So viele Fragen

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Ich spülte gerade den letzten Biss des Kartoffelbreis mit dem Wasser runter, als es an der Tür klopfte.
„Herein." sagte ich unsicher. Hoffentlich waren das nicht meine Eltern. Auch wenn ich sie liebte. Im Moment wollte ich sie einfach nicht sehen.
Doch es war nur Dr. Fischer. In seiner Hand hatte er wieder diese rote -mir sehr unsympathische - Mappe. Er zog sich einen Stuhl zu meinem Krankenbett und setzte sich darauf. Der Stuhl knarzte unter seinem Gewicht, obwohl er eigentlich nicht einmal ansatzweiße dick war. Wahrscheinlich sparrte das Krankenhaus wo es konnte, dachte ich mir.

Dr. Fischer räusperte sich und mein Blick glitt sofort zu ihm. Ich wusste was jetzt kam. Er hatte vorher etwas von einer psychischen Untersuchung gesagt. Darauf hatte ich im Moment gar keine Lust. Ich wollte meine Ruhe und außerdem hatte ich angst, nochmal irgendetwas zu sagen, dass die Jungs noch mehr in die Scheiße ritt.

„Ich hoffe es hat dir geschmeckt und du fühlst dich stark genug, um meine fragen zu beantworten." er machte eine Pause und sah mich mit gehobenen Augenbrauen an. Ich nickte. Er wollte gerade weitersprechen, als es nochmals an der Tür klopfte.
„Herein." kam es von Dr. Fischer. Die Tür öffnete sich und ein Polizist kam herein. Ich kannte ihn. Es war der Mann, der den anderen Polizisten gesagt hatte, dass sie Sam wegschaffen sollen.
„Catherina, das ist Herr König. Er hat deinen Fall übernommen." erklärte der Arzt mir mit einer freundlichen Stimme. Herr König nickte mir zu und stellte sich an das Fenster mit dem Blick zu uns.
„Was macht er hier?" fragte ich nervös.
„Er hört bei der Befragung zu." sagte Dr. Fischer schlicht.
„Also gut. Catherina, ich werde dir jetzt ein paar fragen stellen, die du mir ehrlich und so genau wie möglich beantworten sollst. Hast du verstanden?" ich nickte nochmals.

Er schlug seine Mappe auf und blätterte darin bis er augenscheinlich das gefunden hat, was er suchte.
„Weißt du wie viele Personen an deiner Entführung beteiligt waren?" laß er von dem Blatt ab.
Ich wollte ihm nicht antworten. Doch was half es mir? Nichts! Und den Jungs auch nicht. Ich konnte nur hoffen, dass ich mit den Fragen etwas für die Jungs tun konnte. Mein Blick huschte zu dem Polizisten im Hintergrund bevor ich antwortete.
„Es waren fünf Personen." sagte ich ruhig.
„Und weißt du ihre Namen?"
„Ja weiß ich." sagte ich knapp.
„Sind diese fünf Personen Liam Willson, Samuel Schneider, Gonzales Rodriguez, Tobias Miller und Nicolas Koch?" laß er wieder vom Blatt ab.
Es war ein komisches Gefühl die Nachnamen der Jungs zu hören. So lange war ich bei ihnen und doch wusste ich ihre vollen Namen nicht.
Ich nickte zur Bestätigung. Auch Dr. Fischer nickte und schrieb etwas in die Mappe.
„Wussten noch andere von deiner Situation?" Erst wollte ich verneinen, doch dann fiel mir ein, dass die komischen Kollegen von Adrian nach dem Vorfall von mir wussten.
Also nickte ich wieder.
Der Arzt sah mich neugierig an. „Kennst du den Namen der Person?"
„Nein, ich kenne keinen Namen. Es waren mehrere Männer. Ich hab sie nie persönlich kennengelernt." Die Situation mit der Beinahevergewaltigung ließ ich außen vor.

„In welcher Beziehung standen die Männer zu deinen Entführern?"
„Sie waren Kollegen." sagte ich.
Er blickte von seiner Mappe auf. „Kollegen? Was arbeiten sie denn?"
Drogen. Sie haben mit Drogen gehandelt hatte mir Adrian erzählt. Doch das konnte ich nicht sagen. Vielleicht hatte die Polizei von ihren Drogengeschäften keine Ahnung. Da wollte ich nicht die sein, die dieses Geheimnis lüftete.
Ich zuckte mit meinen Schultern.
Wieder wurde etwas aufgeschrieben und wieder stellte er mir eine Frage.
„Wo und wie wurdest du gefangen gehalten?"
„Wir waren zuerst in einem Haus, bis wir später umgezogen sind, wo ihr uns gefunden habt." sagte ich leise. Die andere Frage wollte ich nicht beantworten. Ich konnte ihnen nicht sagen, dass ich die ganze Zeit eine Möglichkeit zur Flucht hatte. Das Halsband konnte nichts von dem, was mir die Jungs erzählt hatten. Und die letzten Wochen hatte ich die Möglichkeit zu gehen. Adrian wollte mich laufen lassen, doch ich war dagegen. Ich wollte ihn besser kennenlernen.
Wenn ich das dem Arzt sagte, würden sie mich bestimmt in die Klapse einliefern. Wer blieb schon freiwillig bei seinen Entführern.

Eine Berührung an meinem Arm holte mich in die Realität zurück.
„Catherina, wenn ihnen eine Frage unangenehm ist müssen sie sie nicht gleich beantworten. Im Moment ist jede Information nützlich, aber wir wollen sie nicht in eine Stresssituation bringen. Irgendwann brauchen wir die Informationen, aber das muss nicht alles heute sein." sagte Dr. Fischer.
Ich sah zwischen den beiden hin und her und nickte Schlussendlich.
So konnte ich mir wenigstens etwas gutes einfallen lassen. Er ließ mich wieder los.

„Okay, kommen wir zur nächsten Frage. Durch die Situation, in der man sie vorgefunden hat und aufgrund der körperlichen Untersuchung wurde bestätigt, dass sie mindestens einmal in den letzten drei Monaten Geschlechtsverkehr hatten. Wie oft war das? Wie wurden sie dazu gezwungen? Und wer war daran beteiligt?"

Ich versteifte mich. Darüber wollte ich schon garnicht reden. Das war Sam und meine Sache. Nur unsere! Aber ich musste etwas sagen. Alle glaubten, dass ich dazu gezwungen wurde, dass die Jungs so etwas machen würden. Aber das stimmt nicht. Ich musste das klarstellen. Auch wenn es bedeutete, dass mich jeder für verrückt hielt.

Ich atmete tief ein um meine Gedanken zu sammeln.
„Ich...Das war..." nervös sah ich immer wieder zwischen den beiden Männern hin und her. Ich wusste nicht, wie ich das formulieren sollte. Wie konnte ich das vermitteln ohne sofort an den Pranger gestellt zu werden?
„Ich wurde nicht gezwungen." sagte ich schnell. Die beiden tauschten einen bedeutungsschwangeren Blick aus. Dann schrieb Dr. Fischer etwas in seine Mappe.
„Wie meinst du das, du wurdest nicht gezwungen?" fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ich..Ich hab das freiwillig gemacht. Sam hat mich nicht gezwungen." sagte ich etwas lauter.
„Haben sie dich damit erpresst? Das würde auch als Zwang gelten. War nur Herr Schneider beteiligt oder auch einer der anderen Männer?" hakte Dr. Fischer genauer nach.
„Ich wurde nie gezwungen oder erpresst. Ich wurde bei den Jungs meistens gut behandelt. Keiner hat mich vergewaltigt. Ich hab freiwillig mit Sam geschlafen, weil ich ihn liebe! Ich liebe und vermisse ihn. Wann darf ich endlich zu den Jungs?" brach es plötzlich aus mir heraus.

Tränen liefen meine Wangen hinab. Ich war plötzlich so traurig und fertig mit meinen Nerven. Der ganze Stress und die Anspannung begannen aus mir herauszubrechen. Der schmerz, den ich empfand. Der Verlust meines Bruders und meines Freundes. Meine Eltern, die mich mein ganzes Leben angelogen hatten. Mich im glauben ließen, dass mein Bruder tot sei.
Ich schluchzte und schrie nach Sam. Jede einzelne meiner Zellen rief nach ihm. Ich wollte ihn sehen, wissen wie es ihm ging, ihn umarmen und nie wieder loslassen.
Mein leben war zerstört. Jeder in Deutschland kannte mich jetzt. Ich war das Mädchen, dass von ihrem eigenen Bruder entführt und festgehalten wurde. Und sich dann auch noch in einen ihrer Entführer verliebt hat.

Der Arzt versuchte mich zu beruhigen, doch ich wollte nicht. Ich wollte nicht mehr ruhig bleiben.
Dr. Fischer sprach zu dem Polizisten, doch ich hörte nicht zu. Mir egal, was sie jetzt vorhatten.
Herr König verschwand aus dem Zimmer um kurz darauf mit einer Krankenschwester und meinen Eltern zu kommen.

Meine Eltern sahen geschockt aus, als sie mich in diesem Zustand sahen. Meine Mutter kam sofort zu mir und versuchte mich zu beruhigen. Sie umarmte mich. Es gab mir ein gefühlt der Geborgenheit. Ich fühlte mich langsam nicht mehr, als ob ich Auseinanderfallen würde. Mein Geschrei hörte auf mein weinen verebbte jedoch nicht.
Plötzlich spürte ich einen Stich in meinem Arm. Mein Blick glitt zu dieser Stelle, dann zu der Krankenschwester, die eine Nadel in der Hand hielt.

„Gleich wird es dir besser gehen. Ruh dich ein wenig aus." sagte sie ruhig.
Ich wollte mich nicht ausruhen. Ich war traurig und wütend gleichzeitig und das sollten alle wissen.
Doch ich merkte, wie ich mich ungewollt beruhigte. Meine Gliedmaßen und Augenlieder wurden schwer.
„Was habt ihr gemacht?" flüsterte ich voller Grauen.
„Ich habe dir etwas zur Beruhigung gegeben." erwiderte die Krankenschwester.
Ich nickte schwach und legte mich zurück auf das Bett.
Alle sahen mich an. Ich wusste es. Ich spürte ihre Blicke. Doch sehen konnte ich es nicht, denn meine Lieder waren mittlerweile zu schwer um sie zu öffnen.
Kurz darauf war ich eingeschlafen.

Der Racheakt - erste Begegnung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt