Kapitel 2 - Große Erwartungen

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Sophia

Kaum habe ich meinen Fuß über die goldene Schwelle des Altbaubüros gesetzt, werde ich auch schon von der drahtigen Blondine am Arm gepackt und durch den Eingangsbereich geschleift.

„Gerne hätte ich dich ja noch herumgeführt, aber dafür bleibt uns jetzt keine Zeit. Wir wollen ja nicht, dass du auch noch zu deinem ersten offiziellen Meeting zu spät kommst", höre ich die Stimme meiner immer noch vor sich hin meckernden Tante sagen, während ich im Gehen mit dem Reißverschluss meines arktischen Mantels zu kämpfen beginne.

Eins steht fest: So habe ich mir den Start in mein zukünftiges Berufsleben bestimmt nicht vorgestellt. Wäre ich nicht mir ihr verwandt, hätte sie mich wahrscheinlich schon im hohen Bogen vor die Tür gesetzt – ob ich dies als Glücksfall bezeichnen möchte, sei jetzt mal dahingestellt.

Zweifel keimen in mir auf.

Vielleicht hätte ich besser noch ein paar Tage gewartet, bevor ich meinem eigenbrötlerischen Dasein ein Ende setzte. Mich in meiner Wohnung einzuschließen, Bewerbungen zu tippen und mich von den Überresten meines Kühlschranks zu ernähren – Toastbrot und angeschimmelter Käse – scheint in Anbetracht der Umstände vielleicht nicht sonderlich attraktiv, aber immer noch besser als den Bund der Verdammnis einzugehen und Luzifer in Gestalt meiner Tante die Seele zu verkaufen.

Und was lehrt mich das?

Nie wieder Deals innerhalb der Familie. Allein der Gedanke, dass ich die nächsten Wochen und – wenn es richtig blöd für mich läuft – vielleicht auch Monate unter Maggies Pantoffel ausharren muss, stimmt mich mehr als nachdenklich.

Gut, ich kann ihre Verärgerung verstehen, denn kein Arbeitgeber sieht es besonders gerne, wenn der neue Mitarbeiter an seinem ersten Arbeitstag zu spät erscheint. Ich sollte morgen einfach den früheren Bus nehmen, dann bleibt mir dieses Gezeter am frühen Morgen in Zukunft erspart.

„Sophia, hör' auf Wurzeln zu schlagen", bringt Maggie meine Gedankenblase zum Platzen.

Erst jetzt bemerke ich, dass sie von mir abgelassen hat und einige Schritte entfernt, vor dem großen weißen Empfangstresen zum Stehen gekommen ist. Ich hingegen stehe immer noch verloren in der Mitte des Raumes und habe das Gefühl, mich nicht bewegen zu können.

Mein Blick wandert zu Maggie, die von der rothaarigen Empfangsdame eine schwarze Mappe gereicht bekommt. Abgesehen von ihrem etwas gewöhnungsbedürftigen Charme, ist Maggie für ihr Alter eine äußerst attraktive Frau. Das roséfarbene Kostüm schmiegt sich wie eine zweite Haut an ihre hochgewachsene aber dennoch zierliche Figur. Die blonden Haare hat sie zu einem aufwendigen Knoten nach oben gebunden, was ihrem dezent geschminkten Gesicht die nötige Eleganz verleiht. Als sie jedoch bemerkt, dass ich sie anstarre, stemmt sie ihre Hände in die Hüften und holt Luft.

„Geht das auch ein bisschen schneller, wir liegen schon zehn Minuten hinter meinem Zeitplan", zischt sie, bevor sie sich auf dem Absatz umdreht und um die nächste Ecke biegt. Sie verschwindet aus meinem Sichtfeld. Das einzige, was von ihr noch zu hören ist, ist das Klackern ihrer Absätze, die wie eine Herde wild gewordener Stiere über das Parkett fegen. Ich laufe ihr hinterher und als ich den Gang erreiche, bleibe ich wie vom Donner gerührt stehen.

Augenblicklich empfängt mich ein pastellfarbener und vor Glückseligkeit triefender Albtraum, der mir von jetzt auf gleich den Boden unter den Füßen wegzieht.

Jegliche Dinge, die ich als Vollblutsingle erfolgreich umschifft habe, sammeln sich nun einem 160 m² Apartment und bringen das Fass sprichwörtlich zum Überlaufen.

Sprachlosigkeit macht sich breit und damit meine ich nicht „sprachlos" im Sinne von Faszination oder Begeisterung - so wie man das eigentlich kennt, wenn einen etwas einen sprichwörtlich vom Hocker haut.

The Wedding Diary (Niall Horan)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt