Der Tag der Toten

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Es war stürmisch. Der kalte Wind drückte gegen die heruntergekommenen Fensterläden und ließ sie immer wieder gegen die hölzernen Fensterrahmen knallen. Das Haus lag auf einer kleinen Lichtung mitten in einem dichten Mischwald. Viele Wege führten vom festgetretenen Vorplatz in die Dunkelheit der Nacht und ein alter Sandsteinbrunnen bildete das Zentrum des kleinen Platzes. Ein paar hölzerne Dielen führten auf eine Veranda und Feierlärm drang aus dem Fachwerkhaus nach draußen.

Dieses einsam stehende Gebäude war ein Gasthaus und als solches war es abends darinnen besonders laut. Ein prasselndes Kaminfeuer tauchte den Schankraum in einen goldroten Schein. Hier und dort flackerte eine Kerze behaglich und die Luft war erfüllt von Tabak, Biergeruch und dem Plausch der Gäste. Der steinerne Fußboden speicherte die Wärme des großen Kamins und einige Sessel und ein Sofa standen nahe der Feuerstelle. Einzelne Wandteppiche, Banner und Bilder schmückten die Wände und die Tische und Stühle waren aus massiver Eiche gearbeitet.

Ein molliger Wirt mit hellen Haarstoppeln stand in einer schmuddeligen Schürze hinter dem Tresen und wusch einige Humpen im Seifenwasser. Eine Schankmaid wand sich zwischen den unterschiedlichsten Personen hindurch und nahm neue Bestellungen auf. Man mochte sich hier fühlen wie im finstersten Mittelalter, doch war diese Bar nur ein wenig speziell und inmitten unserer Zeit.

Hier versammelten sich größtenteils Abenteurer, und in der heutigen Gesellschaft waren solche doch eher selten geworden. Das zählte hier allerdings nicht, mitten im tiefsten Schwarzwald, von Bäumen verborgen. Hier im größten Wald, der im Europa der Moderne noch existierte. Die Zeiten, in denen Europa ein einziger großer Wald war, lagen lange zurück, doch hier stand die Zeit ohnehin still. Verborgen vor dem Rest der Welt hielt dieses traditionelle Schankhaus die heroischen Werte alter Zeiten hoch, über welche bereits der Schleier zahlloser Legenden gehüllt ward. Eines der letzten Bollwerke wahren Mutes.

Ein großes schwarzes Brett – welches eigentlich eher braun war – hing in der Nähe des Tresens. Dort konnten Auftraggeber ihre Ersuche anpinnen und auf mutige Recken hoffen, die sie dann erfüllten. Man erkannte anhand eines Buchstabens die Schwierigkeit jeder Aufgabe. A war besonders herausfordernd, um E scherte sich jedoch kaum jemand. Wen interessierte schon, dass Großmutter Agathe ihre Glühbirne nicht hereingedreht bekam? Manche Menschen missverstanden die Alte Schenke. Es war ein Sammelplatz für Helden. Dies war keine eingetragene Gilde, oder gar ein Orden, aber insgeheim galt die Schenke doch als etwas dieser Art.

Entgegen der rustikalen Atmosphäre wunderten sich manche Personen vielleicht über den Getränkeautomaten neben dem schwarzen Brett. Immerhin führte dieser Automat auch Heil- und Manatränke. Aber selbst an einem so traditionellen Ort wie der Alten Schenke verzichtete man nicht auf jegliche Annehmlichkeiten, die nach der industriellen Revolution erfunden wurden.

Knarzend wurde die massive Schenkentüre aufgeschoben, und ohne dass besonders viele Menschen es mitbekamen, trat eine Frau mittleren Alters ein und schloss die Tür scheppernd. Ein kurzes Nicken gen Tresen, dann sah sie sich um und hielt auf einen Tisch in der Ecke zu. Jenen Tisch, an dem auch Adrian saß. Die Frau war bunt und jugendlich gekleidet, ihre Jeans wirkte zerschlissen, ihre Haut sonnengewohnt. Die auffällige Frau mit dem schwarzen welligen Haar wirkte sehr stark, spannte sich doch das gelbe Shirt mit dem bunten ausgewaschenen Aufdruck. Als sie sich Adrian gegenübersetzte, fiel eine Paillette vom Shirt-Druck ab und glitzerte einsam im Schein des Feuers, welches auch bis hier hinten den Raum erhellte.

»WIRT! Einen großen Humpen Bier auf meinen durstigen Bauch!«, rief sie in warmem bestimmten Ton durch den Raum und schlug dabei ihre rechte Faust auf den Tisch, dass der Kerzenhalter einen Satz machte und Adrian aus seinen Gedanken hochschreckte und der Frau in ihre wonnigen Gesichtszüge starrte.

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⏰ Last updated: Nov 25, 2018 ⏰

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Die sechste DämmerungWhere stories live. Discover now