LYLE
"Ich habe alles versucht, aber der Captain meinte, ich würde hier gebraucht werden."
Diese Lüge hatte ihm beinahe körperliche Schmerzen beschert. Als wäre es möglich, ihn davon abzuhalten, sie zu begleiten, wenn er nicht selbst dafür gewesen wäre, es nicht sogar vorgeschlagen hätte. Aber er hatte ihr nicht die Wahrheit sagen können, würde sich auch hüten, es je tun. Er hatte geschworen, sie zu beschützen, mit allem, was er hatte und geben konnte. Und um dies am besten gewährleisten zu können, war es nun einmal nötig, sie im Unklaren zu lassen.
Er stand nun vor der Tür des Königs, der ihm vorhin im großen Saal zu verstehen gegeben hatte, dass er ihn sehen wolle. Lyle klopfte an, wartete, dass der König ihn hereinbat und öffnete dann die Tür. Cass' Vater saß hinter seinem Schreibtisch und war anscheinend gerade dabei gewesen, einige Dokumente durchzusehen, schaute ihn jedoch freundlich lächelnd an, immerhin hatte er ihn ja erwartet.
Er hatte Cass' Vater schon immer irgendwie bewundert, dafür, wie er diese schwere Last auf seinen Schultern trug, Verantwortung für ein ganzes Volk übernehmen zu müssen und trotzdem ein offenes Ohr für jeden hatte. Nicht selten war Lyle in den letzen Jahren zu ihm gekommen, immer dann, wenn ihn diese Geheimniskrämerei zu zerbrechen drohte. Er hatte in seinem Leben schon so viel erlebt, so viele schwere Entscheidungen getroffen und immer dahinter gestanden, aber Cassidy anzulügen hatte ihn schon des Öfteren fast über die Grenze getrieben.
Jedes Mal hatte er dann vor ihrer Tür gestanden, die Hand schon zum Klopfen erhoben, um sich endlich alles von der Seele zu reden, sich von seiner Schuld zu befreien und ihr die ganze Wahrheit zu sagen. Aber jedes Mal hatte er sich noch zusammenreißen können, war hierher geeilt, hatte sich diesem Mann anvertraut, der ihm die Sicherheit zurückgegeben hatte, die er unbedingt brauchte, um nicht so egoitisch zu sein und auch noch Cassidy mit allem zu belasten . Er hatte schon vor langer Zeit aufgehört, zu zählen, wie oft der König ihn davor bewahrt hatte, eine fürchterliche Dummheit zu begehen und alles, was sie in den letzten Jahren so hingebungsvoll beschützt hatten, zu zerstören.
Das aber ebendiese mühevoll errichtete Sicherheit nun dabei war, zusammen zu brechen, wusste er schon seit einer ganzen Weile, konnte es nun auch noch einmal in den Augen seines Gegenübers lesen, der dies nicht verstecken konnte, auch wenn er sich darum bemühte.
"Lyle, gut, dass es vor dem Essen noch einmal geklappt hat. Wie lief es mit Cassidy?", fragte ihn nun der König, während sich der Soldat ihm gegenüber nieder ließ. "Nun, sie ist immer noch nicht sonderlich erfreut darüber, diesen Prinzen heiraten zu müssen, aber sie hat eingesehen, dass die Zukunft nicht nur schlechtes für sie bereithält", brachte Lyle über die Lippen, auch wenn der Satz einen seltsamen Nachgeschmack bei ihm hinterließ. "Das ist gut", meinte der König, seine Stimme gedämpft und leise, als würde auch er nicht an das glauben, was er sagte und sah aus dem Fenster links an der Wand, welches auf die Stallungen hinter dem Schloss gerichtet war.
Lyle wartete, bis der Mann endlich den Mut aufbrachte, seine Gedanken, die ihn sichtbar quälten, laut auszusprechen.
"Bist du...bist du sicher, dass du sie nicht begleiten solltest? Immerhin gibt es niemanden, der sie besser beschützen kann als du." Cass' Vater war seine Unsicherheit anzusehen, machte er sich doch unglaubliche Sorgen um seine Tochter und wusste nicht, ob sie das Richtige taten, auch wenn er es schaffte, in ihrer Gegenwart immer ruhig und gefasst aufzutreten.
Lyle atmete tief durch, dann lehnte er sich noch vorn und stützte die Unterarme auf dem Tisch ab.
