Kapitel 6

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Was zuletzt geschah:

Im Tausch gegen ein reichhaltiges Frühstück, führt Jonas ein klärendes Gespräch mit Erik, bis dieser beschließt, seinen Mund lieber anderweitig zu nutzen. Kurz darauf verlässt Jonas Eriks Wohnung, das Datum für sein erstes echtes Sexdate und eine Menge Zweifel im Kopf.

Kapitel 6

Dichte Wolken, hereinbrechende Nacht und flackernde Straßenlaternen wuschen jede Farbe aus den Straßen, ließen die eigentlich vertraute Gegend fremd erscheinen.

Jonas warf einen Blick auf sein Handy. Er war gute zwanzig Minuten zu früh und hatte keine einzige Nachricht, die ihm einen Vorwand zum Trödeln gab. Maria schwieg seit einem kurzen Telefonat am Anfang der Woche und Jonas fürchtete, sie mit seinem aktuellen Dauerthema ‚Scheiße, ich werde wirklich und wahrhaftig mit nem Kerl ficken' endgültig verschreckt zu haben. Um Wiedergutmachung bemüht, schrieb er:

Du, 17:38 Uhr

alles okay bei dir?

Du, 17:38 Uhr

hab ganz schön viel über mich gequatscht in letzter zeit

Du, 17:38 Uhr

sorry dafür

Du, 17:39 Uhr

ich weiß, du hast eh schon stress genug

Du, 17:39 Uhr

dafür weißt du hoffentlich, dass du mich immer anrufen kannst

Du, 17:39 Uhr

wollt ich bloß noch mal klarstellen

Nachdem Jonas fünf Minuten am Straßenrand gelungert und vergebens auf eine Antwort gewartet hatte, steckte er sein Handy weg, versuchte, das flaue Gefühl in seinem Magen zu ignorieren und klingelte. Der Türöffner summte innerhalb weniger Sekunden.

„Du bist früh dran." Erik ließ Jonas in seine Wohnung. „Daraus kann ich wohl schließen, dass du mehr Interesse an mir hast als damals an dem Job im Tix."

Eine altbekannte Röte stieg in Jonas' Gesicht. „Bild dir mal nicht zu viel darauf ein!"

„Ah, da musst du dir bei mir keine Sorgen machen." Heute war Erik kein sorgloser Philosophiestudent. Seine Brille war verschwunden, das dunkelgraue Hemd saß perfekt und die zurückgebundenen Haare gaben seinen Zügen eine einschüchternde Strenge. Von der kumpelhaften Vertrautheit, die er bei ihrer letzten Begegnung ausgestrahlt hatte war nichts übriggeblieben.

In der Hoffnung, seine Nervosität zu verbergen, wandte Jonas ihm den Rücken zu und hängte seine Jacke an die Garderobe gegenüber der Küche, wurde jedoch zurückgehalten, als er diese betreten wollte.

„Heute nicht." Eriks Hand legte sich auf Jonas' Rücken und drängte ihn mit sanfter Bestimmtheit den Gang entlang.

Auf der linken Seite erspähte Jonas ein geräumiges Wohnzimmer, vollgestellt mit Bücherregalen und einer beeindruckenden DVD-Sammlung, dazu eine gemütlich aussehende Couch und einen Fernseher, über dessen Größe sein Vater Freudentränen vergießen würde. Offensichtlich war aber auch das nicht Eriks Ziel, denn er führte Jonas zu der Tür gegenüber, hinter der sich ein Schlafzimmer verbarg.

Wie der Rest der Wohnung, war es schlicht und freundlich gehalten; ordentlich, ohne pedantisch zu wirken. Anders als die Küche, hatte es jedoch etwas eigentümlich Unpersönliches an sich, war eher Hotelzimmer als privater Rückzugsort. Jonas' Blick blieb an Eriks Bett hängen. Kein Doppelbett, aber groß genug, um zwei Erwachsenen Platz zu bieten und mit den schwarzen Satinlaken der einzige dunkle Fleck in der sonst hellen Einrichtung. Seine Finger strichen über den glatten Stoff. Plötzlich war sein Mund wie ausgetrocknet. Die ganze Woche hatte eine Fantasie die andere abgelöst, aber jetzt hier zu stehen, in der Realität, war etwas völlig anderes.

Raupe im NeonlichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt