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❰ S O P H I A ❱
„Das ist ein Herzschlag, Mrs Payne, und das nennen wir einen Fötus in der fünften oder sechsten Schwangerschaftswoche."
Atmen.
Scheiße.
Ich musste verdammt noch mal atmen.
„Ganz ruhig, Mrs Payne", sprach der Arzt zu mir, doch ich konnte nicht anders. Mir wurde schwindelig und in meinen Ohren rauschte es. Die Panik, die sich durch meinen Körper fraß, war hässlich und widerlich.
Ich musste mich hinlegen und man gab mir etwas zur Beruhigung, das half vielleicht meinen Körper zu kontrollieren, aber nicht meine Gedanken. Deshalb hörte ich dem Arzt nur mit halben Ohr zu. „Den Mutterpass gibt es ab der neunten Woche und eine weitere Betreuung ist mit unserer Praxis möglich."
Weitere Betreuung?
Ich wusste nicht mal, ob ich in den nächsten fünf Minuten einen Fuß vor dem Nächsten setzten konnte. Also nickte ich alles nur in Ein-Satz-Manier ab und traute meinen eigenen Beinen nicht mehr. Mir war eiskalt als ich das Behandlungszimmer verließ und konnte mich nur noch daran erinnern, dass ich auf mich acht geben sollte.
Kein Stress, gesunde Ernährung und sollte es Probleme geben, dann wäre es besser hier noch einmal aufzutauchen. Was sollte das eigentlich heißen, hier noch mal aufzutauchen? Sentimentale Ultraschallbilder machen lassen, über Geburtstermine zu fachsimpeln?
Fast wäre ich in hysterisches Gekicher ausgebrochen, einfach, weil mich die komplette Situation überforderte. Andere Frauen tanzten fast durch die Arzt-Praxis, ich glaubte, die Wände kämen näher.
An der Rezeption warteten Louis und Basil, ich bat den Fahrer Louis nach Hause zu bringen. „Ich möchte ein Stück zu Fuß laufen", sprach ich, doch Basil hielt das für keine gute Idee: „Ohne Begleitung darf ich Sie nicht gehen lassen."
„Niemand wird es ausplaudern", antwortete ich und lächelte gezwungen. „Oder es bemerken." Zumindest hoffte ich das. Basil ließ sich versichern, dass ich ihn anrief, sobald ich ihn brauchte und Louis schwieg, doch sein Blick sagte mir alles.
Nämlich, dass ich es nicht wagen sollte morgen auf der Arbeit aufzutauchen und stattdessen mal richtig ausschlafen sollte.
Ich ließ den Beiden einen Vorsprung und bemerkte, dass meine Hände zitterten als ich die leichte Sommerjacke anzog und nach meinem Handy in der Handtasche kramte. Es gab nur einen Ort, wo ich jetzt hin wollte und kurzerhand schrieb ich meiner besten Freundin.
Eleanor hatte heute frei. Es tat mir leid ihr den Tag zu nehmen, aber ich brauchte sie jetzt. Sie verstand meine Kurznachricht sofort und ich machte mich auf dem Weg zur Subway. Gefühlt ewig war ich nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren. Vermissen tat ich das allerdings auch nicht.
Eng an eng mit fremden Leuten zu stehen hob nicht gerade meine Laune. Der nette Schweißgeruch ließ mich nur noch durch den Mund atmen und wünschte, mein Kopf hätte ein An- und Ausknopf. Allerdings rauschte er im Moment nur, also konnte es auch egal sein.
Als ich wieder über der Erde war, da atmete ich tief durch und musste noch zwei Blocks laufen. Vorbei an multikulti Supermarkt, an Indischen Restaurants, der Geruch ließ Übelkeit aufsteigen und ich widerstand der Versuchung durch die Ramschläden zu gehen. Früher hatte ich das gerne gemacht, jetzt wohnte ich nicht mehr dort, wo man für einen Dollar zwei Paar Schuhe und einen Tanga bekam.
Eleanor wohnte, wie üblich für New York, in einem mehrstöckigen Haus und ich malte mir schon aus, wie ich die Treppen in den vierzehnten Stock hoch keuchte. Zum Glück gab es einen klapprigen Aufzug, der nach Pisse stank und ich war lebensmüde genug ihn zu nutzen.
