Jola
Die Tür der Station ist ebenfalls mit bunten Buchstaben versehen. "Regenbogen" steht dort. Insgesamt ähnelt der Regenbogen dem Rettungsboot. Links von der Tür sind Räume für die Therapeuten und den Stationsarzt. Es gibt keinen Timeout-Raum, der Raum gegenüber wird für stationsinterne Therapien genutzt.
Auf der anderen Seite befindet sich ein Dienstzimmer, sowie die Zimmer für die Patienten. Es sind allerdings weitaus mehr, als im 'Rettungsboot'. Waschräume, Küche und Aufenthaltsraum sind ebenfalls vorhanden. Obwohl die Station genauso aufgebaut ist, wie die andere wirkt diese viel lebendiger, viel heller und viel weniger, wie ein Krankenhaus. Ich staune, als in in mein Zimmer geführt werde. Die Betten sind ganz normal aus Holz, keine Pflegebetten. Die Schränke haben den selben Holzton. Außerdem sind Türen an den Schränken vorhandenen. Über jedem Bett hängt ein weiteres kleines Regal für Fotos oder ähnliches. Außerdem sind zwei Schreibtische vorhanden.
Schwester Gudrun, eine ziemlich dicke Frau mittleren Alters mit kurzen rotgefärbten Haaren erklärt mir, dass ich eine halbe Stunde Zeit zum Auspacken habe, dann folgt das Aufnahmegespräch mit Frau Krieger ,der Therapeutin, die mich behandelt und Fr.Dr.Sandmann, der Stationsärztin. Auf dem anderen Bett sitzt ein Mädchen. Sie ist so dünn, wie ein Skelett. Ihr Gesichtsausdruck ist so leer und ihre Augenringe sind so tief, dass ich mich frage, ob sie noch lebt oder ob sie ein Geist ist. Wobei ich habe noch nie einen Geist mit einem Schlauch in der Nase gesehen. Irgendwie kommt sie mir ein wenig bekannt vor. Sie steht von ihren Bett auf und kommt auf mich zu. "Hey ich bin Lia", sagt sie. Ich nehme ihre knochige Hand und schaue sie an, sage aber nichts. "Kein Ding, ich will auch nicht hier sein, aber ich bin nicht dein Feind", sagt sie von ihrem Bett aus, wo sie nach meiner Abfuhr wieder hinlegt. Ich weiß noch nicht, wie ich sie einschätzen soll.
Das Aufnahmegespräch läuft wieder sehr einseitig ab. Ich werde gar nicht direkt angesprochen. "Du kommst von der C3, nach einem Suizidversuch, Depression und selektiver Mutismus wurden diagnostiziert und sollen jetzt hier behandelt werden", murmelt Frau Dr.Sandmann, dann steht sie auf und geht. Frau Krieger ist deutlich jünger und viel netter:"Also einmal kurz etwas zu den Regeln hier. Alkohol und Drogen sind verboten. In den ersten zwei Wochen gibt es keinen Ausgang vom Gelände und keine Belastungsprobe. Das bedeutet du bleibst am Wochenende hier. Nach den zwei Wochen kannst du samstags für eine Nacht nach Hause. Wenn du in den Ausgang möchtest, ist das in dreier Gruppen erlaubt, sofern ihr das anmeldet. Dafür liegen an der Tür Formulare, die erklären sich eigentlich von selbst.", sie machte eine kleine Pause. "Viel interessanter ist natürlich der Tagesablauf. Im Laufe der nächsten Woche bekommst du einen Therapieplan bis dahin machst du erstmal die stationsinternen Angebote und Schule.
Morgens um sieben Uhr ist Wecken, wenn du länger im Bad brauchst, kannst du natürlich auch schon eher aufstehen. Von 7.30-8.00 ist Frühstück. Alle sind um 7.30 und alle hören um 8.00 auf. Um 8.15 ist Morgenrunde, da besprechen wir einmal kurz den Tag . Um Viertel vor neun beginnt die Schule bis um zwölf. Von 12.15 bis 12.45 ist Mittagessen. Von 12.45-13.30 Uhr ist Zimmerzeit. Dann folgt von 13.45-14.15 Stationstreffen. Meistens wird eine Runde gespielt. Von 14.30-16. Uhr gibt es verschiedene Therapien und Angebote. Manche Therapien finden auch schon während der Zimmerzeit statt, das wird allerdings individuell vereinbart. Jeden Mittwoch gibt es von 16.30-18.30 Angebote, wie zum Beispiel kochen oder Sport.
Um 18 Uhr gibt es abgesehen vom Mittwoch Abendessen. Ich denke das war es erst mal von meiner Seite aus.
Du bekommst nachher auch noch eine Stationsordnung, sowie einen Therapieplan im Laufe der Woche."
Ich gehe zurück auf das Zimmer. Lia liegt neben ihrem Bett und macht irgendwelche Turnübungen. Als sie mich bemerkt hört sie augenblicklich auf. "Du hast nichts gesehen, ja?", fleht sie. Ich sage nichts. Der erste Tag ist genauso ätzend wie, die Tage auf der geschlossenen. Die meisten Patienten sind aktuell in der Schule. Zum Mittagessen kommen sie alle zurück. Ich frage mich, wieso Lia nicht in der Schule ist. Sie sieht noch nicht so alt aus, als wäre sie mit der Schule fertig. Beim Mittagessen setzte ich mich neben sie. Sie bekommt direkt einen Teller mit ihrem Essen. Die meisten anderen dürfen sich selbst ihre Portion selbst auftun. Sie starrt das Essen an, stochert drin rum, aber kaum ein Bissen landet in ihrem Mund. Ich nehme mir vor nicht mehr in ihrer Nähe zu sitzen, wenn wir essen. Ihr Verhalten verdirbt mit den Appetit. Die Zimmerzeit ist langweilig. Lia erklärt:"Wenn du gut mit machst darfst du in der Zimmerzeit Ausgang beantragen. Du sollst nur nicht auf der Station herumlaufen."
