Kapitel 6 | escape

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Ich weiß nicht ob man sich vorstellen kann wie schrecklich es ist, in einem kleinen Zimmer ohne auch nur den kleinsten Strahl Licht, ohne den kleinsten Hauch frischer Luft gefangen zu sein und zu wissen, dass man solange die Türe verschlossen bleibt absolut hilflos ist.

Man entwickelt eine Art Klaustrophobie, obwohl man zuvor nie Platzangst hatte. Man beginnt jede einzelne Faser seines Körpers zu spüren, jeden noch so kleinen Nerv und ich spüre deutlicher denn je die harte Wand hinter und den noch härteren Boden unter mir. Es schmerzt ungeheuer und mittlerweile finde ich zu keiner Sekunde mehr eine Position, die nicht in irgendeiner Weise weh tut. Ich wechsle meine Haltung ständig, gefühlt alle paar Minuten, doch es gibt keine, in der ich es lange aushalte. Irgendwas tut immer weh.

Wieder spüre ich die Kälte, bei der ich mir noch immer nicht sicher bin ob sie von der Temperatur des Raumes oder meiner Müdigkeit ausgeht. Unkontrollierbar fängt mein Körper an zu zittern und ich ziehe meine Beine an meine Brust und schlinge die Arme um sie, dazu beginne ich meinen Körper wie ein Kleinkind hin- und herzuwiegen, in der Hoffnung so etwas weniger zu frieren durch die Bewegung.

Alles erscheint mich zu ermüden, dabei bewege ich mich kaum. Ganz egal wie viel ich schlafe, ganz egal wie wenig ich mich bewege, etwas in mir beginnt aufzugeben. Mein Geist ist müde.

Ich will nicht weiterkämpfen, ich will nicht weiterleben. Ich will nur noch, dass das Ganze hier ein Ende findet. Langsam ist mir auch egal um was für ein Ende es sich dabei handelt, solange es endet. Ich ertrage es nicht mehr, mir ist die ganze Zeit über nur nach weinen zumute, doch in der Zwischenzeit bin ich so ausgetrocknet, dass mein Körper nicht mehr genug Wasservorräte hat um auch nur einen Tropfen davon an Tränen zu verschenken.

Ich schniefe kurz, wische mir eine klebrige Haarsträhne aus dem Gesicht und schließe die Augen.

Ich darf nicht aufgeben, ich darf mich nicht brechen lassen. Ich muss durchhalten und kämpfen, ich muss es schaffen. Ich werde überleben. Ich will überleben. Mein Leben ist noch nicht lang genug gewesen um mich davon zu verabschieden, ich möchte noch so viel erleben, so viel sehen. Jetzt zu sterben kommt da auf keinen Fall in Frage.

Meine Gedanken schweifen zu all den Dingen, die ich noch in meinem Leben sehen möchte. Paris, New York, Venedig, London… so viele Orte, an denen ich noch nie war und die ich unbedingt sehen möchte. Ich will von einem hohen Wolkenkratzer über die Hochhäuser einer Großstadt blicken, ich möchte von einem riesigen Berg in ein noch größeres Tal laut schreien, ich möchte übers Meer segeln, das Salzwasser dabei riechen und den Wind in meinen Haaren spüren. Verdammt, da gibt es so viel, das ich noch erleben möchte. Ich bin nicht bereit diese Träume aufzugeben, noch nicht.

Ich scheine gar nicht bemerkt zu haben, wie ich in eine Art Halbschlaf versunken bin, doch als ich das nächste Mal wieder zu Bewusstsein komme blinzele ich einige Male und nehme einen strengen Geruch wahr, der mir bekannt vorkommt.

Putzmittel?

Halluziniere ich nun wirklich schon von Putzmitteln?

Irritiert schlage ich die Lider auf und reibe mir die Augen. Ich muss halluzinieren, alles andere würde keinen Sinn machen. Einige Schritte von mir entfernt beugt sich eine dunkle Gestalt über den Boden und hält in der Hand einen Lappen, neben ihr steht ein Putzeimer. Durch die angelehnte Tür dringt ein schmaler Lichtstrahl, der genau auf die Person fällt und ich erkenne, dass es sich um den Mann mit der Maske handeln muss.  Er trägt auch jetzt wieder eine Kapuze über den Kopf.

Misstrauisch beobachte ich ihn, wie er den Boden wischt. Wann ist er überhaupt hier hereingekommen? Normalerweise hätte ich es bemerken müssen, aber ich scheine eingeschlafen zu sein.

captured | ✓Where stories live. Discover now