Kapitel 1 - Biene zu Besuch

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Es klingelt an der Haustür des Mehrfamilienhauses, in dem ich seit knapp einem Monat wohne. Wie ein aufgeschrecktes Huhn springe ich von meinem Bett, auf dem ich kurz zuvor noch entspannt in einem Buch gelesen habe und rase durch den Flur meiner Wohngemeinschaft zur Sprechanlage. „Dritter Stock!", quieke ich aufgedreht in den Hörer, gleichzeitig drücke ich auf den Knopf, der die Tür öffnen soll. Ein gleichmäßiges Summen ertönt. Mein Mitbewohner Sebastian steckt fragend seinen Kopf aus der Küche: „Was geht denn bitte mit dir ab?" „Heute ist der Tag der Tage, Basti!" Er runzelt die Stirn. „Äh ... Heute ist doch einfach nur Samstag." „Eben nicht!" Frische Luft strömt währenddessen aus dem Treppenhaus in unseren Flur. Ungeduldig trete ich auf der Stelle. „Liaaa!" „Biene!" Sofort vergesse ich Sebastians Anwesenheit, als ich ihre Stimme höre. Sie hat noch nicht einmal den letzten Treppenabsatz erreicht, da stürme ich schon auf sie zu und ziehe sie in eine heftige Umarmung. „Ich habe dich so sehr vermisst!" „Ich dich auch!" Meine beste Freundin Biene drückt mich noch fester an sich. Wir drohen uns zu zerquetschen. Es ist fast fünf Wochen her, dass wir uns das letzte Mal live und in Farbe gesehen haben. Zwar haben wir jeden Tag miteinander telefoniert und Nachrichten geschrieben, aber das ist nicht ansatzweise so gut, wie sich zusammen auf die Couch zu knuddeln, in Unmengen von Decken eingehüllt Massen an Süßigkeiten zu essen und über Gott und die Welt zu quatschen. Nachdem ich an meiner Wunschuniversität in meinem Wunschstudiengang angenommen wurde, hat sich mein Leben dahingehend radikal verändert. Für mich hieß es von da an: „Raus aus meinem geliebten Kaff! Rein ins Großstadtleben!" Bis jetzt bereue ich es nicht einige Wochen vor Studienbeginn umgezogen zu sein. So hatte ich genügend Zeit mich einzuleben, sowohl in meiner neuen WG als auch in der Stadt. Biene, die eigentlich Sabine heißt, löst sich als Erste aus unserem menschlichen Knoten. „Lia, ich glaube wir werden beobachtet." Ich schaue sie verdutzt an. Dann drehe ich mich um und sehe Sebastian im Türrahmen stehen. „Ach, das war heute!", anscheinend hat es bei ihm endlich klick gemacht. Er tippt sich mit der Handfläche an die Stirn. Ein dickes, fettes Lächeln macht sich auf meinem Gesicht breit. Seit fest stand, dass Biene mich besuchen kommt, rede ich ununterbrochen davon. „Und das ist?", meine Freundin hebt fragend eine Augenbraue. „Sebastian.", beantwortet Sebastian selbst ihre Frage. „Achso! Na, dann habe ich natürlich schon viel von dir gehört." „Das kann ich nur zurückgeben." Biene errötet leicht. „Ich würde sagen, wir gehen erstmal rein und ich zeige dir alles.", versuche ich die Stimmung etwas aufzulockern. „Das ist eine sehr gute Idee. Das Essen ist auch gleich fertig.", pflichtet Sebastian mir bei. Dabei ruht sein Blick auf Biene. Innerlich freue ich mich. Vielleicht gibt es bald doch eine Möglichkeit, Biene länger in der Stadt zu behalten. Erst jetzt fällt mir ihre riesige Reisetasche auf. „Sag mal Biene, hast du etwa deinen ganzen Kleiderschrank mit zu mir gebracht?" „Was?", fragt sie gespielt unschuldig, gibt mir daraufhin aber trotzdem eine aussagekräftige Antwort: „Wir gehen heute Abend auf ein Konzert und anschließend feiern. Du musst mir helfen mein Outfit auszusuchen. Zuhause konnte ich mich nicht entscheiden!" „Wie sollte es auch anders sein!", grinse ich sie an, „Und bestimmt ganz schön schwer!" „Wem sagst du das, Lia. Nach fünfzig Metern war ich schon komplett durchgeschwitzt." „Sebastian? Wärst du eventuell so freundlich?" „Hm?", kommt es aus dem Türrahmen. Ich drehe mich zu ihm um und ziehe währenddessen eine Augenbraue gekonnt nach oben. Dann nicke ich mit meinem Kopf in Richtung Reisetasche. „Äh, klar. Kein Problem." Ich schnappe Biene ihre Hand und ziehe sie in die Wohnung, dicht gefolgt von einem schweren Ächzen.

