Kapitel 36

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Kapitel 36

Kyle

Stille. Kein Geräusch durchdringt die Nacht. Es sind Tage vergangen, seit die Welt um mich herum so friedlich war. Damals, als sie noch neben mir lag. Die Sterne kann ich dieses Mal nicht sehen, dichte Wolken verdecken den gesamten Himmel und lassen nur noch ein wenig Licht auf mich herabkommen. Alles ist in ein tiefes Schweigen verfallen, auch ich, denn ich spüre nichts ausser einer kalten Leere in mir.

Seit dem Streit mit Shade sind ein paar Stunden vergangen und ich beginne jedes Wort zu bereuen. Ich hatte kein Recht solche Dinge zu sagen, trotzdem habe ich es aus meiner Wut heraus getan. Wir haben uns gerade erst wieder versöhnt und nun steht wieder eine Auseinandersetzung zwischen uns. Dabei wird Shade nicht einmal gelogen haben, als sie behauptete, Enya sei noch am Leben. Warum sollte sie? Wir haben einander versprochen, unseren Weg gemeinsam zu gehen, da würde sie mich nicht anlügen. Ob Enya nun tot oder wieder im Feuerreich ist, sollte für mich keinen Unterschied machen und doch hoffe ich, dass sie noch lebt. Wozu? Ich werde sie nicht wiedersehen, denn sie ist nicht dumm genug, um zurück ins Luftreich zu kommen. Es würde ihren Tod bedeuten. Endgültig.

Langsam beginne ich mich zu fragen, was ich noch hier draussen mache. Als Shade mir sagte, ich soll gehen, meinte sie das bestimmt nicht ernst und ich wüste auch nicht, wohin ich sonst sollte. Meine Wut hat mich aber ziemlich weit getrieben, denn die Luft-Feuer-Grenze ist gerade in meiner Nähe. Das heisst aber auch, dass ich ein ganzes Stück vom Rekrutenlager entfernt bin. Ohne einen weiteren Gedanken stehe ich auf und schlendere in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Meine Schritte sind langsam und kraftlos, das Feuer erloschen.

Als ich zwischen einer Gruppe von Bäumen eine sich bewegende Gestallt entdecke bleibe ich stehen und lasse meinen Blick nicht von ihr weichen. Mit raschen Schritten kommt sie mir immer näher, biegt dann aber in dieselbe Richtung ab, in welche ich gehen wollte. Mit einem unwohlen Gefühl in der Brust folge ich der Gestalt und je länger ich das tue, desto mehr kann ich von ihr erkennen. Auf einmal erstarrt mein Körper und ich bleibe stehen.

"Enya?", flüstere ich in die Nacht hinaus und die Gestalt wendet sich zu mir um.

"Kyle?"

Von einer Erleichterung mitgerissen renne ich auf sie zu und schlinge meine Arme um sie. Zärtlich erwidert sie meine Geste und legt ihren Kopf auf meine Schulter.

"Was tust du hier", raunt sie mir leise ins Ohr.

"Das könnte ich dich genauso fragen", antworte ich ein wenig besorgt. "Warum bist du zurückgekommen."

Enya blickt um sich und kommt mir wieder näher.

"Du hast doch vom Frieden geredet", erklärt sie mir geheimnisvoll. "Was, wenn es eine Möglichkeit gäbe, ihn wirklich umzusetzen?"

Ich löse meine Arme von ihr und weiche einen Schritt zurück.

"Hast du nicht mit voller Überzeugung behauptet, dass kein Frieden zwischen Luft und Feuer möglich ist?", frage ich sie misstrauisch und sie kommt näher, so dass ich ihren Atem an meinem Hals spüren kann.

"Ich bin nicht meinetwegen hier, sondern weil man mich gebeten hat, dir eine Nachricht zu überbringen."

"Und was hat das mit mir zu tun?"

"Wir sind eine Bedrohung für die anderen drei Reiche. Wenn wir versuchen würden, mit ihnen zu reden, würde uns keiner zuhören", flüstert sie mir zu. "Bei dir ist das anders, du kommst an die Königin der Luft heran und das wäre eine unglaubliche Hilfe."

Unsicher wende ich mich von ihr ab und stecke die Hände in die Jackentaschen.

"Das erklärt aber noch immer nicht, warum du dich für den Frieden einsetzt", bemerke ich und mir entgeht nicht, dass Enya die Frage nicht angenehm ist.

Die Elemente des Lebens - Die GegenwartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt