Pov. Jungkook:
Müde öffnete ich meine schweren Augenlider, blinzelte gegen das grelle Licht, das mich erneut unnachgiebig blendete, und rollte mich langsam auf die Seite. Meine Augen fühlten sich rau und brennend an, wie Sandpapier, das über empfindliche Haut rieb. Ein resigniertes Seufzen entwich meinen Lippen. Nichts hier fühlte sich vertraut an – weder die Luft, die ich atmete, noch die Welt, die mich umgab.
Wie lange würde es dauern, bis ich mich an diesen Ort gewöhnen konnte?
Gewöhnen wollte.
Gähnend streckte ich mich, um ein wenig mehr Leben in meinen verkrampften Körper zu bringen. Meine Muskeln protestierten mit einem unangenehmen Ziehen bei jeder Bewegung. Ein dumpfer Schmerz pochte in meinem Rücken, und ich verzog das Gesicht. Alles in mir schrie danach, diese neue Realität zu verleugnen. Doch das Blut an meinem Oberteil erinnerte mich daran, dass ich nicht träumte. Es war echt. Zu echt.
Als ich mich langsam erhob, reagierten meine Beine noch wackelig unter dem Gewicht. Schnell stützte ich mich auf meinen Knien ab. Ich war wohl etwas zu hektisch aufgestanden für meinen neuen, menschlichen Kreislauf.
Die braun-roten Flecken auf der Kleidung stachen mir regelrecht ins Auge. Meine Hand strich über die dunklen, steifen Spuren auf dem Stoff. Nur schwer konnte ich glauben, dass dies von mir selber stammen konnte. Doch das Blut war eingetrocknet und noch immer da, als stummer Zeuge meiner Verbannung. Der Gedanke liess mich frösteln.
Zögernd löste ich meinen Blick davon und liess ihn stattdessen an meinem ziemlich ramponiert aussehenden Körper heruntergleiten. Genervt rümpfte ich meine Nase, als mir klar wurde, dass ich zwingend irgendwo neue, modernere Klamotten auftreiben musste – am besten ohne Blut. Was ich trug, war nichts, was hier auf der Erde üblich war. Es passte nicht. Ich passte nicht. Ein seltsames Ensemble, das sich wie ein Fremdkörper anfühlte. Ein weiteres Zeichen, dass ich nicht hierhergehörte.
Doch wo sollte ich etwas Geeignetes finden? Wie?
Ich hatte nichts bei mir, ausser einem zerknitterten Zettel, der meine neue Identität verkündete: Jeon Jungkook, Schüler am Vante-Internat. Die Worte waren leer für mich. Sie bedeuteten nichts, ausser dass sie den Start eine Geschichte erzählten, die ich von nun an spielen sollte.
„Mark..." Sein Name kam unwillkürlich über meine Lippen, und ein scharfer Schmerz durchbohrte mein Herz. Ich gehörte zu ihm und nicht hierher. Und mein Name war Jeongguk - und nicht Jungkook. Ich konnte ihn fast hören, erneut, – seine Stimme, seine verzweifelten Rufe. Die Erinnerung war so lebendig, dass ich schwören könnte, er stünde direkt hinter mir.
Ich drehte mich um.
Aber er war nicht da.
Kein Mark.
Ich war allein.
Mit einem tiefen Atemzug zwang ich mich meinen Kopf zu schütteln, in der Hoffnung einen klaren Gedanken fassen zu können. Denn ich würde ihn wieder sehen. Irgendwann. Ich glaubte ganz fest daran.
Ratlos fuhr ich mir durch die dunklen, wuscheligen Haare, ich hatte keinen blassen Schimmer, wo ich etwas Anständiges zum Anziehen herbekommen, ganz zu schweigen, wie ich es ohne Geld bezahlen sollte. Bevor ich erneut in unnützen Gedanken versinken konnte, setzte ich mich in Bewegung. Wohin, wusste ich nicht. Weder der Park noch die leeren Strassen noch die stillen Gassen boten Antworten, nur endlose Fragen. Als ob ich von denen nicht schon genug hätte.
Eine Weile setzte ich stur einen Fuss vor den anderen, ohne genau auf meine Umgebung zu achten, einfach weiter, immer weiter. Sie schienen von selbst zu laufen, wie ferngesteuert. In wenigen Schritten überquerte ich eine unbefahrene Strasse.
Bei jedem ach so kleinen Stolperer meldete sich mein Rücken mit einem vorwurfsvollen Stechen. Lange konnte ich mit dieser schmerzhaften Verletzung nicht durchhalten, das war mir klar, aber was hätte ich denn tun sollen? Ich hatte schliesslich keine Wahl, als einfach die Zähne fest zusammenzubeissen und einfach weiter zu gehen. Ausschauhaltend lief ich durch die leeren Strassen. Kein einziger Mensch kam mir entgegen.
Der erwünschte Erfolg neue Kleidung zu finden, liess lange auf sich warten. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit entdeckte ich eine schmale Gasse, die sich zwischen zwei alte Gebäude schob. Suchend sah ich mich um, bis mir etwas auffiel auf meiner rechten Seite. Ich steuerte zielstrebig darauf zu. Dort, über eine dünne Leine gespannt, flatterten Kleidungsstücke in der lauen Brise. Ein einfacher Anblick, der für die meisten wohl belanglos gewesen wäre, doch für mich war es ein Funken Hoffnung.
Ich liess meinen Blick über die verschiedenen Pullover und Hosen wandern. Ein Oversizeshirt in einem gedeckten Grau. Eine schwarze Hose mit Löchern an den Knien. Praktisch. Unauffällig. Das war alles, was ich brauchte. Das Einzige, das mich noch von ihnen trennte, war ein eng gestrickter Maschendrahtzaun, der eine feindselige Ausstrahlung hatte. Abwägend musterte ich ihn.
Er war heruntergedrückt an einer Stelle, als hätte jemand dort bereits seinen Weg gesucht. Ein unangenehmes Schaudern lief mir über den Rücken. War es in Ordnung, einfach so über den Zaun zu steigen?
Wohl eher nicht...
Die Worte „Das ist Diebstahl" blitzen kurz in meinem Kopf auf, doch ich schob sie beiseite. Es war ein Notfall, und ich würde meine alte Kleidung zurücklassen – ein fairer Tausch. Bevor das schlechte Gewissen sich in mir breit machen konnte, liess ich meinen Blick erneut über all diese Kleidungsstücke wandern und dann war es beschlossene Sache.
Mit einem raschen Atemzug setzte ich über den Zaun. Meine Hände arbeiteten schnell, Tauschen, Anziehen, wieder Zurückklettern. Das graue Shirt hing lose über mir, und die Hose passte erstaunlich gut. Es war nicht perfekt, aber es besser als das, was ich zuvor getragen hatte. Und bequemer als gedacht.
Da dies nun erfolgreich erledigt war, galt nur noch eins: Nichts wie weg von hier, denn geheuer war mir diese ganze Sache definitiv nicht. Gehetzt drehte ich mich um und ging schnellen Schrittes auf die heruntergedrückte Stelle zu.
Nur noch ein kleines Stück.
Ich befand mich schon fast auf der anderen Seite, als mein Herz einen Schlag aussetzte.
Eine laute Stimme durchbrach die Stille.
„Hey du! Was machst du da?"
Panisch zuckte ich zusammen.
I live because I can't die. Nothing is more miserable and lonely than not having something you want to do.
~Min Yoongi

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Wings -BTS
Fanfiction„Jeongguk geh! Und komm nie wieder!" Mit diesen Worten wurde ich aus den Armen meines Freundes gerissen. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, wehrte ich mich dagegen - doch egal was ich tat, es hatte keinen Zweck, sie waren einfach zu mächtig...