~ Dämonengeflüster ~

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Die Müdigkeit und der Schlaf verließen Harrys Körper nur langsam. Ähnlich wie das Meerwasser, welches sich bei Ebbe träge vom Land zurückzog und in der Weite des Horizonts verschwand. Als er wach war, hielt er jedoch die Augen geschlossen, weil es ein paar wenige Sekunden gab, die kostbar für ihn waren. Es waren Sekunden, in denen er wach, aber leer war.


Eine Leere, die nichts füllte und gleichzeitig alles ausfüllte.


In diesen Augenblicken bestand alles nur aus ruhigen und tiefen Atemzügen, seinem beständigen Herzschlag und Blut, welches in Bewegung war. Nach dem Wachwerden gab es einen Moment, nur den Bruchteil einer Sekunde lang, in dem Harry hin und wieder ausblendete und vergaß, wo er sich befand, wer er jetzt ist und wer er früher einmal war.


In diesen kurzen Momenten war die Leere wie Frieden und Harry hatte mit den Jahren begonnen, diese Sekunden kampflos Besitz über sich ergreifen zu lassen. Und, auch wenn er es sich nur ungern eingestand, schätzte er diese Sekunden. Sie waren wie ein Knopf, um Pause zu drücken, als wäre sein Leben, in dem er gefeiert worden war, ohne mitfeiern zu können, ein schlechter Film.


Draco hingegen, für den schon ein Blick am Morgen genügte, um festzustellen, wie der Tag werden würde, hasste diese Sekunden. Denn aus den wenigen Augenblicken wurde meist ein ganzer Tag oder auch zwei, die sich grau und trist dahinzogen, ohne, dass er es verhindern konnte. Er hatte lediglich die Möglichkeit Harry aus der Dunkelheit zu locken, in die er fiel.


Es war nicht einfach und würde nie einfach sein, aber das war in Ordnung. Es war ein Teil des Preises, den sie für den Frieden hatten zahlen müssen.


~*~


„Ich bringe die Kinder zu Molly. Willst du Tschüss sagen?", fragte Draco, als er sich Hose und Pullover überzog. Harry hörte nur, wie Draco im Schlafzimmer herumkramte und dann vor dem Bett in die Knie ging. Unbewusst hielt Harry den Atem an und kniff die Augen noch fester zusammen. Er fühlte Dracos warme Hand an seiner Stirn und in seinen wirren Haaren, doch sagen konnte und wollte Harry nichts. Seine Kehle fühlte sich staubtrocken und die Lippen wie zugenäht an. Mit geschlossenen Augen schüttelte er sachte den Kopf, spürte Dracos Lippen auf seiner Nasenspitze und dann auf der Wange.


„Okay, nicht schlimm", sagte Draco ruhig und Harry hatte das Gefühl, dass sich tonnenschweres Blei auf seine Brust und die Schultern legte, um ihm die Luft zu nehmen, die er kurz zuvor noch angehalten hatte. Denn, ohne es laut sagen zu wollen, fühlte es sich nicht nur schlimm, sondern schrecklich für ihn an.


Wenn Harry könnte, dann würde er aufstehen und sich von seinen Kindern verabschieden, wie er es an all den anderen Tagen auch tat, bevor er zur Arbeit ging. Aber heute war es anders. Heute wurden sie wieder zu Molly gebracht, damit sie nichts mitbekamen und Draco die Chance hatte, in der Nähe sein zu können. Zusätzlich würde Draco für sie beide im Ministerium anrufen und lügen, dass sie krank seien. Eine Krankheit, die es nicht gab und lediglich als Vorwand diente, damit niemand mitbekam, wie es Harry wirklich ging.


Nur wenige wussten, dass er Tränke nahm, dass das Lächeln oft falsch war und hinter der brüchigen Fassade ein Kartenhaus schlummerte, welches ständig drohte einzubrechen. Und heute war es wieder soweit. Es fiel auseinander, setzte die Wirkung der Tränke innerhalb weniger Stunden außer Gefecht und ließ die Erinnerungen an den Krieg, wie Bomben, in Harrys Kopf explodieren. Sie zogen ihn in eine tiefe Schlucht, aus der er es alleine nicht wieder herausschaffen würde.

zwölf bittersüße AugenblickeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt