Eigentlich hätte ich rennen müssen, doch das ließen meine hohen Schuhe nicht zu, also lief ich so schnell wie es mir möglich war, durch die nebelige Nacht. Eiskalt war es und ich fragte mich immer wieder, warum ich diese unsäglichen kniehohen Stiefel hatte anziehen müssen. Die wunderschönen Häuser, die neben mir aufragten, beachtete ich nicht, ich war viel zu angespannt, weil der heutige Abend alles andere als ungefährlich werden könnte. Aber ich wollte nicht daran denken, viel lieber dachte ich über meine Schuhe nach. Es war so ein banales Thema, doch mir fiel kein besseres ein und so erinnerte ich mich zurück an den Tag, an dem ich sie erworben bzw. Constanze sie mir gekauft hatte. Danach hatten wir uns gestritten, absolut nichts Ungewöhnliches für uns beide.
Ich sah kurz auf meine Uhr, 5 Minuten. Also beschleunigte ich meine Schritte noch einmal, auch wenn das fast nicht möglich war. Geübt überquerte ich die stark befahrene Straße. Ausversehen rempelte ich andere Menschen an oder nahm Fahrradfahrern die Vorfahrt, natürlich wurde ich sofort wüst beschimpft. Ach, hätte ich doch nur ein Taxi nehmen können! Natürlich war Constanze der Meinung gewesen, dass dies absolut unschicklich wäre, sehr ironisch, wenn man bedachte wohin wir uns heute Abend begeben würden. Allgemein machte es Constanze großen Spaß sich aufzuspielen, als hätte sie unglaublich viel zu sagen. Das hatte sie natürlich nicht. Aber sie hätte es gerne. Und widersprechen war in unseren Kreisen nicht so eine gute Idee, da war es dann auch egal, wie nahe ich ihr stand.
Eine Minute vor der verabredeten Zeit war ich am Treffpunkt. Schnell zupfte ich noch meinen Pony zurecht, dann, um Punkt 21:45 Uhr hielt ein schwarzer Mercedes mit verdunkelten Scheiben vor mir. Ein Fenster wurde heruntergelassen, Constanze sah mich lächelnd an: „Ma chérie, wie schön dich zu sehen. Aber drück doch deine Zigarette aus und steig ein." Diese übermütige gute Laune ging mir bei ihr schon immer auf die Nerven, es war gerade echt nicht der passende Zeitpunkt. Anderseits war es so typisch für diese Stadt, die einerseits so wunderschön war und ihre unglaublichen Tücken hatte, Paris!
Ich tat also wie mir geheißen und setzte mich nach vorne zum Chauffeur, etwas anderes war mir nicht gestattet, immerhin war ich „nur" der Bodyguard. Das Constanze aus mehreren Situationen ohne mich nicht mehr lebend herausgekommen wäre, war eine ganz andere Sache...
Wir fuhren über die Champs-Élysées, ich beobachtete die feinen Herrschaften, die noch um diese Uhrzeit in den Cafés saßen, Champagner tranken und lachten. Es wirkte so idyllisch, doch es war alles Fassade. Plötzlich gab es einen lauten Knall, ich zuckte unwillkürlich zusammen und zog instinktiv meine Pistole, dann drehte ich mich um. Constanze sah mich belustigt an, mit einer Sektflasche in der Hand: „Beruhige dich, ma chérie, du musst nicht immer auf Achse sein." Meine Atmung beruhigte sich und ich ließ die Waffe sinken. Ma chérie, ma chérie, ma chérie, sie konnte sich ihr ma chérie sonst wo hinstecken. Natürlich war es übertrieben von mir, doch im Gegensatz zu Constanze würde ich mit dieser Vorsicht nun einmal länger leben. Sie machte sich immer noch über mich lustig, als wir von der Champs-Elysées abfuhren. Bald würden wir da sein, ich rückte meine Baskenmütze zurecht und zog meinen roten Lippenstift noch einmal nach. Dann atmete ich ein letztes Mal tief durch und der Wagen hielt. Ich spürte es, Constanze war angetrunken und wenn Constanze angetrunken war, wurde sie leichtsinnig...
Ich stieg zuerst aus und ich hielt Constanze die Tür auf. Ich hielt sie am Arm und sagte leise: „Sei nicht leichtsinnig!" Sie verdrehte die Augen und lächelte mich übertrieben an, sowie es betrunkene Frauen nun einmal machen. Natürlich wollte sie sich aus meinem Griff lösen, doch ich verstärkte diesen nur noch. „Constanze, ich meine es ernst. Es geht hier um dein Leben, vergiss das nicht.", zischte ich, halb drohend, halb flehend. Sie drückte mir jedoch nur einen Kuss auf den Mund und säuselte: „Ma chérie, mach dir keine Sorgen." Ich ließ sie los und schaute ihr missmutig hinterher. Dann steckte ich meine Hände in die Manteltaschen, den Revolver, der in einer der Taschen ruhte, umschloss ich mit meiner Hand. So war ich jeder Zeit bereit, auf jemanden zu schießen.
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Kann ein Mörder denn nicht lieben?
Short StoryNachts in den Straßen von Paris. Lachende Menschen. Champagner. Zwei Frauen. Ein Mann. Ein Auftrag. Ein Fehler. Eine Waffe.