Verdrängen und Ignorieren

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Gedämpft nahm ich wahr, wie Darian meinen Namen schrie, doch da war es bereits zu spät. Der fremde Soldat stürzte sich auf mich.
Ich wusste nicht woher ich die Kraft nahm ihm die Stirn zu bieten, aber es klappte. So gut es ging wich ich seinen Angriffen aus. Einen Vorteil hatte ich. David wollte mich unverletzt. Das hieß, dass der junge Vampir mir nichts tun durfte. Sein Schwert blieb also brav an seinem Gürtel.
Gekonnt wich ihm erneut aus, als er mit ausgestreckten Armen auf mich zu lief.
Während ich unter seinen großen Händen hindurch schlüpfte, verpasste ich ihm einen ordentlichen Schlag in seinen Magen. Er keuchte auf und kämpfte mit seinem Gleichgewicht.
Vampire kannten also Schmerz, waren aber unsterblich. Das musste ich auf jeden Fall im Kopf behalten.
Bevor mein Gegenüber erneut angreifen konnte, trat ich ihm die Beine weg und sah zu, wie er zu Boden viel und sich ächzend herumrollte.
"Liz!", drang Darians Stimme an mein Ohr. Und das war der Moment, in dem ich einen Fehler machte. Ich fuhr zu ihm herum und vergass dabei den anderen Vampir hinter mir.
Keine zehn Sekunden später spürte ich einen scharfen Schmerz an meinem Kopf und fiel zur Seite. Etwas warmes lief mir über das Gesicht und mir wurde schlecht.
Es war Blut.
Und ich war umgeben von einem Haufen Vampire.
Das nicht gut. Das war gar nicht gut!
Der junge Soldat kam auf mich zu und beugte sich über mich.
"Das hast du jetzt davon.", fauchte er und zerrte mich näher. Seine Augen schimmerten rötlich, als er das Blut bemerkte.
Sofort hielt er in seinem Tun inne und beobachtete, wie noch mehr der roten Flüssigkeit über meine Stirn bis zu meinem Schlüsselbein lief und dann von meiner Kleidung aufgesogen wurde.
Um seinen Mund herum zuckte es verdächtig und kurz darauf konnte ich seine scharfen Eckzähne sehen.
Er schlich langsam näher und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Wie ein Raubtier, dass seine Beute fokussierte.
Ich hatte Angst. Ich hatte richtige Angst.
"Niemand wird etwas bemerken, wenn ich nur kurz probiere, nicht wahr?", fragte er leise und seine Pupillen wurden größer. Mein Blick zuckte zu Darian. Tapfer versuchte er sich auf die Füße zu kämpfen, doch immer und immer wieder brach er zusammen. Er würde es nicht rechtzeitig schaffen. Er war zu schwach. Das wusste ich. Also musste ich mich dieses Mal selber retten. Nur wie, wusste ich noch nicht.
Der Vampir machte einen Satz auf mich zu und ich kroch schreiend zurück. Darian schrie meinen Namen, kam auf die Füße, stützte sich an der Felswand ab und versuchte zu mir zu eilen. Aber nach zwei kleinen Schritten brach er wieder zusammen.
"Psssst! Du brauchst keine Angst vor mir zu haben!", surrte der Junge vor mir und blickte mich mit schief gelegtem Kopf an. "Ich verspreche dir, es wird auch nicht wehtun." Er kicherte. "Zumindest nicht sehr."
Keuchend krabbelte ich weiter und weiter zurück, während das Monster immer näher kam.
Irgendwann spürte ich etwas Kaltes unter meiner rechten Hand. Der Dolch!!!
Viel Zeit zu überlegen hatte ich jedoch nicht, denn der Vampir stürzte sich endgültig auf mich. Seine scharfen Nägel bohrten sich in meine Haut und ich riss einfach nur beide Arme nach oben, in der Hoffnung, er würde mir fern bleiben. Dann plötzlich veränderte sich etwas in seinem Blick und aus dem angriffslustigen Bastard wurde wieder der junge Mann.
"Was... hast du... getan?", wisperte er und riss seine Augen auf. Aus seinem Mund lief Blut und tropfte hinunter auf den staubigen Boden.
Entsetzt starrte ich auf den silbernen Dolch in seiner Brust.
Schwach klammerten sich seine grauen Hände darum und versuchten die Waffe herauszuziehen. Aber er schaffte es nicht. Stattdessen lief nur noch mehr Blut aus der Wunde und färbte das Silber rot.
