Es war Mai und schön warm. Die Wiesen waren voller Butterblumen und Gänseblumen, Sauerampfer, den wir so gern aßen und Klee, sowie viele andere Blumen. Es war eine Wonne, durch die Wiesen zu gehen und Blumensträuße zu pflücken. Im Mai ist ja auch immer Muttertag und die Mütter wollen dann auch geehrt werden und ein Geschenk haben.
Kaufen konnte ich nichts, weil ich nie Geld hatte und ich überlegte dauernd, womit ich Mutter ein Geschenk machen konnte. Es fiel mir aber nichts ein. Im Kindergarten hatten wir so Karten gemacht und die fand ich gar nicht so doll schön.
Einmal war ich in unserem Schlafzimmer. Mutter war nicht da und da hab ich die Schubladen von der Spiegelkommode aufgemacht, weil es da drin immer so schön roch. Mutter hatte überall Kölnisch Wasser liegen. Woher sie das immer bekam, weiß ich nicht. Da fand ich in einer anderen Schublade viele gestrickte Deckchen. Die sahen schön aus, einfach wunderschön. Ich dachte: Mutter weiß nichts von den schönen Deckchen und das fand ich prima. Offenbar hatte sie keine Ahnung, was für kostbare Schätze da lagen. Ich nahem ein Deckchen nach dem anderen heraus und bestaunte und bewunderte es. Plötzlich kam mir die Idee, dass ich die der Mutter zum Muttertag schenken könnte
„Eigentlich müsste sie sich riesig freuen.“, dachte ich.
Also fing ich an , jedes Deckchen einzupacken, bis ein ganzer Berg vor mir lag. Ich habe sie alle versteckt und sehnsüchtig auf den Muttertag gewartet. Am Abend vorher ging ich einen Blumenstrauß holen und versteckte ihn bei der Großmutter, weil ich kein anderes Versteck hatte.
Mutter hatte am Samstag wieder Gugelhupf gebacken. Am Sonntag morgen bin ich früh aufgestanden und hab den Tisch gedeckt, eine Kerze hingestellte und den Blumenstrauß bei der Großmutter geholt und ihn dazu gestellt und an Mutters Platz gestellt: An Mutters Platz hab ich dann die Geschenke aufgebaut.
Als Mutter in die Küche kam, staunte sie, weil der Tisch so schön gedeckt war. Sie freute sich. Und dann sah sie die vielen Päckchen, setzte sich hin und machte mit einem ganz gespannten Gesicht eines nach dem anderen auf. Ich sah zu und war aufgeregt vor Freude, Aber Mutter sah gar nicht aus wie Freude. Sie sah aus wie Wut. Da wurde nur schon ein wenig bange. Was war los? Warum so ein Gesicht?
Nachdem sie das letzte Päckchen ausgepackt hatte, sah sie mich an und schrie und schimpfte und es war mal wieder ein richtiges Gewitter, das da los ging. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Warum freute sie sich denn nicht über die Deckchen? Die waren doch alle so wunderschön.
Ach, was für ein dummes Kind war ich doch? So ein richtiges Kind. Woher sollte ich denn wissen, dass Mutter all die Deckchen selbst gemacht hatte und dass sie sie selbst in die Schublade gelegt hatte? Ich war ja schon mordsmäßig dumm und hab geglaubt, Mutter wüsste nichts von all den Schätzen.
Sie ist mir dann noch sehr lange böse gewesen, weil ich ihr so ein dämliches Geschenk gemacht hatte
Ende.
Johannes Schütte:
Ist das Dummheit oder kindliche Naivität? Ich würde Naivität sagen, weil Kinder ihre eigene Phantasie herbeizaubern. Es war seinerzeit oft üblich, dass man Deckchen mit Kölnisch Wasser tränkte und alles in die Kommode packte. Auch in meinen Elternhaus so in den 50erJahren, wo ich noch ein Kind war und auch Bauern in den Ferien besucht hatte.

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Die Amis
Short StoryEs ist Krieg und in der schwäbischen Alb kommen die Amis. Das kleine Mädchen Doris erlebt hier im Dorf etwas, was man Krieg nennt.