4. Ich werde gerufen

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Zoe

Als ich am nächsten Morgen aufwache ist das erste, was ich sehe, eine Holzdecke. Die braunen Balken irritieren mich zunächst, bis mir einfällt, dass ich gar nicht zu Hause in meinem Zimmer bin. Langsam schweifen meine Gedanken zum letzten Abend. Wir waren von den Kindern des Hermes freundlich empfangen worden. Ein paar hatten zwar die Augen verdreht, als es hieß, dass wir „noch nicht entschieden" sind. Doch später haben wir herausgefunden, dass das bei Hermes eine Art Tradition ist, die noch aus der Zeit stammt, als die Hütte ständig überfüllt war. Danach sind wir zum Abendessen gegangen, bei dem der Tisch der Aphroditehütte leer geblieben war. Chiron hat eine kleine Ansprache gehalten, von wegen, dass er stolz auf uns alle sei und, dass die Aphroditehütte sich für heute entschuldigen würde. Dann hat er noch angekündigt, dass morgen ein Spiel namens Eroberung der Flagge stattfinden würde, was für einigen Jubel unter den Campleuten gesorgt hat. Am Lagerfeuer danach war es auch recht schön, wir haben uns alle einander noch mal vorgestellt und irgendwer hat, als er oder sie gehört hat, dass Zane und ich noch unentschieden sind, einen blöden Witz gemacht. Von wegen, dass die Götter sechzehn Jahre nach ihrem Versprechen langsam rückfällig würden. Niemand wollte uns erklären, was das bedeutet. Alles in allem war es ein echt schöner Abend, nur anerkannt wurden wir nicht.

Nachdem ich das gedacht habe erschallt von draußen eine Horn und die Hütte wird auf einen Schlag lebendig. Alle stehen auf einmal auf und machen sich für das Frühstück fertig. Wobei mein einziger Bruder natürlich meine Klamotten verstecken muss. Ich schaue ihn wütend an und boxe gegen seine Schulter. Er verzieht scherzhaft das Gesicht: „Das gibt ein paar neue blaue Flecken." Dann gehen wir zum Frühstück und ich sehe, dass ich bei weitem nicht die Halbgöttin mit den zerknittertsten Klamotten bin. Die Ganze Aphroditehütte kommt geschlossen zum Frühstück und auch Piper sitzt neben ihrem Mann und ihrer Tochter am Tisch des Zeus, zumindest glaube ich das. Alle sehen nicht unbedingt so aus, wie man sich Kinder der Göttin der Schönheit vorstellt. Das Ganze sorgt natürlich für einigen Gesprächsstoff, auch am Tisch des Hermes. Zane und ich beteiligen uns nur mäßig an der Unterhaltung. Ich würde es nie zugeben, aber ich habe schreckliches Heimweh und meinem Zwilling geht es mit Sicherheit genauso. Irgendwann erzähle ich Lukas, dem Hüttenältesten, von meiner Vermutung, dass die Kräfte der Kinder der Aphrodite einfach verschwunden sind. Er nickt: „Gut möglich, Chiron hat für heute Mittag eine Besprechung der Hüttenältesten einberufen, sowas findet hier eigentlich kaum noch statt." Dann wenden wir uns beide wieder unserem Essen zu, bis das Frühstück vorbei ist.

Nach diesem stehen Zane und ich etwas unschlüssig vor dem Pavillon. Marie ist wieder mit den Kindern des Thanatos verschwunden. Sie scheint uns aus irgendeinem Grund nicht mehr zu beachten. Auch die Kinder des Hermes sind verschwunden und wir wissen einfach nicht, was wir machen sollen. Zumindest, bis Piper irgendwann auf uns zu kommt. Sie hat sich seit dem Frühstück umgezogen und sieht trotz allem umwerfend aus. Das sage ich ihr auch, aber sie verzieht das Gesicht zu einer Grimasse: „Ich war das erste Mal in meinem Leben auf Jasons modisches Talent angewiesen, weil ich die ganze Zeit nur Dinge aus dem Schrank gezogen habe, die überhaupt nicht zueinander passen." Erklärt sie: „Dabei habe ich mir noch nie viel aus modischer Kleidung gemacht." Eine Tochter der Aphrodite, die sich nicht für sowas interessiert, für mich ist das nur schwer vorstellbar. Andererseits, was weiß ich schon über Götterkinder. Piper sieht aber auf jeden Fall wieder fröhlicher aus. „Dann wollen wir mal eine Waffe für euch aussuchen." Erklärt sie betont fröhlich und lacht über unsere verwirrten Gesichter. Von einem Moment auf den Anderen ist sie wie ausgewechselt. „Alle Halbgötter haben ihre eigenen Waffen und alle haben sie sehr oft benutzt. Deshalb gehen wir jetzt zur Waffenkammer und suchen euch welche aus." Erklärt sie uns und bedeutet uns dann ihr zu folgen. Mühelos, wie schon die letzten Male, bewegt sie sich zwischen den Gebäuden. Ab und zu grüßt sie ein Halbblut, das vorbeikommt. Es wirkt, als wäre sie mit diesem Ort regelrecht verschmolzen. „Wie lange sind du und dein Mann schon hier?" Mein Bruder scheint das selben zu denken, aber im Gegensatz zu mir traut er sich zu fragen. „Seit gut fünfzehn Jahren kommen wir jeden Sommer hierher." Erklärt sie uns. „Nur, dass ich vorher schon zwölf Jahre bei der 12. Legion Fulminata war." Fügt plötzlich eine Stimme hinzu, die zu Jason gehört. Er steht vor einer der Hütten, die irgendwie nicht sehr wohnlich aussieht. Ich vermute, dass es sich dabei um die Waffenkammer handelt und das Piper auf sie zugeht bestätigt meine Vermutung. Sie öffnet die Tür mit einem speziellen Schlüssel und stößt sie nach innen auf. Schweigend folgen wir ihr ins Innere und ich vergesse ganz, dass ich sie eigentlich noch fragen wollte, was die 12. Legion Fulminata ist.

Als wir eintreten umfängt uns die kühle staubige Luft sofort. Hier drin ist es viel dunkler, als in den Hütten, in denen ich bisher war. In dem wenigen Licht, dass durch ein verstaubtes Dachfenster hineinfällt tanzen die Staubkörner, die wir auf unserem Weg aufwirbeln. Die Wege sind einiger Maßen frei, doch auf den Regalen links und rechts liegt zum Teil fingerdick der Staub. „Bei den Römern würdet ihr jetzt etwas anderes zu sehen bekommen." Murmelt Jason vor sich hin und Piper boxt ihn in die Seite. „Bei den Römern wäre erst einmal ein Teddybär verbrannt worden, bevor sie überhaupt irgendwas zu sehen bekommen hätten." Schränkt sie ein. Wieso sollten die Römer Teddybären verbrennen? Und wieso reden sie überhaupt über die Gewohnheiten der Bewohner der italienischen Hauptstadt? Bevor ich das alles Fragen kann höre ich plötzlich ein Geräusch. Schneller als ich es für möglich gehalten hätte fahre ich herum, aber da ist nichts. Nur dieses Rauschen, das auf einmal in der Luft liegt ist immer noch da. „Zoe", flüstert es, kaum hörbar aber doch verständlich. Die Anderen schauen mich verwundert an, aber ich achte gar nicht darauf. Für mich gibt es nur noch diese Stimme, die mich aus irgendeinem unerfindlichen Grund zu sich ruft.

Zane & Zoe - die zerbrochene GöttinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt