Die Frau mit schütterem Haar betrat den großen Unterrichtsraum erst, als wir Jugendlichen schon vollzählig waren.
„Ruhe, bitte!", rief sie energisch, „Mein Name ist Herrin von den Birken. Ich habe eigentlich gar nicht geplant, euch zu unterrichten. Aber ich schulde Herr von Idalia noch einen Gefallen. Deswegen bin ich eingesprungen. Also seid ihr entweder leise oder ihr geht."
Kurz fragte ich mich, für wen diese Frau eingesprungen war. Mit ihr war anscheinend nicht gut Kirschen essen.
Jorlind und ich saßen wieder in unserem Tisch ganz vorne, mit den beiden Oberzicken im Nacken. Doch dieses Mal war ich fest entschlossen, Gundula der Weiten nicht einmal anzusehen.
Noch während ich so meinen Gedanken nachhing, verteilte die Herrin kleine Gegenstände an jeden von uns. Neugierig reckte ich den Hals, um besser sehen zu können. Da sie ganz hinten angefangen hatte, erreichte sie uns als letztes.
Mit einem dumpfen Klonk warf sie drei kleine Steine vor uns auf den Tisch. Ich griff nach einem, zuckte jedoch zurück, als ich spürte, wie warm er war. Er sah aus wie ein durchsichtiger Kristall, nicht größer als der Nagel meines Daumens. Und er leuchtete von innen. Argwöhnisch griff ich erneut nach dem Stein. Jetzt spürte ich auch, wie er langsam pulsierte. Als wäre er ein menschliches Wesen und nicht nur ein gefühlloser Stein.
„Als erstes lernt ihr, die Verbindung mit ihm aufzunehmen", hob die Herrin von den Birken erneut ihre Stimme, „Danach werde ich euch beibringen, Energie zu speichern."
Keiner wagte es, auch nur zu tuscheln.
Die Herrin von den Birken vergewisserte sich, dass jeder seinen Übungsstein in den Händen hielt. Dann erklärte sie: „Ihr müsst die Augen schließen und lernen, mit geschlossenen Augen zu sehen. Erst, wenn ihr euren Übungsstein wirklich wahrnehmt, könnt ihr euch mit ihm verbinden. Ihr müsst seine Gegenwärtigkeit im Raum strahlen sehen."
„Herrin?" Hinter mir hob ein Junge zaghaft die Hand. „Wäre es dann nicht möglich, sich mit allen in der Nähe befindenden Machtsteinen zu verbinden?"
„Theoretisch, ja." Herrin von den Birken lächelte milde. „Wenn ihr dafür genug gelernt hättet. Aber nur, solange die Machtsteine noch nicht vergeben sind. Und da ihr eure eigenen später nie mehr loslassen werdet, sind diese vor fremden Händen sicher."
„Warum sollten wir uns nie mehr von ihnen lösen?", fragte ich und hob ebenfalls eine Hand. Ich hatte eigentlich nicht geplant, die Steine für den Rest meines Lebens herumzuschleppen.
„Ihr werdet schon sehen." Die Frau lächelte geheimnisvoll und machte dann eine ungeduldige Handbewegung. „Nun fangt an!"
Widerwillig schloss ich die Augen. Wie bei Acidantra sollte ich mit geschlossenen Augen sehen? Das war unmöglich!
Am liebsten hätte ich laut aufgelacht. Da saßen wir alle strohdoof mit geschlossenen Augen da und wollten trotzdem etwas sehen. Lachhaft!
Ich wurde von dem Stein in meinen Händen abgelenkt. Er schien immer wärmer zu werden.
„Seht die Funken!", befahl die Herrin. Ich nahm ihre Stimme nur wie aus weiter Ferne wahr.
Der Stein schien immer stärker zu pulsieren und ich senkte den Kopf in seine Richtung.
Und plötzlich geschah etwas Seltsames. Ich begann... zu sehen. Einzelne, verloren wirkende Funken tauchten in der Schwärze auf.
Vor Schreck riss ich die Augen auf und meine Gedankensicht stürzte in sich zusammen.
