„Was ist mit dem Kellerfenster?", schlug ich vor. Aber nein. Die Treppe hinunter befand sich dort, wo die Wand instabil wirkte. Trotzdem schaute Titus zurück, zur Toilette. In der Mauer befanden sich tiefe Risse, die Tür zur Toilette lag mitten im Flur. Nichts trennte mehr die Speisekammer zum Waschbecken, das zwischen Bananen, Mehl und Nudeln zerbrochen war. Staub und Ruß schwebte in der Luft, Hitze brachte alles zum Fliegen.
Ein bedrohliches Knarzen erklang über uns, ein Riss zog sie durch die Decke bis zu uns hinüber. Plötzlich rief Titus: „Bei drei rennen wir." Es war ein Befehl. Mir war klar, dass es die einzige Lösung war, doch wie sah das Wohnzimmer aus, wo er hin zeigte?
Trotzdem nickte ich. Lieber mit Brandwunden überleben, als von zwei Stockwerken begraben zu werden. Alea zitterte trotz der Hitze noch mehr, sie hatte verstanden. Erneut gab es ein bedrohliches Geräusch. Regale aus der Speisekammer kippten und Orangen fielen in Richtung Keller, dessen Weg durch die Wand, die den Blick auf die Toilette verhindert hatte, versperrt war.
Eine Sirene heulte plötzlich auf, ein kurzes Geheule und die Stadt lag wieder in der Stille der Nacht. Trotzdem, ein Hoffnungsschimmer für uns alle. Irgendwo gab es wache Nachbarn. „Eins...", begann Titus, seine Stimme versagte. Die Sirene kam näher, mein Griff um die Schachtel festigte sich. Meine Hände waren nass geschwitzt. Es war so unerträglich heiß.
„Zwei..." Titus Blick wanderte zu den Flammen, die so hell und unermüdlich an den Küchenschränken fraßen. Die Garderobe bekamen sie nicht zu fassen, noch waren wir geschützt – vor den Flammen. Die Decke schien über uns zu zittern, als würde sie uns mit letzter Kraft beschützen wollen.
„Drei!", rief Titus und sprang auf. Seine Jacke zog er in der selben Bewegung weit ins Gesicht. Gebückt und blitzschnell versuchte er jeglichen Flammen auszuweichen. Alea tat es ihm nach. Keinen Herzschlag nach ihnen lief ich, hinein in die Flammen, und dann Opa.
Hitze überkam mich, mein Herz raste. Eine Explosion erklang, ein Knall. Ein Küchenschrank rechts von mir kippte, mit ihm die Decke. Ich stolperte weiter, die Kiste fest umklammert. Angst schürte meine Kehle, voller Panik raste ich auf die Terassentür zu.
Titus riss sie auf, war draußen. Dann Alea. Dann ich. Dann Opa.
Ich spürte die Scherben in meinen Fußsohlen kaum. Die Hitze, die meine Haare und Kleidung fraß. Der Rauch in meiner Lunge. Es war egal.
Wir fielen ins Gras, weit weg vom Haus, vielleicht nicht weit genug. Wir schnappten nach Luft, husteten, röchelten, bluteten an den Füßen. Wir hatten es geschafft.
Dicke, graue Ascheflocken fielen vom Himmel. Das Haus stand schief und die Hitze war noch immer gewaltig zu spüren. Die Flammen erleuchteten alles. Ich sah auf Papas Kiste, die ich ein wenig zerquetscht hatte. Ich sah Alea mit unseren Kuscheltieren, Titus mit einem Rucksack und Opa, der versuchte, seine Brille an seinem verschmutzten Pyjama zu putzen.
"Wir müssen weiter weg", sagte ich. "Bevor das Haus zusammenstürzt."
In diesem Moment hielten die Sirenen neben uns auf der Straße. Feuerwehrmänner sprangen heraus, Schläuche wurden ausgerollt. Kommandos brüllten durch die Nacht. Man fragte uns, ob noch jemand im Haus war, mehr schreiend als freundlich. Alea begann zu weinen, drückte sich an die Kuscheltiere.
Man brachte uns zur Straße, wo zeitgleich Rettungssanitäter eintrafen. Mir wurde schwindelig von all den Lichtern, von den Stimmen. Alles war durcheinander.
Ein Wasserstrahl wurde direkt in die Küche gerichtet, ein zweiter daneben Richtung Wohnzimmer. Die Wände zitterten und bebten, sie hielten nicht stand. Das Haus, das bereits keines mehr gewesen war, wackelte und jammerte. Ein dritter Wasserstrahl traf die kraftlose Wand, das Ende.
Es schien mir wie Zeitlupe vorzukommen, da brach alles wie ein Kartenhaus zusammen. Staub wirbelte auf, Flammen streckten ihre Gier gegen den Himmel, Wind blies sie Richtung dem nahen Nachbarhaus, dass plötzlich so alleine stand.
Ehe es passiert war, war es vorbei. Vor uns lag eine Ruine, keine Gemeinsamkeit mit unserem Heim. Mit offenen Mund starrte ich an den Ort, wo mein Zimmer gewesen war. Das Bad, das Schlafzimmer, die Küche, das Wohnzimmer. Wie konnte alles nur so schnell vergehen?