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Es dauert nicht lange und wir liegen mit vollgeschlagenen Bauch auf meinem Bett im Fresskoma. „Hättest du mir nicht früher sagen können, dass dein Mitbewohner so gut kochen kann? Und dann noch dieses Desserts! Ich hätte doch die Stretch-Jeans einpacken sollen.", stöhnt Biene neben mir. Bis auf ein träges „Hm" habe ich ihren Worten nichts hinzuzufügen. „Bist du dir sicher, dass er für dich kein Boyfriend-Potenzial hat?" Ich drehe mich auf die Seite und blicke Biene verwirrt an: „Wie kommst du jetzt darauf?" „Ihr versteht euch total gut. Ich hatte den Eindruck sogar besser als jedes Pärchen, das schon jahrelang in einer Beziehung ist, obwohl ihr euch noch gar nicht so lange kennt. Ist dir das noch nicht aufgefallen beziehungsweise hast du noch nie darüber nachgedacht, ob da nicht eventuell mehr sein könnte?" „Biene, du machst mir gerade etwas Angst." Ich runzle meine Stirn. „Aber um deine Fragen zu beantworten: Nein, ich habe ehrlich gesagt noch nicht darüber nachgedacht. Basti ist, wenn ich genauer darüber nachdenke, mein bester Kumpel, abgesehen natürlich von dir. Es hat eben von Anfang an gepasst. Auf freundschaftlicher Ebene." Ich stupse Biene leicht an. Sie scheint mit meiner Antwort noch nicht ganz zufrieden zu sein. „Denkst du?" „Ja, denke ich." „Ich meine, er sieht doch total gut aus. Kochen kann er auch noch. Ich könnte echt nachvollziehen, wenn du auf ihn stehen würdest." „Nochmal, um das klarzustellen: Ich stehe nicht auf Sebastian. Er ist nicht der Typ für mich, mit dem ich eine romantische Beziehung eingehen würde." „Was, also wer wäre denn dann dein Typ?" „Das kann ich dir wahrscheinlich erst verraten, wenn genau dieser vor mir steht. Du weißt doch, wie wenig Erfahrung ich mit Kerlen habe", erwidere ich mit einem Zwinkern in ihre Richtung. „Okay." Ich sehe, wie die kleinen Zahnräder in ihrem Kopf anfangen zu arbeiten. „Sabrina Mauser, was planst du schon wieder in deinem hübschen Köpfchen?", skeptisch beäuge ich sie. „Wir werden dir heute Abend bei dem Konzert jemanden klarmachen." „Das werden wir ganz bestimmt nicht tun!", sage ich mit fester Stimme. „Das werden wir noch sehen. Es wird Zeit, dass du endlich deine Unschuld verlierst!" Jetzt ist es an ihr mir zu zuzwinkern. Ich schaue sie an und schüttele meinen Kopf. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus. Meine Gedanken formen ein „Das kann nur schiefgehen!".

