Tiana
„Tiana" wiederholte er meinen Namen und es klang, als würde er ihn sich auf der Zunge zergehen lassen. Vielleicht war doch nicht alles mit ihm ok, auch wenn er es behauptete. Er sagte auch nichts weiter, sondern sah mich nur an und irgendwie wusste ich nicht mit der Situation umzugehen. Geschweige denn, was ich weitersagen sollte. Also sahen wir uns einfach nur an und irgendwie wollte mir das auch gar nicht unangenehm werden. „Und mit ihnen ist wirklich alles gut?" - „Ja ... also ... doch ja. Ich weiß auch nicht was gerade war" ich hatte noch nie einen Mann gesehen, der so unsicher war und dies so offen zur Schau stellte. Eigentlich machte er mir nicht den Eindruck, als gehöre er zu der Gattung Mann, die verlegen nach Worten suchen müssen. Ganz im Gegenteil, er schien offen und selbstbewusst zu wirken. So konnte man sich also in einem Menschen täuschen, wenn man nur das Äußere betrachtete. „Nun, wenn alles gut ist, kann ich sie bedenkenlos alleine lassen" ich lächelte höflich und wollte gerade an ihm vorbei gehen, als er mich verwirrte. „Alles gut. Alles Bestens. Ich will sie auch nicht weiter aufhalten. Ich hoffe Ricardo bezahlt sie gut, bei dem was die Gäste hier für einen Schmutz machen". Meine Alarmglocken gingen nicht direkt an, doch kaum hatte er den Satz ausgesprochen, merkte ich das Brodeln in mir. Aus weiter Ferne hörte ich ein Donnergrollen, was gefährlich näherkam und ich wusste genau, welches Unwetter gleich über ihn hereinbrach. Ich wollte gerade tief Luft holen, als ich meinen Fehler bemerkte. Das Brodeln verpuffte, wie wenn man die Flammen am Herd kleiner machte und auch das Grollen wurde wieder leiser. Das Unwetter entpuppte sich als Wattewölkchen, statt Gewitterwolke und entschwand durch plötzliche Sonnenstrahlen. Ich erkannte die Aufrichtigkeit seiner Worte, als ich in seine Augen schaute und ich konnte ihm gar nicht erst böse sein. Ganz offensichtlich nahm er an, ich wäre eine Kellnerin und mir wurde bewusst wie ich auf ihn wirken musste. Hatte ich doch eben noch das Geschirr in die Maschine gepackt und war auf dem Weg weiteres einzusammeln. Ich konnte nicht anders und musste wegen dieser Verwechslung anfangen zu schmunzeln. Ich war mir sicher, wäre einem anderen dies passiert, hätte ich nicht so reagiert. Doch dieser Mann hatte einfach etwas an sich, was mich erst gar nicht ausflippen ließ. „Hatte schon schlechtere Jobs" sagte ich und ließ ihn mit dieser Information alleine zurück. Ja ich wusste, er würde es falsch verstehen, aber irgendwie konnte und wollte ich die Sachlage nicht aufklären. War es Selbstschutz? Ich weiß es nicht. Doch wenn es Selbstschutz war, dann musste ich mich nach dem -warum- fragen? Ok, er sah echt gut aus und sein Lächeln hatte mich erst verunsichert, doch ich hatte mich schnell wieder im Griff. Höflich nickte ich ihm zu „ich muss dann auch mal weiter machen" und ließ ihn mit diesen Worten einfach stehen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich war gerade am flüchten und wusste nicht einmal vor was. Er war doch einfach nur nett zu mir. Absolut bedeutungslos. Oder? Vielleicht machte sich auch irgendwie ein Teil in mir nur sorgen um ihn. Immerhin sah er vor wenigen Minuten noch so aus, als würde er im nächsten Moment aus den Schuhen kippen. Ja, das musste der eigentliche Grund sein, warum ich mir immer noch Gedanken um ihn machte, obwohl ich schon die nächsten Teller zusammensammelte und die Essensreste von einem zum anderen Teller schob. Ein verstohlener Blick warf ich zurück zur Küchentür und meine Augen trafen direkt auf seine. Marco stand immer noch dort wo ich ihn verlassen hatte. Ich fühlte wie meine Wangen rot wurden und ich verschämt zurück auf den Abfall schaute. Meine Hände zitterten und fahrig kratzte ich mit einer Gabel weitere Reste von einem Teller auf den nächsten. Was war nur mit mir los? Und warum sah er mich immer noch an? Ich wusste nicht wer er war und welchen Status er hatte, doch war er ganz offensichtlich mit meinem Bruder befreundet. Er konnte also nur Fußballer sein oder ein Kollege, vielleicht auch einfach nur ein Vertragspartner oder was weiß ich. Bestimmt aber gehörte er nicht zum gemeinen Fußvolk. Die wenigsten hier auf der Party waren aus dieser Schicht. Ricardo hatte zwar einige eingeladen die ich kannte, doch der größte Teil war viel zu geleckt, als dass man ihn hätte kennen mögen. Menschen fern ab von der Realität. Fern meiner Realität. Die Realität, die mich schon nächste Woche wiederhaben würde, wenn ich mit meinen Eltern zurück nach Cuba fliegen würde und erneut den Kampf antreten würde, meinem Vater zu erklären, dass ich nicht die Frau von einem Arzt werden wollte. Bei diesem Gedanken war Marco plötzlich weg und in mir stieg Wut auf. Jahre hatte ich damit verbracht eine gute Schülerin zu sein. Ein Studium zu machen und das Ziel stand schon vor der Tür. Ich wollte Ärztin werden und das bitte in einem Krankenhaus. In dem ich sein konnte was ich gelernt hatte. Anerkennung für meine Arbeit bekommen. Menschen helfen. Und überhaupt, schon gar nicht in Cuba. In keinem meiner Pläne stand drin, die Frau eines Arztes zu werden, der eine kleine schmutzige Praxis in unserem Dorf hatte. Das war der Plan von meinem Vater. Das allerschlimmste aber war, mein Bruder übernahm plötzlich die Meinung unseres Oberhauptes. Er hatte so viel Geld in meine Ausbildung gesteckt und auf einmal war es ihm wichtig, dass ich eine gute Partie für jemanden wurde. In meinen Augen waren sie alle irgendwie am Durchdrehen. Mit all der Wut im Bauch sah ich zu Ricardo rüber, der gerade dümmlich über etwas lachte. Seine Frau gesellte sich zu ihm. Sie stand neben ihm wie eine Puppe. Zurecht gemacht und ausdruckslos. Eine Marionette. So eine Marionette, wie man gerne auch aus mir machen wollte. „Maldito niemals" zischte ich zwischen meinen Zähnen hindurch und schüttelte angewidert mit dem Kopf. Das Thema wurde auch erst noch am Abend zuvor lautstark beim Essen besprochen. Natürlich über meinen Kopf hinweg, gerade so als wäre ich überhaupt nicht im Raum gewesen. Die zwei Männer hatten große Vorstellungen von meinem Leben, doch an keinem Punkt wurde ich gefragt. Die Krönung der Unterhaltung war dann, dass mein Bruder mir zu verstehen gab, würde ich mich nicht endlich mit Pablo treffen, würde er mir das letzte Ausbildungsjahr nicht bezahlen. Er gab mir eine Frist von vier Wochen bis nach meinem Besuch in Deutschland. Ich war aufgestanden und wollte Einspruch erheben, doch bei einem Blick auf meine Mutter wusste ich, dass auch sie dergleichen Meinung war, dass die Idee der zwei Herren am besten für mich wäre. Mit Tränen in den Augen ging ich in mein Zimmer und nur mein Pflichtbewusstsein holte mich dort wieder raus. Es brannte verdächtig in meinen Augen und ich packte entschlossen nach dem Stapel Teller vor mir. Die Dienstmagd in mir nahm ihre Arbeit wieder auf und ich schmunzelte nachträglich über den Spruch den ich zu Marco sagte. Ich hätte schon schlechtere Jobs gehabt. Nein, dieser hier war mit Abstand der schlechteste. Denn an ihm hing so verdammt viel von meinem Leben. Marco war von der Küchentür verschwunden und ich merkte wie es mich traurig machte. Ich hätte nach all meinen miesen Gedanken gern noch einmal in seine strahlenden Augen geschaut und mich verzücken lassen von seinem aufrichtigen Lächeln. „Tiana!" wurde mein Name laut durch den Raum gebrüllt und ich konnte die Stimme direkt meinem Bruder zuordnen. Schnell stellte ich die Teller ab und ging in die Richtung aus der sie kam. „Tiana wo bist du?" – „Hier!" brüllte ich über die Musik zurück, die irgendjemand lauter gedreht hatte. Ricardo stand mitten im Raum, die Leute um ihn hatten Abstand genommen und er streckte mir seine Hand entgegen. „Hier ist sie, die beste Tänzerin, die ich kenne. Lass uns zeigen was wir können. Ich habe nichts verlernt. Ihr mögt es nicht glauben, aber tanzen ist wirklich gut für eine geschickte Beinarbeit beim Fußball" er lachte laut auf und man konnte den ein oder anderen dummen Spruch hören, der ihm entgegengebracht wurde. „Komm schon Tiana. Mach mir den Gefallen. Du schuldest ihn mir". Wumm und schon wieder hatte er es getan. Mich daran erinnert, was ich ihm doch alles schuldete. Missmutig und lustlos griff ich nach seiner ausgestreckten Hand und ließ mich von ihm ran ziehen, um gleichzeitig wieder in einer gekonnten Drehung von ihm abgestoßen zu werden. „Lächle für die Leute Hermanita" und ich tat was er mir befahl.
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Cubanische Nächte ... sind anders
FanfictionMarco Reus, der smarte Fußballer, ist auf einmal gar nicht mehr so smart, seit er in die Augen von Tiana geschaut hat. Die rassige Kubanerin hat ihm gehörig den Kopf verdreht und das ist alles nicht ganz ungefährlich. Nicht nur, dass Tiana unter dem...