Alle Kraft wich aus meinen Körper, die Ohnmacht siegte. Ich sackte zusammen und starrte Richtung Himmel, bis all die blinkenden Lichter der verschieden Wägen verschwanden. Alles verschwand, selbst der Schmerz. Nichts war mehr da, nur Dunkelheit.
Ein Schrecken durch fuhr meinen Körper. Ein Zucken, ein Schütteln. Hustend riss ich meine Augen auf. Es blendete. Mein Herz raste. Obwohl es die ganze Zeit auf Hochtouren gearbeitet hatte, schien es eben erst zu beginnen. Mein Atem ging flach, ich blinzelte. Wo war ich?
Lampen beleuchteten den Raum, ich starrte an die strahlend weiße Decke. Ich hustete und würgte beinahe. Es war schmerzvoll.
Eine Tür öffnete sich. Stimmen ertönten, doch ich hörte nur mich – wie ich hustete und mit dem Atmen kämpfte. Eine Krankenschwester kam auf mich zu. "Hier, ein Glas Wasser."
Durstig trank ich es mit wenigen Schlucken aus. Dabei erst realisierte ich vollständig, dass ich mich in einem Krankenhaus befand. Mein Kopf war schwer und erschöpft, doch er ließ sich bewegen. Links von mir schien die abendliche Sonne herein und durchflutete den Raum mit noch mehr Licht. Auf der anderen Seite verdeckte die große Krankenschwester den Blick auf ein weiteres Bett. Sie trat zur Seite, um den Blick freizugeben.
„Deine Schwester, sie schläft noch."
Das sah ich auch. Man hatte ihr die Füße verbunden, ansonsten sah sie ganz friedlich aus. Die beiden Kuscheltiere waren mit ihr im Bett.
„Wir haben ihr, und auch dir, etwas zur Beruhigung gegeben", erzählte die Krankenschwester.
Mein Blick fiel auf meine eigenen Füße, die ebenfalls verbunden waren. Ich erinnerte mich an die ganzen Scherben auf dem Boden, aber nicht, dass wir uns ernsthaft verletzt hatten.
"Deinem Bruder geht es auch gut, ähnlich wie dir. Er ist zwei Zimmer weiter, gemeinsam mit deinem Opa, der kaum verletzt ist. Er trug Pantoffeln, hat er gesagt." Sie schmunzelte. "Möchtest du noch mehr zu trinken? Du hast eine Rauchvergiftung, aber das wird wieder. Der Arzt wird dir alles genauer erzählen, wenn du möchtest. Soll ich deine Mama holen?"
"Mum?" Ich blinzelte. Sie war hier?
Die Krankenschwester nickte und ging zur Tür. "Ich hole sie."
Während sie weg war, tastete ich meinen Hals ab. Er war so wund, dass er sich fast wie ein fremdes Körperteil anfühlte. Dann fiel mir auf, dass mein Handy auf dem Nachtisch lag, mein Ausweis und Papas Kiste. Man hatte sie hierher gebracht.
Ich hatte drei SMS von Thea, etwa fünf verpasste Anrufe von ihr, zwei von Steffi und einer von Lisa. Und eine SMS von einer unbekannten Nummer: „Mein herzliches Beileid, es tut mir so leid! Scheiß auf alle, die sagen, die Zeit heilt alle Wunden! Nike"
Erschrocken rutschte mir beinahe mein Handy aus der Hand. Woher hatte er meine Nummer? Woher wusste er Bescheid? Und verdammt, wie Recht er doch haben musste! Ob seine Mutter hier lag? In welchem Krankenhaus war ich eigentlich?
Mein Kopf schwirrte und begann zu schmerzen. Müde ließ ich mich zurück ins Kissen fallen. Alea lag noch immer so wie vorhin da. Bei ihr sah das Bett gemütlich aus, für mich fühlte es sich nur wie eine einfache, zu weiche Matratze an, bei dem das Kissen zu hoch und die Decke zu warm war.
Um mich abzulenken, las ich die Nachrichten von Thea. In der ersten fragte sie, was mit mir los wäre. Sie hatte sie kurz nach Schulbeginn gesendet, vermutlich wollte sie wissen, warum ich nicht im Unterricht war. Die nächste war interessanter: „Niklas hat's mir erzählt! OMG, es tut mir so leid! :O Mein Beileid. Willst du reden? Soll ich am Nachmittag vorbeikommen?" Mein Kopf begann, sich die wildesten Szenen auszudenken, wie Niklas ihr von meinem Dad erzählt hat. Ob er in der Pause zu ihr gekommen war? Ob sie ihn gefragt hatte? Hatte er ihr die Nachricht heimlich zugesteckt oder offen mit ihr gesprochen?
Ehe ich die letzte SMS lesen konnte, wurde die Tür aufgeschlagen. Es war Mum, die zu mir rannte und mich sofort in eine kräftige Umarmung schlang. Ich lachte, weinte, lachte.
"Jemand wollte uns umbringen", flüsterte ich leise. "Zweimal schon."
DU LIEST GERADE
Mimula Undercover
ActionDer Alltag zwischen normaler Schule und Geheimagentenausbildung ist manchmal etwas schwierig zu meistern, besonders wenn sich der Traumtyp an die Klassenzicke ranmacht. Aber was ist noch Alltag, wenn der Vater aus einem Auslandseinsatz nicht mehr zu...