler Schatten flog an mir vorbei. Sakuyas Satz wurde unterbrochen, als ihn Kuros Stiefel mit einem widerlichen Knacken zwischen den Augen traf. Sakuya knallte auf den Boden und hielt sich zischend die Nase. "Kuro!" Erschrocken rannte ich zu Sakuya, um ihm aufzuhelfen. Vielleicht hatte er mein Mitgefühl nicht verdient, bei allem, was er getan hat, dennoch war er noch immer ein Freund von mir.
"Geh weg von ihm!" knurrte Kuro. Ich zuckte zusammen, blieb dann jedoch ratlos zwischen ihm und Sakuya stehen. "Sag mal, bist du noch zu retten?" fuhr Sakuya ihn an. "Sie kann ja wohl selbst entscheiden, ob sie ihrem Freund aufhelfen will, oder nicht!" "Du bist nicht mehr ihr Freund." meinte mein Servamp kurzentschlossen. Ich fühlte mich unwohl bei dem Gedanken, dass ich Sakuya rechtgeben musste. "Kuro... doch, das ist er." Ich bemühte mich, entschlossen zu klingen, doch meine Antwort glich eher einer Frage.
Kuro sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Bist du dir sicher?" Zögerlich schüttelte ich den Kopf. Der leichte Hoffnungsschimmer, der eben noch in Sakuyas Augen zu erkennen war, verschwand, enttäuscht ließ er den Kopf hängen. "Du machst mich fertig." murmelte er. Sein Anblick weckte in mir Erinnerungen von damals, als wir beide noch Kinder waren. Als Kind habe ich oft Zeit bei meiner Tante verbracht. Sakuya und ich sind auf die selbe Schule gegangen. Als wir uns kennenlernten, hatte ich ihn an einem Nachmittag im nahegelegenen Park gefunden, wie er weinend vor seiner Mathearbeit hockte und dabei war, sie zu begraben, wobei ich ihm natürlich geholfen hatte. Wir waren quasi von meinem ersten Schultag an beste Freunde. Die Art, wie er jetzt vor mir im Gras kniete, das Gesicht in den Händen vergraben, ließ Schuldgefühle in mir aufflammen.
"Sakuya... wir sind doch immer noch Freunde!" meinte ich leise. "Nein. Das ist mir nicht genug!" Zornig schlug er meine Hand weg. Sein Blick hatte etwas Wahnsinniges angenommen. "Du wirst schon sehen, was du davon hast." murmelte er. "Wenn ich dich nicht haben kann, kann dich keiner haben. Und ich werde denjenigen töten, der es wagt, dir nahe zu kommen!" Mit seinen letzten Worten richtete er sich direkt an Kuro, bevor er sich ruckartig umdrehte, seinen Tascheninhalt vom Waldboden aufsammelte und zwischen den Bäumen davon stapfte, ohne uns noch eines Blickes zu würdigen. Ich sah verwirrt zu Kuro auf, der mit einem neutralen Ausdruck in die Luft starrte. "Ich glaube nicht, dass wir ihn verfolgen sollten. Viel anstellen kann er nicht, Lillys Abkömmlinge werden sich um ihn kümmern." Meinte er trocken. "Gehen wir."
Ich nickte kurz und wandte mich rasch zum gehen, instinktiv zog es mich zum Haus meiner Tante.
Diesen Weg hätte ich wohl nicht eingeschlagen, wenn ich daran gedacht hätte, was mich dort erwartet...