27. Kapitel

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Doch der absurde Gedanke ließ mich nicht los. Ich versuchte ihn zu verdrängen, doch es gelang mir nicht. Und so länger ich über ihn nachdachte, desto mehr Sinn ergab er. Und doch nicht. Eigentlich ergab er gar keinen Sinn. Warum sollte ausgerechnet Lou die gewalttätige, rücksichtslose Konsulin sein? Ich musste an die öffentliche Hinrichtung denken. Betrachtete das Blut, dass immer noch an mir klebte und das ich scheinbar nicht mehr loswerden würde. Mir drehte sich der Magen um, immer noch verfolgten mich die leeren seelenlosen Augen der Mutter in meinen Träumen. Das alles geschah, während der Himmel in so wunderschönen Farben erleuchtete. Als wolle er sich für das Leid, das Unrecht entschuldigen. Oder er verspottete uns. Wieder dachte ich an Lou und schämte mich, wie konnte ich nur denken, dass sie für den Tod dieser Unschuldigen verantwortlich war? Sie war kein schlechter Mensch, doch die Jahre hier könnten sie verändert haben...

Warum versuchte ich mir einzureden, dass Lou zu einem Monster geworden war? War es Selbstschutz um mich auf alles vorzubereiten?

„Castor?"

Keine Antwort. Ich seufzte und war mit wenigen schnellen Schritten neben ihm. „Ich weiß, dass wir die letzten Tage nicht geredet haben aber-"

„Haben wir.", fiel er mir ins Wort. Ich seufzte erneut und rollte die Augen. Seine knappen Anweisungen an mich konnte man wohl kaum als Reden bezeichnen.

„Nein, haben wir nicht. Aber egal. Ich habe eine ganz wichtige Frage an dich. Also würdest du bitte die Freundlichkeit besitzen, diesen Scheiß zu lassen. Es wird langsam noch peinlicher, als der Kuss an sich." Ich sah Castor von der Seite an und bemerkte, dass er schwer schluckte.

„Dir war der Kuss peinlich?", würgte er hervor. Er würdigte mich immer noch keines Blickes, sondern starrte angestrengt auf den Waldboden. Verdutzt blieb ich stehen. Es wirkte fast so, als hätte ihn meine Aussage verletzt. Doch er war derjenige gewesen, der sich die letzten Tage so benommen hatte, als wäre ihm das Ganze mehr als peinlich gewesen. Deshalb hatte ich nicht angenommen, dass es ihn stören würde, wenn ich es laut aussprechen würde, was wir beide allem Anscheins nach zu empfinden schienen.

Als ich ihm nicht antwortete blieb Castor stehen und drehte sich um. Sein Gesicht glich einer Maske, seine blauen Augen verrieten nicht, was er dachte. „Rebecca?", erinnerte er mich monoton daran, dass ich ihm noch eine Antwort schuldete. Wir starrten einander nur an und ich war unfähig Worte zu formulieren. Ich wusste nicht, was ich ihm entgegnen sollte, obwohl ich mir doch so sicher gewesen war. Die Leere in seinen Augen erschreckte mich zu sehr.

Nachdem scheinbar Stunden vergangen waren nickte Castor. „Hast du nicht immer ganz wichtige Frage?", äffte er mich nach. Immer noch verwirrt, dass ihm das scheinbar so traf wandte ich den Blick nicht ab und ignorierte seinen Angriff.

„Castor, ich wusste nicht, dass dich das so treffen würde.", erklärte ich mich und machte einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu.

„Tut es doch nicht, wie kommst du darauf?", fuhr er mich an und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich schnaubte, sicherlich. Während ich die Augenbrauen hochzog forderte ich ihn stumm heraus. „Wie kann es mich treffen, wenn du mir eigentlich ziemlich egal bist?", spottete Castor.

Autsch. Ich atmete tief durch und strich mir eine Locke aus den Augen. Ach so wollte er jetzt spielen? Gut, fies sein konnte ich auch.

„Wenn du es so genau wissen willst, nein, der Kuss war mir nicht peinlich. Er hat mich angewidert. Abgestoßen! Ja, abgestoßen hat er mich. Und das beschreibt es nicht mal annähernd. Ich habe das Bedürfnis mir den Mund mit Salzsäure auszuwaschen! Und selbst das würde nicht genügen. Am liebsten würde ich mir einen anderen Körper suchen, in den ich hineinkrabbeln kann und dafür sorgen werde, dass du ihn noch nicht einmal mit deiner Hand streifst.", spuckte ich ihm entgegen.

Kurz flackerte Schmerz in seinen Augen auf, er verschwand jedoch gleich wieder hinter der Gleichgültigkeit. Genugtuung breitete sich warm in mir aus, jetzt waren wir wenigstens beide verletzt.

„Was war deine Frage?"

Der plötzliche Themenwechsel irritierte mich. „Was?"

„Deine ganz wichtige Frage."

„Ach ja, weißt du wie die Konsulin aussieht?", ich war immer noch wütend auf ihn, doch ich konnte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Castor schüttelte den Kopf und schnaubte ungläubig: „Das war deine unglaublich wichtige Frage?" Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben, doch warum? Meine Genugtuung verrauchte zusammen mit der Wut.

Ich nickte. Wieder schüttelte er nur ungläubig den Kopf und wandte sich wieder um. „Morgen früh sollten wir das nächste Dorf erreichen.", teilte mir Castor mit, bevor wir wieder durch die Einöde stapften.



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