1: Eine verhängnisvolle Mutprobe

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Es war Nacht. Zwölf Uhr, um genau zu sein. Und noch immer verstand sie nicht, warum sie sich von Kilian hatte überreden lassen ihn am Friedhof zu treffen. Das ausgerechnet an Halloween. Dem Zeitpunkt, an dem, laut Legende, die Schwelle zum Toten- und Geisterreich mit dem der Lebenden verschwamm. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht vor ihm als Feigling da stehen wollte. Wer wollte das schon? Insbesondere vor dem Jungen in den man, mehr oder weniger heimlich, verliebt war. Klar, dass man da schon einmal Dummheiten machte. Aber jetzt zurück gehen, kam für sie nicht mehr in Frage. So sehr sie sich auch nach ihrem warmen Bett sehnte. Doch wie gesagt: Sie würde alles tun. Alles nur nicht zurück gehen. Denn damit würde sie nicht nur sich komplett blamieren, sondern auch wochenlang das Schulgespräch sein. Und das hatte sie nun wirklich nicht nötig. Allein jetzt stand sie schon im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Und das nur wegen dummen Gerüchten über ihre Familie. Weil ihre Großmutter und ihre zwei Tanten angeblich Hexen waren. Nur weil sie sich mit Kräutern und altmodischen Heilmitteln auskannten. Aber das war kompletter Unsinn. Denn Hexen gab es schließlich nicht.

»Midnight!«, hörte sie plötzlich jemanden rufen.

Sie zuckte zusammen. Dann aber erkannte sie die Gestalt, die dort auf sie zu kam. Kilian. »Hey ...«, Sie versuchte sich an einem Lächeln.

»Hi«, nun stand Kilian direkt vor ihr. »Irgendwie ist das witzig, oder? Ich treffe Midnight an Mitternacht. Cool, oder?«

»Ja, total«, entgegnete sie. Klang das überzeugend? Sie hoffte es.

»Sag bloß, du hast Angst?«, zog Kilian sie auf. Er zwinkerte ihr zu. »Komm schon. Mitternacht müsste doch deine Zeit sein!«

Nur schwer konnte sie sich zurückhalten die Augen zu verdrehen. Wie plump war denn das? War das hier echt der Typ, für den sie seit über einem Jahr schwärmte? »Natürlich habe ich keine Angst!«, versicherte sie ihm. Das klang jetzt aber wirklich überzeugend, oder?

»Ist ja gut, Süße. Ich glaubs dir«, er lächelte sie an.

Und, Gott im Himmel, nun wusste sie wieder, warum sie sich in diesen Jungen verliebt hatte. Dieses Lächeln. Es musste doch einfach verboten werden, so zu lächeln. Hoffentlich sah er nicht, wie rot sie gerade wurde. Aber das er es sah, war unmöglich. Immerhin war es stockfinster.

»Du bist übrigens doch eine ganz coole Socke«, meinte Kilian, nachdem sie eine ganze Weile schweigend nebeneinander über den Friedhof liefen. »Auch wenn ich dich eigentlich schon etwas seltsam fand. Wegen dem ganzen Hexenkram, den man sich so erzählt. Du weißt schon ... Deine Familie«

»Seltsam?«, wiederholte sie.

»Ja«, er nickte. »Ich meine, welcher normale Mensch heißt auch schon Midnight Darkwood? Das ist doch echt crazy.«

»Ich«, sagte sie. »Ich heiße so.«

Midnight... Midnight Darkwood...

»Gehen wir eigentlich über den ganzen Friedhof?«, wollte sie schließlich wissen.

Kilian schüttelte den Kopf. »Nein, nur da wo die alten Gräber sind. Die anderen sind schließlich nicht so spannend. Und außerdem ist morgen ja auch Schule.«

»Stimmt«, sie nickte. Auch wenn vermutlich mehr als die halbe Klasse, zumindest mental, abwesend sein würde, weil sie alle auf irgendwelchen Halloweenpartys waren. Außerdem war es ein Montag. Das hieß die ersten zwei Stunden Sportunterricht. Und nach der Pause dann Mathematik. Derjenige der sich diesen Lehrplan ausgedacht hatte, konnte sich, falls es diese noch gab, bei der Inquisition als Foltermeister bewerben. Referenz: Schüler quälen.

»Wie spät ist eigentlich?«, fragte sie Kilian. »Wir sollten das Ganze schnell hinter uns bringen. Wenn meine Großmutter sieht, dass ich nicht im Bett liege kriege ich mit Sicherheit mindestens zwei Wochen Hausarrest.«

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⏰ Last updated: May 10, 2019 ⏰

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Midnight - Tote lügen nichtWhere stories live. Discover now