Das hatte ich mir bestimmt nur eingebildet. Ich hatte zu wenig geschlafen, und da hatte ich eben sprichwörtlich Sterne gesehen.
Oder... oder ich hatte Erfolg gehabt. Irgendwie musste es ja funktionieren, da niemand außer mir die Augen offen hatte. Vielleicht hatte es ja wirklich geklappt.
Na Toll. Und ich Dummkopf hatte mal wieder alles kaputt gemacht.
Konzentriert schloss ich die Augen wieder. Jetzt, wo ich wusste, wonach ich suchte, ging es schneller.
Beinahe sofort tauchte ich wieder in die Funkenwelt ein. Je mehr ich mich konzentrierte, desto mehr Funken tauchten auf.
Erstaunlich.
Sie leuchteten mir entgegen wie hunderte kleine Kerzen. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder hatte es wirklich funktioniert, oder ich drehte langsam durch.
Letzteres war wahrscheinlicher.
Dennoch fuhr ich fort. Wenn ich schon verrückt wurde, dann bitte richtig.
Ich versuchte, den Funken, der mir am nächsten war, gedanklich aufzugreifen.
Nichts geschah. Was für ein Wunder, dachte ich ironisch.
Jetzt versuchte ich, mit meiner Hand nach dem Funken zu greifen. Aber anstatt dem Punkt näher zu kommen, bewegte er sich mit dem Fuchteln meiner Hand. Jetzt erst wurde mir klar, dass der Funke aus dem Übungsstein stammte.
Diese neue Erkenntnis motivierte mich, mit neuer Konzentration nach dem kleinen Lichtfleck zu suchen.
Und tatsächlich: Er schien durch die Dunkelheit zu mir zu schweben, und dann – brannte ich plötzlich von innen.
Ein allumfassendes Feuer riss mich mit sich, hob mich hoch und trug mich ins Nichts. Es war berauschend. Es war überwältigend. Es war ein pures Hochgefühl, dass alle meine anderen Empfindungen auslöschte. Ich wollte, dass es niemals aufhörte. Wenn dies die Magie war, dann wollte ich sie. Dann wollte ich alles an ihr.
Dieser Gedanke erschreckte mich so sehr, dass ich die Augen aufriss. Doch dieses Mal riss die Verbindung zu dem Stein nicht ab. Auch der wundervolle Affekt ebbte nicht ab, er schob sich nur in den Hintergrund meines Gedächtnisses.
Ich fühlte mich verraten.
Niemand hatte mir gesagt, dass es so sein würde.
Ich hatte gedacht, dass reizvolle an der Magie sei die Macht – nicht die Magie selbst.
Aber dies hier... Ich wollte nicht, dass es aufhörte. Niemals.
Schon der Gedanke an diese Möglichkeit ließ mich frösteln. Ich hatte nicht gewusst, dass dieses Gefühl existierte – Aber jetzt war ich für alle Zeiten süchtig. Jetzt konnte und wollte ich nicht mehr ohne es leben.
Diese Erkenntnis erschreckte mich. Ich hatte dies alles hier doch nie gewollt!
Aber andererseits: Jetzt hatte ich es. Was also nützte es, mich weiter dagegen zu wehren?
Und mit einem Schlag akzeptierte ich es. Die Magie, die Macht, alles.
Für diesen Rausch würde ich auch mit einem Weltuntergang klarkommen.
Leicht lächelnd hob ich den Kopf. Ich war Adalinda von den Bergen, die Magierin.
Und ich hatte es geschafft, mich mit dem Übungsstein zu verbinden.
Mein Stolz verpuffte, als ich die Anderen erblickte. Ein Großteil von ihnen schien bereits fertig zu sein. Meine Tat war anscheinend doch nicht so überwältigend gewesen. Schade eigentlich – Wenn ich schon Magierin werden wollte, dann schon eine gute.
Die Herrin wartete einige Minuten und fuhr dann fort: „So, und jetzt gehen wir daran, Energie zu sammeln."
Sie wedelte schloss einen Moment die Augen und eine Fackel erschien.