-Verbinden-

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Als ich am nächsten Tag aufwachte, konnte ich mich kaum noch bewegen vor Schmerzen. Mein Vater hatte mich auf dem Weg zur Toilette abgepasst und mich grün und blau geprügelt- mal wieder. Ich schmierte mir in der Küche zwei Sandwiches. Heute musste ich erst mal keine Angst vor meinem Vater haben. Es war Mittwoch. Der Tag an dem er im Bett blieb und seinen Kater ausschlief. Dann machte er es sich mit Chips und Bier vor der Glotze gemütlich und kam nur aus dem Schlafzimmer, um sich Nachschub zu holen. Ich hatte keine Ahnung warum er das nicht jeden Tag machte. Aber den Rest der Woche hing er entweder zuhause rum und wartete auf die Gelegenheit mich zu verprügeln, oder er zog durch die Clubs.

Wenn ich achtzehn war, wollte ich ausziehen und nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Das war in zwei Jahren. Ich war gerade mal fast 16. Hoffentlich verstümmelte er mich bis dahin nicht. Aber bisher war das Schlimmste ein gebrochener Arm gewesen. Ich nahm es meiner Mutter schwer übel, dass sie ohne mich abgehauen war. Sie hätte doch wissen können, dass es mir schlecht gehen würde. Aber sie hatte es nicht getan. Da half alles nichts.

Auf dem Weg zur Schule lief ich an frisch aufgeblühten Wiesen vorbei. Die Bäume bekamen die ersten Knospen. An einem Baum hatte ich besonders Gefallen gefunden. Ein riesiger Kirschbaum stand in der Mitte von einer riesigen Wiese. Oft lief ich hier vor der Schule hin und lehnte mich an seinen Stamm, um zu chillen. Ich liebte es zu beobachten, wie die Vögel in seinen Zweigen ihre Nester bauten. Wie die Jungen schlüpften. Letztes Mal hatte sie die Jungvögel sogar bei ihren Flugversuchen beobachten können. Im Frühling trug der Baum wunderschöne schimmernd rosa Blüten. Im Sommer waren seine Äste mit Kirschen überladen. Und im Herbst waren alle Kirschen bald aufgegessen. Die Vögel verließen ihre Nester, um nach Süden zu fliegen. Und im Winter stand der Baum einsam dort. Die Äste waren kahl und er sah ziemlich entstellt. Es war genauso wie ich mich fühlte. Frühling und Sommer waren die Zeiten mit meiner Mutter. Der Herbst waren die wenigen Wochen, wo Vater und ich auf ihre Rückkehr gewartet hatten. Und der Winter symbolisierte das Leben so wie es jetzt für mich war. Einsam. Ungeliebt. Entstellt durch die ganzen Verletzungen.

"Hallo", hörte ich eine fröhliche Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und er kannte mal wieder Iano. "Das passt doch garnicht zu deinem Badboy Image mit mir abzuhängen. Und dein Verhalten mir gegenüber ist auch nicht sehr Badboy mäßig", begrüßte ich ihn. Er lachte nur. "Das kann dir doch eigentlich scheißegal sein. Ist doch nicht dein Ruf", meinte er amüsiert. Ich zuckte nur mit den Schultern und biss kurz darauf die Zähne zusammen um nicht laut aufzuschreien. Trotzdem verließ ein leises Wimmern meine Lippen. Sofort war Iano bei mir. "Du kommst jetzt mit mir. Wir verarzten dich jetzt erst mal", ordnete er an. "A-aber was ist mit Schule?", wandte ich ein. Er zuckte mit den Schultern. "Die kommen heute auch mal ohne uns klar", stellte er fest. Ich nickte zögernd. Eigentlich wollte ich nicht verarztet werden. Und ich mochte auch keinen Körperkontakt. Aber bei Iano war mir das irgendwie egal. Bei ihm fühlte ich mich irgendwie.... Sicher. Vorsichtig kam ich auf die Füße.

Wie schon am Tag zuvor reichte er mir einen zweiten Helm und ich setzte mich hinter ihn auf das Motorrad. Als er losbrauste tat ich unwillkürlich wieder dasselbe wie am Tag zuvor. Ich schlang die Arme um ihn und lehnte meinen Kopf an seinen Rücken. Bald waren wir wieder bei seiner Villa. "Meine Eltern sind arbeiten", sagte er knapp in meine Richtung. Ich nickte nur. Und auf einmal hatte er mich hochgehoben und trug mich ins Haus. Verwirrt sah ich ihn an. Doch er meinte nur:"Du bist viel zu leicht. Ich werde gleich was zu essen machen. Aber erst versorgen wir die hier. Dabei streifte er leicht über einen Kratzer auf meinem Unterarm. Ich hatte garnicht gemerkt, dass mein Ärmel hochgerutscht war.

Iano hatte bereits einen Verbandskasten auf den Tisch gestellt. Er hat das geplant, schoss mir durch den Kopf. Vorsichtig zog er mir meinen Pulli über den Kopf. Das T-Shirt gleich hinterher sodass ich mit hochrotem Kopf und Bustier vor ihm stand.

Als er das Ausmaß meiner Verletzungen sah, stockte ihm kurz der Atem. Dann holte er eine Creme aus dem Verbandskasten und begann mich vorsichtig einzucremen. Obwohl er darauf achtete meine Haut nur ganz sanft zu berühren, zuckte ich mehr als ein Mal zusammen. "Entschuldigung", murmelte er dann jedes Mal und ich meinte jedes Mal:"Schon gut, da kannst du nichts für". Endlich war die unangenehme Prozedur vorbei. Auch meine Beine waren eingecremt worden. Ich zog mir hastig meine Sachen wieder an und Iano brachte das Verbandszeug fort. Ich fühlte mich etwas unbehaglich so eingewickelt in Verband von Kopf bis Fuß. Aber trotzdem hatte ich sofort weniger Schmerzen. Dann schmiss Iano den Herd an und machte Pfannkuchen.

Cherry Tree Dreams (Fertiggestellt) Where stories live. Discover now