"Du weißt doch", begann er, "wenn ich es nicht für sinnvoller halten würde, nicht in ihrer Nähe zu sein, dann könnte mich niemand davon abhalten, bei ihr zu bleiben. Aber der Captain und ich sind zu dem Entschluss gekommen, dass es besser ist, sie allein reisen zu lassen, sie weit weg zu schicken und eine falsche Fährte zu legen, um jedweden Verfolger von ihrer Spur abzulenken. Das weißt du genauso gut wie ich und nur deswegen hast du doch der Vermählung mit diesem Prinzen zugestimmt. Würdest du deine Meinung nun ändern, würde das nur ungewollte Aufmerksamkeit erregen und das können wir uns nicht leisten."
Er sah dem König in die Augen, versuchte ihm klar zu machen, das dies die beste Möglichkeit war. Dieser erwiederte die Geste, schien nach irgendwelchen Zweifeln zu suchen, die Lyle in Bezug auf diesen Plan hegte. Die gab es natürlich, jedoch würde er sie dem König sicher nicht auf die Nase binden, würde sich nichts anmerken lassen.
Nach einem weiteren prüfenden Blick ließ der Mann ihm gegenüber die Schultern sinken. "Ich habe einfach Angst, dass wir sie möglicherweise direkt in die Hände der Gefahr treiben, anstatt sie vor ihnen zu verstecken. Du weißt ja, wie sie sein kann. Immer die Regeln brechen, immer Dinge tun, die sie nicht tun sollte." Ein verzweifeltes Lächeln erschien bei diesen Worten auf die Lippen des Königs, so als könne er alle ihre Aufmüpfigkeiten vor seinem inneren Auge vorbeiziehen sehen.
"Du warst der Einzige, der sie halbwegs unter Kontrolle hatte und wenn du nicht bei ihr bist..." Er brauchte den Satz nicht zu beenden, wusste Lyle doch selber, was für vollkommen verrückte Ideen manchmal in Cass' Kopf herumspukten und wie oft nur durch seine Anwesenheit ein schlimmes Chaos verhindert werden konnte.
Trotzdem sagte er :"Ich habe all die Leute, die sie begleiten, selbst ausgesucht und vertraue ihnen. Natürlich könne sie mich nicht erzsetzen, aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sie Cassidy beschützen können, sollte doch etwas Unvorhergesehenes passieren." Seine Worte schienen den König zu beruhigen, zumindestens lehnte er sich in seinem Sessel zurück.
"Ihre Mutter hat mir das Gleiche gesagt", meinte der Mann ihm gegenüber. "Sie meinte, wenn du sagst, dass alles gut gehen wird, dann ist das auch so, immerhin könne man dir immer vollkommen vertrauen, egal was du tust." Er schenkte ihm ein Lächeln, dass seinen Stolz gegenüber dem Soldaten ausdrückte. Lyle hatte sich noch nie besonders um die Meinung von den Menschen um ihn herum gekümmert, aber die Personen in diesem Schloss hatten es tatsächlich geschafft, dass bei ihnen zu sein sich wie zu Hause anfühlte, dass es ihn kümmerte, was mit den Leuten hier passierte und was sie über ihn dachten.
Deshalb erwiederte er das Lächeln seines Gegenübers mit der selben Ehrlichkeit, die bei dem König zu erkennen war. Das Lächeln jenes Mannes, der ihn immer wie einen Sohn behandelt und ihn nie abwertend angesehen hatte, nicht ein einziges Mal seit er hier lebte, obwohl er wusste, was Lyle in der Vergangenheit getan hatte. Es kam für Lyle immer wieder überraschend, wenn ihm bei den Gedanken an die Menschen hier ein familiäres Gefühl überkam.
Jetzt jedoch musste er diese jetzt in den Hintergrund drängen, gab es doch wichtigere Dinge zu tun. Er erhob sich und meinte :"Ich werde morgen aufbrechen, kurz nach Cassidy's Abreise. Ich habe jemanden gefunden der mich begleiten wird, sodass es aussieht, als würde Cassidy mit mir reisen. Damit können wir sie hoffentlich täuschen."
Ein dankbares Lächeln blitzte in den Augen des Königs auf, trotzdem blieb sein Gesicht traurig. Auch ihm war wohl bewusst, dass es nun kein zurück mehr gab. Sollte irgendetwas schief gehen bei ihrer Aktion, dann hatte keiner von ihnen auch nur die leisteste Ahnung, was geschehen könnte.
Mit einem kurzem Nicken verschwand Lyle durch die Tür.
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Crown of Fate
Fantasy"Wahrscheinlich merkte keiner im Raum, dass ihm ein eiskalter Schauer den Rücken hinunterlief bei dem Lächeln, dass sie ihm zuwarf. Es lag keinerlei Wärme darin, nur kalte Berechnung und er hatte das Gefühl, als stünde er einem wilden Tier gegenüber...