Atemlos sah ich auf meine eigenen Hände. Sie waren blutüberströmt.
Der Vampir erbrach mehr Blut, ehe nach vorne fiel und sich nicht mehr bewegte.
Das einzige Geräusch, dass ich wahrnahm war mein eigener Atem. Blutüberströmt saß ich vor der Leiche und konnte mich nicht bewegen.
Ich hatte ihn umgebracht!
Diese Erkenntnis traf mich mit voller Wucht und riss mir den Boden unter den Füßen hinweg.
Was ich fühlte? Gar nichts. Mein Innerstes war leer.
Mein Kopf sagte mir, dass es gut war, dass er tot war. Hätte ich es nicht getan, wäre ich jetzt sonst wohlmöglich tot. Doch mein Herz schrie und schrie und verurteilte mich für das was ich getan hatte.
Abwesend blickte ich auf meine roten Hände und schluckte.
Ich hatte ihn getötet!
Ich... Ich... Ich hatte ein Leben genommen! Das war falsch! Warum... Warum hatte ich das getan?
Einige Zeit später zogen mich zwei Arme hoch und ich erwachte aus meiner Starre.
"Ich wollte das nicht! Ich wusste doch nicht... Er hat mich angegriffen und ich hab einfach reagiert. Ich wollte ihn nicht umbringen...", beteuerte ich stimmlos und ließ zu, dass Adam mich einfach nur festhielt.
"Ich weiß.", murmelte er in meine Haare, ehe er mich zu Darian führte und ich neben ihm zusammenbrach.
Er legte mir einen Decke um die Schultern und zog mich an sich. "Ich wollte das nicht." Meine Stimme war heiser und leise. Wortlos beobachtete ich, wie John den Toten bei den Füßen schnappte und aus der Höhle schliff.
"Du solltest das nicht sehen.", entschied Darian und drehte mein Kinn in seine Richtung. Ich war ihm unglaublich dankbar dafür.
Vorsichtig tupfte er die Wunde auf meiner Stirn mit einer sauberen Ecke der Decke ab und versorgte sie behutsam.
"Ich bin stolz auf dich." Seine Lippen lagen an meinem Ohr, als er mir diesen Satz zuflüsterte. Aber ich blieb still. Ich konnte nicht stolz auf mich sein. Verdammt ich hatte jemanden getötet! Auch wenn es ein gottverdammter Vampir war. Es machte für mich keinen Unterschied. Tot war Tot. Und ermordet war nunmal ermordet. Und ich war eben der Täter.
"Wir müssen hier weg, bevor David bemerkt, dass seine Leute nicht zurück ins Lager kehren." Adam ließ sich uns gegenüber nieder und sah uns aufmerksam.
"Wie fühlst du dich?", fragte er an Darian gewandt.
Dieser verzog das Gesicht. "Ging schon mal besser."
"Kannst du laufen?" Wir alle wussten, das es gar keine Alternative als Abhauen gab. Wir mussten hier weg und das so schnell wie möglich.
Wackelig kämpfte Darian sich auf die Beine und atmete tief durch, während seine Jungs und ich ihn besorgt beobachteten.
"Ich muss laufen, also ja." Er nickte "Lasst uns hier weg. Packt alles zusammen und verdeckt unsere Spuren." Und da war er wieder. Darian der Große. Anführer, Krieger, Freund und Genie. Alles in einem Körper. Einem ziemlich attraktiven Körper. Das musste ich ja gestehen.
Sein Blick fiel auf mich. "Schaffst du das?"
Ich schluckte, ehe ich zu ihm aufblickte. "Körperlich geht's mir gut.", sagte ich nur.
"Das wird fürs erste reichen müssen.", entschied er. Allerdings sah er selbst ziemlich schlecht aus. Wenn ich mir also um jemanden Sorgen machte, dann um ihn. Vielleicht war das auch meine Art, das Geschehene zu verarbeiten. Beziehungsweise zu verdrängen. Einfach auf alles andere konzentrieren, anstatt daran zu denken, dass ich jemanden umgebracht hatte. Einfach ignorieren.
Ignorieren, dass er vielleicht vermisst wurde.
Ignorieren, dass er vielleicht eine Familie hatte.
Ignorieren, dass er für etwas gestorben war, was er für das Richtige hielt.

TeufelsherzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt