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"Clint, sieh nur", Rabea stieß mir leicht ihren Ellbogen in die Seite und deutete mit der anderen Hand kurz auf eine kleine Gruppe vor uns. "Es geschieht schon wieder." Ihre Stimme war nur ein leises Hauchen. Ich schaute in die von ihr gewiesene Richtung, blieb jedoch nicht stehen und zog sie unauffällig weiter über den Campus. Man sollte nicht zu auffällig starren oder gar stehen bleiben und das ganze Geschehen beobachten, dies kam nie gut an und hatte bei den Soldaten schon das ein ooder andere Mal eine gewalttätige Handlung hervorgerufen.

Ich spürte, wie Rabea sich unter meinem Griff leicht verkrampfte und schaute prüfend zu ihr runter. Die Augen ängstlich weit aufgerissen starrte sie noch immer zu den drei schwerst bewaffneten Soldaten, welche gerade jemanden zwischen sich zu einem schwarzen Range Rover eskortierten. Einen jungen Mann, der alles andere als ruhig und gelassen wirkte. Es geschah schon wieder, jemand wurde zur Untersuchung abgeholt.

"Starr dort nicht so hin, Bea. Oder willst du, dass sie es merken?", ich sprach leise und versuchte sie von dem ganzen abzulenken. Niemand stellte sich den Soldaten der Regierung in den Weg und niemand wollte unmittelbar in der Nähe sein, wenn sie kamen und jemanden holten.

Sie nickte knapp und drehte ihren Kopf in einer ruckartigen Bewegung wieder nach vorn, sodass ihre kurzen braunen Haare in ihr Gesicht schwangen. "Was meinst du, wo sie die Leute immer hin bringen?" "Hör auf!", zischte ich etwas unsanft und schaute mich schnell um, ob jemand in unserer Nähe war und ihre Frage gehört haben konnte. "Sprich nicht darüber. Sie werden ihre Gründe haben und uns hat es nichts anzugehen. Oder willst du, dass sie als nächstes dich holen?" Tränen bildeten sich in ihren Augen und ich wusste, dass ich zu harsch gewesen war. Aber es war gefährlich in der Öffentlichkeit über Methoden der Regierung zu sprechen oder sie gar in Frage zu stellen.

Ohne auf ihre Gefühle einzugehen, verstärkte ich den Griff um ihren Arm etwas und zog sie noch schneller mit mir in Richtung des größten der vier Gebäude auf dem Gelände. Deutlich hörte ich ihr Keuchen, da sie mit meinen großen Schritten kaum mithalten konnte. Doch auch darauf konnte und wollte ich gerade keine Rücksicht nehmen. Wir mussten einfach so schnell, wie möglich in die nächste Vorlesung kommen und das Geschehene von gerade eben vergessen.

Es war schon das zweite Mal diese Woche, dass sie kamen und jemanden vom Uni-Gelände mitnahmen. Jemanden von der Bildfläche verschwinden ließen. Kaum merklich schüttelte ich den Kopf und versuchte diese Gedanken zu verbannen. Es stand mir nicht zu darüber auch nur nachzudenken.

Als Rabea sich schließlich versuchte von mir zu lösen, fiel mir auf, dass wir bereits vor der breiten Treppe zum Gebäude standen und ich ließ sie los. Ich sollte mich wahrscheinlich dafür entschuldigen sie so barsch mitgeschliffen zu haben, doch hatte ich es auch für sie getan. Sie war einfach viel zu liebevoll und emphatisch für diese Welt, kam mit solchen Situationen nicht wirklich zurecht und wäre wahrscheinlich einfach in eine Starre verfallen. Nicht auszudenken, wie das hätte enden können. Denn ob die Soldaten auf einen gaffenden Mann oder eine Frau einschlugen, um ihnen Respekt einzuflößen -wie sie es so schön rechtfertigten- war ihnen egal.

"Ich gehe dann mal in meine Vorlesung... Sehen wir uns später?" Eingeschüchtert klammerte sie sich an ihren eigenen Arm und schaute runter auf ihre Schuhe. "Ich werde hier auf dich warten und dann können wir zusammen gehen.", versuchte ich sie etwas aufzulockern, erhielt jedoch lediglich ein knappes Nicken als Antwort, bevor sie sich umdrehte und schnell die Stufen hoch eilte. Mit einem Kloß im Hals schaute ich der jungen Frau noch hinterher, ehe ich mich ebenfalls auf den Weg zu meinem Saal machte.

Angewandte Mathematik. Eigentlich ein Fach, welches mir Spaß machte, jedoch beschlich mich das Gefühl, dass ich mich heute nicht würde konzentrieren können. Viel eher wiederholte sich vor meinem inneren Auge immer wieder die Szene von draußen, wie der junge Mann abgeführt wurde, eingekesselt, wie ein Verbrecher.

~*~

Ungeduldig trommelte ich verschiedene Rhythmen mit den Fingern meiner rechten Hand auf meinem Oberschenkel. Ich saß nun schon seit einiger Zeit auf der Treppe vor dem Gebäude und wartete darauf, dass auch Rabea endlich Schluss hatte und wir den Heimweg antreten konnten. Ein Außenstehender hätte vermuten können, dass ich hier auf meine Freundin warte und es gar nicht mehr erwarten konnte sie endlich zu sehen. Wie sehr die Wahrheit doch nicht dieser Annahme entsprach...

Rabea und ich kannten uns schon vom Kindesalter an, wir waren nebeneinander aufgewachsen, unsere Mütter konnte man als beste Freunde bezeichnen, welche sich gegenseitig immer wieder bei allem Möglichen halfen und uns somit fast wie Geschwister aufwachsen ließen. Und genau aus diesem Grund saß ich mir hier nun den Hintern platt und beobachtete die verschiedensten Studenten, wie sie in kleinen Gruppen über den Campus schlenderten oder vereinzelt hektisch die Wege entlang eilten.

Meine Mutter hatte mir eingetrichtert auf Rabea zu achten, auf dieses kleine zarte Geschöpf aufzupassen. Und dazu gehörte nun mal auch die Begleitung auf dem Heimweg. Normalerweise störte es mich nicht, doch heute wollte ich nur noch hier weg und mich der trügerischen Sicherheit meiner Wohnung erfreuen. Dort konnte ich mir zumindest einbilden, dass mir niemand etwas anhaben oder mich holen konnte. Dort konnte ich gefahrlos meinen Gedanken nachhängen und musste nicht darauf achten was wer von mir denken würde.

Doch hier, mitten auf dem Campus in LA fühlte ich mich schon beinahe unheimlich beobachtet. Als würde jede meiner Bewegungen, Blicke und jedes meiner Worte genau dokumentiert und analysiert werden.

Wie von allein schnellte mein Blick in die Höhe, zu der Kamera, welche eine der Ecken des Überdachs zierte und den gesamten Eingangsbereich filmte. Von diesen Dingern fand man an jeder Ecke, jedem Haus und in jeder Unterführung eine. Die ganze Stadt -zumindest hatte es für mich den Anschein- wurde rund um die Uhr überwacht. Aber weshalb?

Laut der Regierung diente dies allein zur Bewahrung der allgemeinen Sicherheit und zur Sicherstellung des Friedens. Doch hegte ich mehr als nur kleine Zweifel, ob es wirklich hilfreich, geschweige denn zu diesem Zweck geschah. Allein die hohe Gewalt- und Kriminalitätsrate sprach eindeutig dagegen. Wenn ich genauer drüber nachdachte, dann...

"Hier bin ich. Ich hoffe du wartest noch nicht lange.", riss mich plötzlich Rabeas abgehetzt klingende Stimme aus den eigentlich verbotenen Gedanken und ich zuckte mehr als nur auffällig zusammen. Schnell sprang ich auf und versuchte nicht zu erwischt und unbehaglich zu wirken, schnappte mir meinen Rucksack und deutete stumm -Beas verwirrten und viel zu durchdringenden Blick ignorierend- mit einem Nicken an, dass wir uns auf den Weg machen konnten.

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⏰ Last updated: Nov 27, 2018 ⏰

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Inheritance - Das ErbeWhere stories live. Discover now