KAPITEL 1 - Das schwarze Lamm

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Ihre aufgetragenen Zwangsferien waren, wie ein Sturz ins kalte Wasser, wieder aufgehoben. Von jetzt auf gleich könnte man also sagen. In den Gängen der Schule herrschte wieder großes Regen. Schüler liefen umher. Von hier und dort ein Tuscheln und das Rascheln von Pergament, auf welchem gerade eben noch die schwarze Feder kratzte, dessen Tinte die Finger mancher Schüler schwarz gefärbt hatte. Ravenclaws, Gryffindors, Slytherins und Hufflepuffs - alle samt gingen sie durch die Gänge. Schwarze Umhänge gefüllt mit den jeweiligen Farben der Häuser wehten im leichten Wind, welcher sich darunter auftat. Unter den Schuhsohlen knirschte leise der Dreck, der sich  in den vergangenen Jahren angesammelt hatte. An den Wänden brannten vereinzelt Fackeln, dessen Flammen heiß zuckten. Schon lange ging das Gerücht um, eine Dame aus dem Ministerium wolle demnächst Hogwarts einen Besuch abstatten. Doch inwieweit dies stimmte, wusste keiner. Nur Dumbledore höchstpersönlich und wie wir wissen, sind dessen Lippen bei vielerlei Themen geschlossen. Eben wie ein gut behütetes Geheimnis oder gar Artefakt. 

Es war später Nachmittag gewesen. Das sattgrüne Gras geküsst von den warmen goldenen Sonnenstrahlen, die vermuten ließen, dass der Herbst nicht mehr weit entfernt ist. Denn schon einige Blätter waren hinunter gefallen, knisterten unter dem Gewicht der Schüler, wenn diese ohne Absicht darauf traten. Selbst dessen Rascheln war unverkennbar. Manch einer mochte den Herbst. Andere wiederum verabscheuten ihn. Doch Mutter Natur macht sich keinen Reim daraus. Es ist wie es ist und so soll es bleiben. 

Viele Schüler bevorzugten an diesem späten Nachmittag den Aufenthalt draußen im Innenhof, welcher durch sein sattgrünes Gras sehr einladend erschien. Andere wiederum saßen in ihren Gemeinschaftsräumen, oder saßen in der Großen Halle beieinander und erzählten sich etwas. Nur Bryan zählte weder zu den einen noch zu den Anderen. Stattdessen hielt sich der Ravenclaw in der Bibliothek auf, genoss die Ruhe welche hier herrschte zwischen all den alten Seiten und den Staubkörnern, die im Licht der Sonnenstrahlen tanzten, welche durch die Fenster fielen. Seine Nase versunken in eines der Bücher, seine Umgebung vollends ausgeblendet. Nur er und das Buch, sowie die schwarzen Buchstaben und das alte Pergament. Nicht zu vergessen das alte Leder, dass sich wunderbar an seine rauen Fingerkuppen schmiegte. Wort um Wort verankerten sich in dem Hirn des Jungen, welcher geradewegs ein hörbares Seufzen von sich gab. Eigentlich hatte ihm seine Mutter immerzu gesagt, er solle nicht lesen, wenn ihm der Kopf brummt. Der Irländer konnte jedoch nie die Finger davon lassen, sodass letztlich seine Mutter nur noch den Kopf schütteln konnte. 

Während Bryan, der brünette Junge aus dem Hause Ravenclaw, immer mehr in einer anderen Welt versank, schien er gar nicht zu bemerken, dass er nicht alleine bleiben sollte. Denn im Hintergrund knackte vorsichtig das Schloss, knarzte das schwere Holz der Tür, welche sogleich wieder zu fiel. Ein junger Bursche vom Hause Hufflepuff, hatte sich ebenso in der Bibliothek verirrt, wie auch Bryan. Nun ja, von Verirren kann hier nicht die Rede sein. Aber ihr wisst, was ich meine. Ein Räuspern riss den Ravenclaw aus seinen Gedanken, sodass er nur verwirrten Blickes hinauf sah. Hinauf in ein freches Grinsen des anderen Jungen. "Wieso war mir klar gewesen, dass ich dir hier finden würde?" - "Weil du mich mittlerweile gut genug kennst, River." Ja, beide Jungen hatten sich eine starke Freundschaft aufgebaut in den letzten Monaten. Eigentlich kaum zu glauben, waren sie sich vorher nur flüchtig über den Weg gelaufen. "Schon wieder eine Lektüre über die nordischen Mythen?", begutachtete River den Titel des Buches, legte den Kopf ein wenig zur Seite um dann auf eine Antwort seitens des Ravenclaws zu warten. Der jedoch legte nur mit einem Seufzen das Buch auf den hölzernen Tisch, welcher links neben ihm stand. "Wenigstens interessiere ich mich für die Dinge in unserer Welt. Du blickst stattdessen nur den ganzen Mädchen hinterher und vergisst dabei das Wesentliche.", stichelte Bryan als Antwort zurück, ließ die Schultern zucken. Der Hufflepuff lachte leise, verschränkte die Arme vor der Brust: "Tut mir Leid, dass ich kaum meine Augen von diesen lieblichen Wesen abwenden kann." - "Sollte es dir auch." Natürlich wusste Bryan, dass River vom anderen Ufer kam und keinerlei Interesse an der Weiblichkeit verspürte oder eben hatte. Jedoch zog er ihn immerzu damit auf, konnte es nie wirklich sein lassen. Streitereien blieben diesbezüglich aus. Zumindest bis jetzt. 

Draußen vor den alten Fenstern die herbstgoldene Sonne. Dahinter zwei Jungen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Denn während der Eine ständig das Abenteuer suchte, versteckte der andere sich lieber mit der Nase in Büchern. Eben wie Pech und Schwefel. Schwarz und Weiß. Ruhig und Laut. Klar und Nebel. "Erzähl mir von deinen Ferien.", lenkte River das Thema, ließ sich nun hinab auf einen der Stühle fallen, die zum Sitzen einluden. "Meine Ferien?!", wiederholte der Ravenclaw. "Na ja, sie waren anders als erhofft. Eigentlich hatte ich gehofft, ruhige Tage zu haben. Hatte Mackz angeboten, einige Tage rum zu kommen. Aber das Mädchen ist wohl oder übel Hals über Kopf in einen der Weasley-Zwillinge verliebt. Frag mich bitte nicht wer. Ich kann die beiden sowieso kaum auseinander halten...jedenfalls war ihr Angebot gewesen, ich könne mitkommen und wie du weißt, schlage ich Vorschläge kaum bis gar nicht ab. (...)" Und der Junge erzählte weiter. Erzählte weiter von der Reise zum Fuchsbau, über die Schwärmereien von Mackz bis hin zur Begrüßung, welche letztlich mehr oder minder komisch für Bryan wirkte. Er hatte sich Fehl am Platz gefühlt. Gar nicht willkommen. Hatte das Gefühl, falsch abgebogen zu sein. "(...) ich hänge einfach immer noch zu sehr an Amy fest, dass ich es nicht schaffe, glücklich verliebte Personen um mich zu haben. Oder zu sehen." 

Amy war einst das Mädchen gewesen, welches dank dem Ravenclaw immer mehr aufblühte. Eben wie eine Blume, dessen wahre Schönheit sich erst im Laufe der Zeit zeigte. Denn das Hufflepuff-Mädchen war sehr zurückhaltend gewesen, sah fremde Personen nie in die Augen bis sie letztlich an Bryan geriert, der ihr die Welt aus einem anderem Blickwinkel zeigte. Denn je mehr Zeit beide miteinander verbrachten, desto mehr taute sie auf. Hatte ein warmes Lächeln, das ihre Lippen umspielte. Ein Glitzern in den Augen, dass kaum mit Worten zu beschreiben war. Sie kamen sich näher, erzählten mehr voneinander. Was ihre Ziele sind, woran beide festhielten. Irgendwann schien Bryan das Gefühl zu haben, ebenso verstanden zu werden wie Amy es wohl ebenfalls spürte. Zwei junge Menschen - nicht gesucht und dennoch gefunden. Der Ravenclaw wusste allerdings nicht so recht, welch Gefühle dort noch in ihm lagen. Konnte diese Emotionen nicht genau zu ordnen. Bis er diese verstand, war es jedoch zu spät gewesen. 

"Bryan...", sprach River seinen besten Freund ruhig an, drückte sacht dessen Handgelenk. "Du musst aufhören an der Vergangenheit festzuhalten. Auch wenn es dir schwer fällt. Aber es bringt nichts. Amy will sicherlich, dass du glücklich wirst. Tu wenigstens mir den Gefallen und lass es hinter dich. Sieh nach vorne, damit auch du wieder glücklich werden kannst in deinem Leben." River hatte Recht. Bryan musste lernen, loszulassen. Durfte sich nicht länger Vorwürfe wegen dem machen, was passier ist. "Es ist nicht deine Schuld gewesen - und das weißt du genau so gut wie ich." Langsam nahm River wieder seine Hand hinfort, gab dem aus Irland stammenden Ravenclaw wieder genügend Freiraum, um jegliche Gedanken sortieren zu können. Letztlich aber nickte dieser nur stumm - wenn auch zögerlich - denn Bryan merkte deutlich, wie sich die salzigen Tränen in den äußeren Augenwinkeln anbahnten. Und wenn er jetzt hinaufsehen würde, dann sehe River einmal mehr in die gläsernen Augen und die Tränen würden rollen. So wie es die letzten Male auch schon der Fall gewesen ist. "Was hältst du davon, wenn wir uns in der Großen Halle niederlassen und isst erst einmal was. Ich hab das Gefühl du bist noch dünner geworden.", kratzte sich der Hufflepuff dabei leicht verlegen am Hinterkopf. Denn er selbst hatte sich mehrmals dabei erwischt gehabt, wie er Bryan von oben bis unten musterte und dabei förmlich das Sabbern anfing. "Gegen Essen habe ich wirklich nichts einzuwenden.", blinzelten dunkelbraune Augen die Tränen fort und ein leichtes Lächeln folgte. Sein Gegenüber erwiderte dies. 

Keine fünf Minuten später waren beide auf dem Weg zur Großen Halle gewesen. 

Dies war einmal mehr einer dieser Momente gewesen, in denen Bryan froh war, River als seinen besten Freund bezeichnen zu können. Hätte er ihn nicht, wäre er wohl schon längst hinab gefallen. Hinab in das große schwarze Loch, unwissend wie lange er fallen oder ob er jemals aufgefangen wird.

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⏰ Last updated: Dec 05, 2018 ⏰

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