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Der Nachmittag mit Biene verging wie im Flug. Neben einem ausgedehnten Mittagsschläfchen stand nun die Auswahl unserer Outfits für das Konzert heute Abend auf dem Programm. Ich stehe vor meinem neuen Kleiderschrank und werfe einen Blick hinein. Biene tut es mir mit ihren Koffern gleich. Gleichzeitig entfährt uns ein verzweifeltes Seufzen. „Ich habe absolut gar keine Ahnung, was ich nachher anziehen soll", meine Laune verschlechtert sich nach dieser Erkenntnis ein wenig, tut aber der Vorfreude auf den Act keinen Abbruch. „Same here!" „Wie wär's, du schaust bei mir und ich bei dir?", schlage ich vor. „Alles klar!" Wir wechseln unsere Positionen. Sofort fällt mir silbern schimmerndes Top und eine rockige Lederjacke ins Auge. Triumphierend halte ich die beiden Kleidungsstücke in die Höhe. „Dazu noch eine enganliegende Jeans, etwas derbere Schuhe und dein Style ist perfekt!" Biene dreht sich zu mir um, in ihren Hände hält sie ebenfalls etwas zum Anziehen. „Und das hier habe ich für dich herausgesucht." Ihre Augen blitzen in freudiger Erwartung auf meine Reaktion, dabei hält sie mir ihre Beute direkt vor das Gesicht. „Ein rotes Spitzentop? Ist das dein Ernst?" „Wir haben eine Mission zu erfüllen! Heute machen wir richtig einen drauf!" Ich setzte zu einer Schimpftirade an, werde aber von Biene unterbrochen: „Keine Widerrede!" Ein aufgebrachtes Schnauben entweicht meiner Nase. „Jetzt schau nicht so grimmig! Die Figur dafür hast du und der Männerwelt wird es auch gefallen!" „Ich bin gerade aber nicht sicher, ob es mir überhaupt gefällt. Da ist echt wenig Stoff dran." „Sieh es doch mal positiv, wenigstens ist es nicht bauchfrei. Das wäre nämlich meine nächste Idee gewesen." Biene grinst mich frech an. „Immerhin etwas", brumme ich. „Jetzt hab dich nicht so! Es gibt weitaus schlimmere Outfits und du wirst sehen, mit Make-Up und allem drum und dran, wirst du nachher wirklich richtig gut aussehen!" „Okay! Das wird aber das erste und letzte Mal sein, dass ich sowas anziehe!" Meine beste Freundin zuckt nur mit den Schultern. „Solange unser Vorhaben Erfolg hat, ist mir das egal." „Du meinst dein Vorhaben! Ich werde von dir dazu genötigt!" Ich schaue auf die Uhrzeit auf meinem Handy. „Wenn wir ein paar Plätze in der ersten Reihe abgreifen wollen, müssten wir uns ein bisschen beeilen", sage ich zu Biene gewandt. „Also dann, auf geht's!"

Ich betrachte das Endergebnis meines Stylings mit einem skeptischen Blick im Spiegel. Hier und da zupfe ich an mir herum. „Kann ich wirklich so gehen?" Das mulmige Gefühl von eben meldet sich zurück. Diesmal noch ein klein wenig stärker als zuvor. „Wenn dir meine Bestätigung nicht als ausreichend erscheint, lässt sich das ganz schnell ändern", sprach es und rief im nächsten Atemzug nach meinen Mitbewohnern, die sich kurz darauf im Rahmen meiner Zimmertür einfinden. Christians und Sebastians Pupillen weiten sich augenblicklich, als sie mich sehen. „Amalia, du siehst umwerfend aus!", stotterte Basti, nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte. Christian nickt nur zustimmend. Auch ihm scheint mein Aussehen die Sprache verschlagen zu haben. Leonie, die Dritte und Letzte im Bunde, musterte mich abschätzig: „Mal etwas anderes als Jogginghose und oversized Oberteile." Dann ist sie auch schon wieder verschwunden. Biene lächelt stolz: „Da hast du es!" „Okay, okay! Ich denke, ich habe es endlich verstanden. Können wir jetzt bitte los?" Ich quetsche mich an meinen beiden Mitbewohnern vorbei, die noch immer mit geöffneten Mündern im Türrahmen stehen. „Basti! Christian! Mund zu! Eure Milchzähne werden sonst sauer!", rufe ich ihnen vom Flur aus entgegen und verdrehe die Augen. Dicht gefolgt von einem energischen „Biene, komm!"

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⏰ Last updated: Feb 13, 2019 ⏰

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