[Connor] Instabil

115 4 0
                                    

9. November 2038 am Abend.
Ich hatte mich dazu entschlossen noch einmal nach Hank zu sehen. Für mich war er zu einem Freund geworden, also wollte ich mich von ihm und seiner Nichte verabschieden. Es war unklar, ob ich meine Mission erfolgreich und unbeschädigt abschließen würde. Vielleicht versagte ich auch.

Nun stieg ich aus dem Taxi aus und richtete zuvor meine Androiden Kleidung, die ich später gegen andere eintauschen sollte.
So ging ich hinüber zur Tür, klingelte und wartete.
„Ich mach schon auf!", kam es dumpf an meinen Audioprozessor und erkannte, dass es Emelys Stimme war.
Die Haustür sprang auf und sie stand etwas erstaunt vor mir. Aus programmiertem Reflex lächelte ich leicht und ihre kleinen Blutgefäße im Gesicht weiteten sich. Ob sie wütend auf mich war?
„K-komm rein, Connor... Hank ist gerade mit Sumo unterwegs." Sie trat zur Seite und lies mich ein. Im Anschluss schloss sie die Tür. „Er meinte du müsstest zu einer wichtigen Mission."
„Das werde ich auch, nur wollte ich mich von Ihnen beiden verabschieden. Ich werde nach dieser auch nicht mehr wieder zurückkommen.", sagte ich ruhig, doch etwas wollte nicht.
Die Frau, die nun vor mir stand schien nicht davon begeistert und ich legte fragend meinen Kopf schief.
„Schau bitte nicht wie ein Welpe.", nuschelte sie und wieder war diese verwirrende Röte in ihrem Gesicht. Es musste doch etwas passiert sein.
„Miss Flynn... scheinen Sie auf etwas oder jemanden wütend zu sein?", wollte ich mich erkundigen und würde ihre Reaktion genauestens beobachten.
„Was? Nein! Ich meine... warum sollte ich?" Sie klang unbeholfen und das passte nicht zu ihr. Sie war wie neu erstellt - oder wie Menschen sagen würden; wie ausgewechselt. Ich lies darauf hin meinen Blick etwas schweifen und erkannte auf dem Tisch zwei Gläser und eine Flasche von schottischem Whisky. Daraufhin scannte ich das Gesicht der Frau, doch konnte ich keine Spuren vom Ethanol erkennen.
„Wie lange bleibt Hank für gewöhnlich mit Sumo fort?", erfragte ich.
„Ich weiß es nicht. Manchmal eine halbe oder ganze Stunde.", rief sie und stand dann vor der Küchenzeile, nachdem sie dort hin gegangen war. Wie ich sie beobachten konnte machte sie gerade Abendessen fertig. Hank hatte wirklich eine verantwortungsvolle Nichte.
Ich jedoch hatte keine wirkliche Zeit mich weiter damit zu beschäftigen und zu warten. Denn mein Befehl war den Frachter in dem sich die Abweichler versteckt hielten ausfindig zu machen. Doch wenn ich mir doch die Kleidung von Hank nahm, wäre vielleicht genug Zeit um auf ihn zu warten damit ich mich verabschieden konnte. Zur Ferndale Station war es nicht weit.
„Miss Flynn, ich bräuchte neue Kleidung für meine Mission. Könnte ich mir welche von Hank ausleihen? Selbstverständlich würde CyberLife dafür aufkommen.", fragte ich höflichst und wartete.
Langsam drehte sie sich um und legte ein Messer beiseite, das sie wohl gerade benutze.
„Ich bin nicht die Herrin hier im Hause... aber ich denke über neue Klamotten würde er sich freuen." Sie lächelte mich an und ich wagte sie noch einmal zu scannen. Das blaue Blut Ellas war für das menschliche Auge nicht mehr zu sehen, nachdem es oxidierte, doch ich konnte es noch gut an ihrer Haut erkennen. Dafür hatte ich auch eine spezielle Funktion, die es mir ermöglichte so etwas sichtbar zu machen. Außerdem fiel mir auf, dass die Kleidung der jungen Frau heute besser passte.
„Ist etwas, Connor?", wollte sie wissen und ich sah sie freundlich an, wie mein Modul von mir verlangte.
„Nein.", sagte ich schnell und setzte zum Gehen an. „Ich bin dann in Hanks Schlafzimmer."
Nach diesen Worten tat ich es auch und schaute mich etwas um. Hier hatte Miss Flynn sicher nie aufgeräumt, denn alles sah noch genauso aus wie am Tage des Suizidversuchs. Oder hatte es einen anderen Grund, warum sie hier nichts tat?
Ich ging an den Schrank, schob ihn auf und betrachtete die Kleidung. Ich wusste nicht was Menschen anziehen würden oder Abweichler. Die bisherigen besaßen jene die gestohlen hatten oder im Falle des Eden Club, die für sie selbst Vorgesehene. Es war auch nicht vom System vorgesehen, dass ich jemanden Tipps bezüglich seiner Garderobe gab.
Also nahm ich das Erstbeste, dass meine optischen Einheiten erhaschten und zog es auch an. Die Tatsache, dass ich kleiner als mein Partner war, störte mich nicht. Dazu hatte ich keine Programmierung.
Ich hielt mich dann nicht weiter als nötig im Zimmer auf und ging hinaus, dabei nahm ich die andere Kleidung mit. Zeitgleich kam Hanks Nichte aus dem Bad und trug nun andere gemütliche Kleidung. Das war ungewöhnlich, wo die andere ihr deutlich besser saß.
Nun schien sie mich zu mustern.
„Du willst SO doch nicht rausgehen oder?" Sie fing an zu kichern und ich schaute an mir herunter. Was fand sie daran lustig. „Du bist für diese Kleidung zu schlank. Du siehst aus als hättest du einen Kartoffelsack an."
Fragend zog ich meine Brauen hoch. Mit diesen Redewendungen war ich einfach nicht vertraut. Welcher Mensch trug schon Kartoffelsäcke?
„Warte bitte einen Augenblick und setz dich, falls du noch Zeit hast", bat sie mich und hatte noch keinen Befehl bekommen, das Haus zu verlassen, also tat ich, was die junge Frau wollte. So setzte ich mich auf das Sofa und lies meinen Blick noch einmal durch das Haus schweifen. Hier sah es ordentlicher aus. Auch die Musiksammlung Hanks war richtig aufgestellt und es schien, als sei der Schallplattenspieler wieder benutzt worden. Dies war ein altes Gerät und mein Registrieren gab an, dass es schon mindestens fünfundfünfzig Jahre alt war. Dieser Mann musste einer der letzten sein, die so eine alte Musikkonsole besaßen.

Ich hörte dann Geräusche als ob jemand auf dem Dachboden umherlief. Offenbar suchte Miss Flynn nach etwas. Aber warum machte sie sich wegen eines Androiden so viel Mühe?
Nach ungefähr einer viertel Stunde vernahm mein Audioprozessor ein weiteres lautes Geräusch, als ob jemand etwas zu Boden geworfen hätte. Etwas sehr großes und Schweres. Dies lies mich aufstehen, denn es konnte ja sein, dass dieser Dame etwas passiert war.
„Miss Flynn?" Ich klang ungewohnt besorgt. Vielleicht hatte mein Modul eine kleine Fehlfunktion.
Nachdem ich zur Stelle gegangen war, sah ich, dass sie gerade eine Leiter herunterstieg. Danach schaute ich zum Boden und entdeckte einen großen schwarzen Koffer, welchen sie auch gleich danach nahm. Dort waren mit Sicherheit einige alte Dinge ihres Onkels verstaut.
„Komm mit, wenn du willst.", sagte sie und ich folgte ihr ohne zu zögern, während sie den scheinbar schweren Koffer trug. Er wurde in der Wohnecke auf den Wohnzimmertisch gelegt und aufgemacht. Kleidung die in Plastik verstaut war kam zum Vorschein und Miss Flynn nahm vorsichtig jedes einzelne Stück raus.
„Oh... Black Sabbath.", murmelte sie in sich hinein und betrachtete kurz ein eingeschweißtes T-Shirt.
Dann machte sie einen Plastiksack auf und gab mir etwas Schwarzes in die Hand, nachdem ich meine Uniform vorsichtig auf das Sofa legte. Hiernach entfaltete ich es und kam zum Entschluss, dass es sich um einen Pullover mit sehr breitem und lockeren Kragen handelte, der noch sehr gut erhalten war.
„Hank... bewahrt seine Lieblingsstücke so gut auf, dass man sie sogar noch nach hundert Jahren einfach anziehen kann.", erklärte sie und grinste. „Zieh's an."
Ich legte es kurz zur Seite und entledigte mich der Jacke, wie dem unsauber gemustertem Hemd. Als ich den Pullover nahm, sah ich kurz zur Frau, die wieder geweitete Gefäße auf den Wangen aufwies, während sie mich anschaute. Da sie aber auf Ratschläge von mir nach meinen Erfahrungen negativ reagierte, beließ ich es dabei.
Emely trat dann zu mir und blickte mich wieder an. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.
Aber schon hatte sie ihre Hände an den Kragen gelegt und schien ihn zu richten.
Sie lächelte dabei und mein Sozialmodul lies es mich erwidern.
Anschließend lies sie von mir ab und ich beobachtete weiter ihr Tun. Eine dunkelbraune Lederjacke kam zum Vorschein, als sie weiter im Koffer herumkramte.
„Da wird er eh nicht mehr reinpassen." , murmelte sie und drehte sich dann wieder zu mir. Meine optischen Einheiten fielen auf das weiße Hemd. Ohne Worte schritt ich zu diesem und nahm es hoch, um es anzuziehen.
„Wirklich? DAS willst du über einen Rollkragen tragen?" Die Rotbraunhaarige klang skeptisch. Hank würde so etwas tragen. Etwas unsicher schaute ich sie an, wie mein Modul verlangte. „Du machst meinem Onkel wirklich alle Ehre in Sachen Kleidungsgeschmack."
Danach kicherte sie. Menschen waren vollkommen irrational und undurchsichtig. Dennoch zog ich das Hemd an und lies es auch offen. Hiernach wurde die Jacke genommen und übergezogen.
Zu diesem Zeitpunkt war ich nicht sicher, ob sie eine Vorahnung hatte, um welche Mission es sich handelte. Doch war dies eigentlich offensichtlich - meiner Tarnung wegen.
„Jetzt siehst du besser aus...", sagte sie aber ihr Gesichtsausdruck meinte etwas anderes. „Was willst du eigentlich tun mit der Aufmachung?"
Wie meine Sozialkomponente verlangte setzte ich mich wieder und sah sie von unten herauf an. Mein Anweisung durch das Programm war anschließend, dass ich ihr grob erzählen durfte, was mein Auftrag war. Notfalls war eine Lüge auch erlaubt, denn ich hatte mich so gut es ging an die Menschen angepasst.
„Ich treffe mich mit dem Abweichler-Anführer und wir sprechen über die Zukunft eins jeden. Für Mensch und Abweichler.", erklärte ich und da man selbst wusste, da sie mit den Fehlgeleiteten sympathisierte, war es der bessere Weg sie in Sicherheit zu wissen.
Mit einer hochgehobenen Braue sah sie mich an und setzte sich neben mich. Ich folgte ihrem Gesicht mit meinem Blick.
„Ich werde ihnen schon nichts tun." Langsam konnte ich beobachten, dass sie sich damit abzufinden schien. Etwas in mir wollte wissen, was in diesem Menschen vor sich ging, doch dieses Feature war nicht ausgestattet worden oder sogar gewollt.
„Dann solltest du etwas auf dem Kopf tragen, was deine LED verdeckt... da draußen gibt es viele Menschen, die nur darauf warten einen Androiden zu zerstören.", warnte sie mich
Nachdem sie gesprochen hatte, stand sie auf und ging sie in Richtung der Haken im Flur an denen Jacken und Mützen hingen. Dort nahm die junge Frau eine dunkle Wollmütze und trat dann abermals zu mir. Erwartend sah ich sie an und schon setzte sie mir diese auf. Demnach strich sie mir leicht die Strähne unter diese und sah mich dabei eigenartig an.
Schon wieder dieser Blick.
Dieses Etwas in mir bekam ein Verlangen, ihr die Wahrheit zu sagen. Wie ich auf Jericho gekommen bin und was ich wirklich vor hatte.
Nun setzte sie sich nochmals neben mich.
„Miss Flynn?" Ich schaute zu ihr und sie erwiderte den Blick. „Ich muss ihnen etwas sagen."
Die Augen der jungen Frau wurden groß. Meine optischen Einheiten blinzelten. Was ging in ihr nur vor?
„Es geht um Ella.", sprach ich weiter und sie schaute etwas zu Seite in Richtung des Tisches.
„Es tut mir wirklich leid, was mit ihr geschehen ist. Aber ich muss ihnen etwas Wichtiges sagen."
In meiner Programmierung wurde keine Einschränkung festgestellt und Emelys Haltung nach zu urteilen wartete sie.
„Ich habe in Ihrem Mantel den Datenspeicher von ihr gefunden und ihn dazu verwendet den Aufenthaltsort der Abweichler zu finden.", gab ich zu und schaute sie dabei an. Die Röte auf ihren Wangen schwand schnell und der Ausdruck in ihrem Gesicht entglitt ihr.

Lange sagte sie nichts, doch Tränen begannen über ihre Wangen zu rollen. Dann erhob sie ihren Kopf und schaute mich mich mit einem wiederum undefinierbaren Blick an.
„An dieser Stelle möchte ich dich bitten zu gehen, Connor." Ihre Stimme zitterte und bei der weiteren Betrachtung ihrer Körperhaltung griff sie fest in den Saum ihrer Kapuzenjacke. Diesmal war sie verärgert.
Mein neuer Befehl war nun, das Haus zu verlassen ohne sich auch nur eine Sekunde länger mit der Frau zu befassen. Doch etwas wollte hierbleiben. Dennoch stand ich auf und sah zu ihr herunter.
„Sei endlich eine brave Maschine und verschwinde!", wurde sie lauter. Etwas wollte sie ihr einen Arm um sie legen, doch die Anweisung verboten es mir. Eine rote Wand mit einem Befehl tat sich auf und mein Innerstes musste gehorchen. Meine Mimik zuckte dadurch unkontrolliert und wie gesteuert ging ich in Richtung der Haustür ohne Wort zu verlieren. Dort vernahm ich ein Schluchzen wahr und ging dann die Tür hinaus.

„Du bist nur eine Maschine!"
Ihre Stimme klang, wie ihre Haltung war; enttäuscht.
Kurz blieb ich stehen.

In wie weit war meine Software-Instabilität fortgeschritten?

Thirium und EisenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt