Fehler

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Ein Raum. Quadratisch. Alle Wände gleich Lang, gleich hoch. Nichts besonderes, eher unbesonders. Die Wände sind grau. Sehr grau. Ja eigentlich alles Beton. Feste, kühle Betonwände aber rissig. Alles kahl. Keine Fenster, keine Bilder, nichts, das schmückt. Eine Tür gibt es. Eine braune Holztür mit goldenem geschwungenem Türgriff. Es ist wohl diese Tür, durch die der alte, knochige Mann gekommen sein muss. Das wenige Leben in ihm belebt den Raum nicht mehr. Er sitzt punkt genau in der Mitte des Raumes schaukelnd im Schaukelstuhl. Er muss gemessen haben, so mittig sitzt er. Er schaukelt ruhig. Vor, zurück, vor, zurück, vor. Der Stuhl knarzt leise. Ich frage mich, wer von beiden älter ist. Der Stuhl hat gleich dem alten Mann seine besten Tage gezählt. Beide sind zerbrechlich. Das brüchige Holz des Schaukelstuhls, ist die faltige Kopfhaut des Mannes. Ich habe gezählt. Metronomisch genau bei jedem 12. Wippen saugt der Mann an seiner Pfeife. Kurz danach stößt er jedes mal eine kleine Wolke Tabakrauch in den Raum. Sie verschwindet immer nach etwa 30 Sekunden. Starr Blickt der Mann geradeaus an die graue Wand gegenüber der Holztür. Seine Stirn legt sich dabei von Minute zu Minute immer mehr in Falten. Er ist ratlos, denn er hat einen Fehler gemacht. Er hat einen Fehler gemacht, den er nie gemacht hat. Er hat den Fehler gemacht, nie einen Fehler gemacht zu haben. Nun in seinen letzten Minuten hat er nichts zu grübeln. Sein ganzes Leben hat er alles, ja wirklich alles richtig gemacht. So sehr er sich anstrengt etwas zu finden, da ist nichts. Nichts, dass er bereut, nichts über das er sich ärgert, nichts, das ihm wehtut. Er fällt darüber in tiefe Trauer. Jedes schaukeln auf dem Schaukelstuhl und jeder Zug an seiner Pfeife machen ihn immer trauriger. Es Fehlt ihm ein Teil. Es Fehlt ihm das halbe Leben. Was ist Leid? Was ist Schmerz? Er weiß es nicht und wird es nie erfahren. Sein Wippen im Schaukelstuhl wird langsamer. Auch die Abstände zwischen den Pfeifenzügen werden größer. Sein Gesicht beginnt mehr und mehr sich zu entspannen. Er wippt noch 11 mal, doch der Tod kommt unaufhaltsam. Für einen weiteren Pfeifen Zug reicht es nicht. Die Hand des alten Mannes, die die Pfeife hält, sinkt in seinen Schoß, wird sich nicht mehr heben. Er hat sich tot gegrübelt, da er keinen Fehler machte. So Fehlerfrei sein Leben, so traurig ist nun sein Tod. Er stirbt in Trauer. In so großer Trauer, dass es zu leben nicht lohnte. Er bemerkte seinen einen eigentlichen Fehler viel zu spät. Den, dass er keinen machte.

FehlerWhere stories live. Discover now