"Ich erinnere mich noch genau an Dads kalten Blick. Da war nichts, rein gar nichts, einfach nur Kälte. Meine Vermutung ist, dass das eines der Dinge ist, die Dean immer noch nicht verkraften kann. Ich selbst kann es auch nicht.
Dean lag blutend in meinen Armen, seine Haut so kalt wie Eis, sein Blut kochend heiß. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Bruder war dabei zu sterben und ich konnte nichts tun. Er lag einfach da und sah mich an. 'Lauf, Sammy' flüsterte er mir zu, woraufhin ich den Kopf schüttelte. Erneut flehte er mich an zu rennen, doch ich tat es immer noch nicht. Ich blieb bei ihm, schwor mir, ihn bis zum bitteren Ende in den Armen zu halten.
Er war tot.
Ich glaubte, Dean sei gestorben, doch er war noch am Leben.
'Komm, Junge' meinte er zu mir. In seiner Stimme lag keinerlei Gefühl, was sehr beängstigend für mich war. Er trug Dean zum Wagen, legte ihn auf die Rückbank und fuhr ins Krankenhaus. Ich wagte es nicht während der Fahrt auch nur ein Wort zu sprechen. Der Kerl machte mir Angst. Er war nicht mein Vater. Plötzlich wirkte er fremd und ich wollte so weit wie möglich weg von ihm, doch ich konnte nicht.
Im Krankenhaus wurden wir natürlich gefragt, was passiert war. Jagdunfall. John nannte es einen Jagdunfall. Dean überlebte nur um Haaresbreite und dieser Alkoholiker bekam keine Strafe dafür."
"Das ist schrecklich", meinte Cas ehrlich. Er sprach leise und blickte zu Boden.
Plötzlich sah er Dean ganz anders.
Er sah Dean als ein Kind, dass zu schnell erwachsen werden musste, ein Kind, dass zu viel ertragen musste.
Es war schrecklich, was passiert war. Der Blauäugige wünschte das niemandem, nicht einmal Logan, dem er schon ein paar Mal insgeheim den Tod gewünscht hatte.
Dieses Schicksal war schrecklicher als der schmerzhafteste Tod auf Erden. Es war nichts im Gegensatz zum Verbrennen bei lebendigem Leib oder zum Ertrinken.
Der Schwarzhaarige wollte den Grünäugigen plötzlich umarmen, wollte ihm sagen, dass es ihm leid tut, wollte ihm einfach nur helfen, was er auch später tun würde.
Jetzt wollte er erstmal hören, was dann passiert war. Er musste die ganze Geschichte hören, daran würde kein Weg vorbei gehen.
"Sam... Was ist dann passiert? Wie ging es weiter?", fragte Castiel ehrlich mitfühlend.
"Naja... Wir hatten beide eine riesige Angst vor Dad. Zwischen uns bestand lediglich der Unterschied, dass sich das bei mir als Trauer und Enttäuschung ausdrückte und bei Dean war es Wut und Aggressivität. Seine Teenagerjahre waren die Hölle. Er rebellierte so ziemlich immer, legte sich mehrmals mit unserem Vater an, was nicht selten mit Platzwunden endete.
'Lass uns abhauen' meinte Dean zu mir an seinem 16. Geburtstag. Ich nickte, da ich glaubte, dass er das nie wirklich durchziehen würde, doch er tat es tatsächlich. Am ersten Februar waren wir weg. Mein Bruder klaute Dads gesamte Ersparnisse und den Wagen und wir fuhren weg.
Weg von den Sorgen, weg von dem ganzem Scheiß, den wir erlebt hatten. Wir waren frei, aber auch nach ein paar Tagen arm wie die Kirchenmäuse. Wie zu erwarten suchte uns unser Vater auch nicht. Ich glaube er wusste, dass wir nicht lange durchhalten würden, aber den Gefallen zurückzukehren taten wir ihm nicht.
Ich verzeihe Dean, was er getan hat, auch wenn es falsch war.
Er wurde mit 17 zum Dealer, vertickte alles, was auch nur ansatzweise illegal war, aber er tat es nur um mich und ihn über die Runden zu kriegen. Um ehrlich zu sein war er ein toller Bruder. Er unterrichtete mich sogar in den Hauptfächern und kaufte mir ein Handy, dass ich von Dad nie bekommen hatte.
Er war mein Bruder und gleichzeitig auch Vater, beides war er immer zu gleichen Teilen.
Genauso wie ich wusste, dass er mich nie verlassen würde, wusste ich, dass er innerlich gebrochen war.
Ich wusste, dass das alles eine riesige Belastung für ihn gewesen war. Er hielt unseren Lebensstandard mit Kreditkartenbetrügereien, Pokerspielgewinnen und wie gesagt Drogenverkäufen. Wir lebten in Motels und es hatte sich im Grunde nichts verändert, nur Dad war nicht mehr da und es gab nur selten Ärger.
Ich hatte den Eindruck, dass Dean immer mehr alles egal wurde. Er wurde immer gewalttätiger, benahm sich immer unangemessener und kompensierte alles mit irgendetwas, was nicht wirklich legitim war, vor allem Sex und Drogen.
Es gab Zeiten, da vögelte er alles durch, was weiblich war und die Körbchengröße D hatte.
Irgendwann bekam ich heraus, dass Dean die Frauen dazu nutzte sich selbst zu bestrafen, da er, nun ja, nicht auf das Geschlecht stand.
Dean Winchester ist und war schon immer schwul, man merkte es ihm nur nicht an.
Ich sah es immer in seinen Augen.
Es gab einen Unterschied, wie er Menschen betrachtete. Die meisten Frauen sah er an, als wären sie ein Stück Fleisch, dass er grillen konnte. Bei Männern hatte er immer diesen Blick, diesen ganz speziellen Blick, wie ihn nur ein Dean Winchester konnte."
Diese Worte ließen Cas' Herz höher schlagen. Wie dieser ganz spezielle Blick wohl aussah? Der 18-jährige würde es gerne wissen.
"Jedenfalls verlor Dean irgendwann die Kontrolle. Er hatte im Grunde schon mit seinen damaligen 18 Jahren einiges falsch gemacht.
Eines Abends stand die Polizei vor der Tür mit allen erdenklichen Beweisen für Deans Verbrechen und sie verhafteten ihn. Es wurde festgestellt, dass er komplett unzurechnungsfähig war und die Zwangseinweisung drohte ihm, was auch Realität geworden war.
Vor der Verhaftung hatte er einen Menschen aus Notwehr getötet und zwei lebensgefährlich verletzt, von beidem wusste ich bis dahin nichts und es war ein Schock für mich. Ich hätte das nie von Dean erwartet. Klar, er war für die ein oder andere Prügelei verantwortlich, aber für mich war er deshalb noch lange kein Mörder.
Eine gute Sache hatte aber das ganze mit der Verhaftung: Ich hatte endlich den Mut zu erzählen, was es mit der Sache mit Dad auf sich hatte und sie glaubten mir. Ich war davor schon einmal zur Polizei gegangen, doch sie hatten mir nicht geglaubt, einem damals Zwölfjährigem. Bei Deans Verhaftung war ich 14 Jahre alt und wurde ins Heim gesteckt, mein Vater wurde dann auch endlich vors Gericht gezerrt. Ich weiß nicht, wie es am Ende für ihn ausging, jedenfalls habe ich ewig nichts mehr von ihm gehört."
Castiel nickte stumm.
Er musste das ganze erst einmal verdauen.
Die gesamte Geschichte war einfach zu traurig und sie machte ihn verdammt wütend.
Was ihm ein wenig Angst bereitete war die Tatsache, dass er Dean verstehen konnte. Er konnte jede Tat verstehen, die Dean jemals begangen hatte. Er konnte die Liebe und den Hass verstehen, der ihn dem älterem Winchester brodelte.
Alles wurde plötzlich klar, ein Bild entstand.
Ein Bild von Deans Gedankengängen, von dem, was nur wenige verstehen konnten...
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You'll survive this bloody hell
Fanfiction[Destiel Fanfiction] Unzählbare Wunden, große, kleine, vernarbte und offene zieren seinen Körper. Wunden, die er sich selbst zufügte. Nur ein Funken Hoffnung, der ihn am Leben hält: Sein fast verblasster Glaube an die Liebe, doch er hätte nie geda...