Während der Stationsrunde spielen wir ein kennenlernspiel, weil ich neu bin. Jeder soll zu seinem Namen ein positives Adjeltiv mit dem selben Anfangsbuchstaben nennen. Das wird dann wiederholt bis die Runde einmal durch ist, wie bei 'ich packe meinen Koffer'. Ich bin wieder ganz froh, dass ich nicht reden kann. Welche positive Adjeltiv gibt es denn zu J? Lia sagt sie sei die lustige Lia. Ein anderer Junge behauptet er sei der 'nette Nico'.
Nach diesem Spiel ist die Zeit auch schon vorbei und alle bis auf Lia eilen zu ihren Therapien. Wenn Langeweile töten könnte, wäre ich gestorben. Am nächsten Morgen folgt nach dem Frühstück die Morgenrunde. Auch auf dieser Station darf jeder sagen, wie es ihm geht, aber keiner macht es freiwillig. Dafür werden Konflikte vom Vortag besprochen. Ich verstehe nur die Hälfte. Irgendein Junge beschuldigt einen anderen etwas kaputt gemacht zu haben. Der Beschuldigte ist der 'nette Nico'. Der gar nicht mehr so nett ist. Er springt auf und brüllt:"Das stimmt doch alles überhaupt nicht!". Schwester Gudrun entscheidet, dass das zwischen den beiden geklärt werden muss und nicht vor der gesamten Station. Sie kündigt an, dass eine Lehrerin krank ist und deshalb alle Schüler aus der siebten Klasse am Unterricht der achten teilnehmen müssen. Ansonsten gibt es nichts wichtiges zum Tag zu sagen. Ich freue mich auf die Schule. Das ist keine Lüge. Was hat die Psychiatrie nur aus mir gemacht? Ich bin einfach nur froh, dass es überhaupt ein Programm gibt. Dass es ausgerechnet Schule sein muss, ist das geringere Übel. Ich darf die Station verlassen. Nach etlichen Wochen auf der geschlossenen fühlt sich das großartig an. Gemeinsam mit den anderen schlender ich über das weitläufige Klinikgelände zur Schule. Die Schule befindet sich in einem der vielen Neubauten. Von außen sieht sie der geschlossenen Station verdächtig ähnlich. Auch wenn ich weiß, dass die Station ganz woanders liegt, spüre ich meinen schnellerwerdenen Herzschlag. Ein Mädchen fragt Lia, wo der Raum der achten Klasse ist, sie muss dort wegen der kranken Lehrerin hin. Heilfroh zu wissen, wem ich folgen kann, schließe ich mich den beiden an. Obwohl zwei Klassen zusammen unterrichtet werden, sind nur etwa fünfzehn Schüler anwesend. Der sechzehnte, ist Nico. Er kommt fast zwanzig Minuten zu spät. "Ich war erst am Raum für die siebte!" sagt er. Die Lehrerin erklärt ihm, dass er nach dem Unterricht noch einen Augenblick warten soll. Jeder macht Aufgaben, die er von seiner eigentlichen Schule zur Verfügung gestellt bekommt. Die Lehrerin hilft und erklärt Inhalte, wenn jemand eine Frage hat. Zum dritten mal an diesem Tag fällt mir der 'nette' Nico, der gar nicht wirklich nett ist auf. Er ist von seinem Stuhl aufgesprungen, der Stuhl knallt dabei laut auf den Boden. "Das ist doch alles scheiße!", keift Nico. Er stürmt zur Tür:" Du kannst jetzt gehen und meldest dich bei Herrn Martin oder du bleibst hier. Es ist deine Entscheidung.", sagt die Lehrerin bevor Nico die Klasse verlässt. Beim Mittagessen sitzt er neben Schwester Gudrun. Irgendwie hat dieser kleine Krawall-Zwerg recht. Hier ist vieles ziemlich scheiße . Für mich beginnt die quälend lange Langeweile, weil ich noch keine Therapien habe. Während der Zimmerzeit, klopft Frau Krieger an die Tür:"Jola, ich habe hier jede Menge Fragebögen für dich. Die müsstest du bis morgen bitte ausfüllen. Morgen um eins ist unser erstes Einzel." Sie legt mir einen Stapel Zettel auf den Schreibtisch und verschwindet wieder.
Der erste Fragebogen ist noch ganz nett. Ich muss bei verschiedenen Aussagen 'gar nicht' 'oft' oder 'häufig' angeben.
Der zweite Fragebogen ist zum einen deutlich länger, außerdem sind manche Fragen fieser. Habe ich viele Freunde? Hobbys? Habe ich Angst wenn ja wo vor und so weiter.
Der dritte und letzte Fragebogen erinnert mich an eine Schulaufgabe. Ich muss angefangen Sätze beenden.
Ich habe Angst davor, dass...
Wenn ich könnte, würde ich
...
Während ich das alles so ausfülle, fällt mit ein, dass Frau Dr.Sandmann behauptet hat, dass ich Depressionen hätte. Ich frage mich, ob ein Suizidversuch ausreichend ist, um diese Diagnose zu bekommen. Ich fühle mich eigentlich gar nicht so richtig depressiv. Ich bin nicht traurig.
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was wiegt das Leben?
Teen Fictiondu bist gefangen in deinen eigenen Gedanken. sie halten dich fern von einem normalen Leben. Die Stimme in deinen Kopf lässt dich das Leben nur schleierhaft wahrnehmen. Die andere redet nur über Zahlen, Kalorien und dein Gewicht. Ein Tag, der dein L...