Vor dem kleinen Apartment glaubte ich zu stinken, wie ein Dixiklo. Eleanor öffnete mir schwungvoll die Tür und zuerst erkannte ich sie kaum. Sie hatte eine Erdmaske auf, ihr Haar zu einen losen Knoten gebunden und hielt in der linken Hand ein Glas Rotwein. Mit den Jogginanzug, den sie seit der Abschlussklasse hatte, konnte ich mich anfreunden.
„Es ist nicht einmal fünfzehn Uhr", sprach ich, sie machte einen Schritt zur Seite, nahm einen großen Schluck Wein zur Provokation und meinte nur: „Dir auch Hallo, trete ein."
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und schälte mich im Flur direkt aus meiner Jacke und aus meinen Schuhen. Es war schwierig Eleanor nicht das Glas aus der Hand zu nehmen und selbst den Wein zu kippen.
Das ging jetzt nicht mehr.
Krampfhaft ballte ich die Hände zu Fäusten, lockerte die Finger wieder und fing von vorne an. Meine beste Freundin runzelte irritiert die Stirn: „Was ist los mit dir?"
Hart presste ich die Lippen aufeinander, in meinen Ohren rauschte es wieder und ich hatte das starke Verlangen nach Luft zu schnappen. Eleanor trat auf mich zu und im Wohnzimmer sorgte sie dafür, dass ich in das durchgesessene Polster ihrer Couch sank.
„Du fängst an mir Angst zu machen", sprach Eleanor besorgt. Ob sie diese braunen Tüten hier hatte in die man reinpusten konnte?
„So schlimm kann es nicht sein, lass es einfach raus", riet mir meine beste Freundin aufmunternd und ging vor mir in die Hocke. Ich musterte sie misstrauisch, dann atmete ich angestrengt durch, so als hätte ich Presswehen und ratterte runter: „Ichbinschwanger."
Zuerst reagierte Eleanor nicht, dann fiel ihr fast das Weinglas aus der Hand: „Das ist ein Scherz!"
„Nein", piepte ich hilflos. Ich sprang schließlich so plötzlich auf, dass Eleanor fast rückwärts taumelte und fasste zusammen: „Das ist eine Katastrophe!"
„Das ist mehr als eine Katastrophe!", rief sie. „Wie – nein – falsche Frage, das Wie will ich gar nicht wissen! Wer-!"
„Wage es nicht mich das zu fragen!", kreischte ich sie an.
Hysterie ließ grüßen, ich konnte nicht anders.
Ich war nun hochrot angelaufen. Meine beste Freundin öffnete den Mund und schloss ihn wieder wie ein Fisch. Dann drehte sie sich um und stampfte in ihre bunte Küche. Dort sah ich, dass sie eine Flasche Wodka aus einem Hängeschrank nahm und sich ein kleines Glas eingoß.
Mit unbewegter Miene kippte sie sich das Glas hinter die Binde und hustete. Kurz schloss sie die Augen. „Sophia", sprach sie beherrscht. „Bist du dir sicher, dass das kein Irrtum ist?"
„Ich komme von einem Arzt", erklärte ich, weshalb Eleanor das Glas wieder füllte und kippte. Sie rieb sich über das Gesicht, ließ sich auf ihren Küchenstuhl fallen und sah so überfordert aus, wie ich mich fühlte.
„Hast du schon mal etwas von Verhütung gehört?", schimpfte sie mit mir. Das verletzte mich, weshalb ich sie anpampte: „Natürlich! Ich nehme die Pille nicht erst seit Gestern!"
„Aber wieso-!"
„WAS BRINGT MIR DAS BESCHEUERTE WIESO!", brüllte ich sie nun an und schämte mich sofort.
Angestrengt ballte ich die Hände zu Fäusten, lockerte sie wieder und setzte mich ihr gegenüber, dann vergrub ich das Gesicht in den Händen.
Wir schwiegen und Eleanor trank den Wodka schließlich direkt aus der Flasche. Sie seufzte tief und fragte: „Was sagt Liam dazu?"