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Maelor und Tame

Die Sonne brannte schon wieder vom Himmel. Es war ein perfekter Tag für ein Bad am See, aber ich wollte genau hier sein, wo ich stand. In der Nähe von Tame.
Ich wartete beim Parkplatz auf sie. Sie hatte es eilig gehabt, nach dem Ende des Kurses wegzukommen, doch ich war ihr zuvorgekommen; es hatte Vorteile, ein Himmelswesen zu sein, weil man so relativ unbemerkt - beziehungsweise ohne sich zu verletzen - von der Feuertreppe springen konnte.
Als sie aus dem Schulgebäude kam, lehnte ich mit verschränkten Armen an der Fahrertür ihres Autos. Sie verdrehte die Augen und sah mich böse an, eine kleine Falte auf der Stirn bildend.
"Du schon wieder. Läufst du mir etwa nach?", bemerkte sie entnervt. Da ich jedoch ahnte, dass sie nur wegen Emory so reagierte, blickte ich neutral zurück.
"Ich war schneller als du", kommentierte ich lässig.
Sie schloss zu mir auf und teilte mit den Fingern ihr langes, helles Haar, das sie in den Nacken schob, um den Rucksack auf ihrer Schulter zu fassen zu bekommen, den sie zwischen uns auf den im Laufe der Jahre der Witterung zum Opfer gefallenen Teer stellte. Eine unbedarfte Geste, die zur Folge hatte, dass ihr herrlicher Duft in die Luft gelangte. Ich sog ihn tief in mich ein.
"Emory ... Du denkst bestimmt, er macht das mit Absicht", warf ich rasch ein, um mich davon abzulenken, dass sie ein verdammt sexy Anblick war.
"Dein verrückter Onkel ist knallhart drauf und vermiest mir den schönen Sommertag", beschwerte sie sich ungehalten. "Ich hab diesen Kurs eigentlich gar nicht machen wollen, aber Holly hat mich eingetragen und jetzt kann ich nicht mehr zurück."
Holly war ihre beste Freundin, erinnerte ich mich und schmunzelte. "Ich wollte ihn freiwillig machen. Das Anwesen kann einem auf den Kopf fallen, darum musste ich dringend raus. Irgendwie muss ich die Ferien ja rum bringen, oder?"
"Also, wenn das so ist, tut es mir leid, dass ich dir deinen Einstieg versaut habe. Die hassen mich jetzt da drin. Und dich werden sie auch hassen, weil du mich vor ihnen kennengelernt hast."
So offene Worte hatte ich nicht erwartet; sie überraschten mich. Ich legte etwas verlegen meine Hand in den Nacken, um die Stelle zu kühlen, auf die am meisten die Sonne niederbrannte. "Keine Illusionen, hmm?"
"Nein. Du bist der Neue, über den die ganze Stadt redet", erwiderte sie zögerlich, aber ich spürte, dass sie schwankte, weil sie nicht wusste, ob sie mich mögen oder für unausstehlich halten sollte.
"Sie reden über mich?", fragte ich unschuldig und amüsierte mich doch recht darüber. Sterbliche waren manchmal echt eigenartig. In kleineren Städten, wo nicht so viel Abwechslungsreiches passierte, besonders.
"Du siehst ganz gut aus. So etwas spricht sich hier schnell herum. Das zieht, wenn du verstehst, was ich meine", erklärte mir Tame kompliziert.
"Ah." Ich zuckte möglichst gleichgültig die Achseln. "Dann lassen wir sie einfach weiter reden."
Eine Gruppe unserer Kommilitonen stieß die Eingangstüre der Schule auf und trat ins Freie. Tame wirkte genervt und stöhnte leise auf. Instinktiv wich ich einen großen Schritt von ihrem Auto weg, damit sie schnell einsteigen und flüchten konnte.
"Wollen wir morgen weiter reden?", schlug ich grinsend vor. "Ich verschaffe dir gern einen Vorsprung. Nicht dass sie dich mit Steinen bewerfen oder so."
"Mit Steinen bewerfen? Also ehrlich!" Tame schüttelte lachend den Kopf, wobei ihr um sie fliegendes, duftendes Haar mich fast um den Verstand brachte. "Du sagtest was von morgen. Vielleicht machen wir das ja", stellte sie in Aussicht.
Sie stieg in ihren Jeep und ich reichte ihr den Rucksack. "Tut mir leid, dass Emory dir den Tag vermiest hat."
Zweifelnd legte sie den Kopf schief. "Nein, tut es nicht. Du bist froh darüber, weil so wieder einen Grund hattest, mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich seh dich morgen, Kenneth."
Damit schlug sie mir die Tür vor der Nase zu und ich winkte ihr zum Abschied übertrieben nach. Sollten sich die Anderen von unserem Kurs ruhig das Maul darüber zerreißen. Mir machte es nichts aus.
Wir fuhren getrennt nach Hause, genauso wie wir gekommen waren. Emory in seinem Pick-up, ich auf der Motocross Maschine, mit der sonst Dexter über unser Land raste, um die Koppeln instand zu halten.
Auf dem Foster Anwesen angekommen, verlor Emory kein Wort über Tame, doch es war offensichtlich, dass er über etwas brütete, das mit ihr zu tun hatte. Ich kannte ein Mädchen, eine Sterbliche, und das gefiel ihm nicht, also zerbrach er sich meinen Kopf - das konnte ich ihm ansehen, und mein Gefühl täuschte mich bei ihm nur selten. Emory war, obwohl ihn die Sterblichen als verschlossen und eigenbrötlerisch bezeichneten, mir gegenüber recht offen. Er mochte mich ganz einfach, wohingegen Menschen ihm Angst machten. Keine gewöhnliche Angst wie die, die Kinder vor der Dunkelheit haben, sondern ein dämonischer Instinkt, der dazu da war, die Kontrolle über unser ureigenes Wesen zu verlieren. Was wiederum weitreichende Folgen für uns hätte.
Emory lebte schon seit ich denken konnte auf dem Anwesen und ich lebte mich gerade erst hier ein. Deshalb hatte ich mich für den Sommerkurs eingeschrieben, das war noch, bevor ich wusste, dass mein Onkel den Dozenten ersetzen würde, den Aldon getötet hatte. Ich musste raus, mich unter Menschen bewegen, sonst würde es mir irgendwann schwer fallen. Manche Dämonen, die sich zurück ziehen, sind wie eine tickende Zeitbombe. Emory quälte sich selbst damit, aber er hatte beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen. In der Schule war mir aufgefallen, dass er die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Schüler erhalten hatte. Er war ein begnadeter Rhetoriker, der den Unterricht mit bildhafter Sprache gestaltete und so manchen Satz geschickt hinter einer gehörigen Portion Sarkasmus verkleidete. Das Lehren der Mystischen Geschichte war bei ihm einfach eine Leidenschaft, die er so schon früher praktiziert hatte. Außerdem machte es ihm ungeheuren Spaß, die dämonischen Verführungskünste spielen zu lassen. Die Wirkung des Lichts im Raum, ein zufälliger Blick aus diesen blauen Augen, die sonore Stimme. Selbst wenn die Sterblichen meist nicht wirklich daran glauben, dass es übernatürliche Dinge gibt, waren sie von ihm gefesselt. Ich gönnte Emory diesen kleinen Erfolg. Für einen Menschen muss alles erklärbar sein, egal ob durch Physik, Chemie oder irgendeine andere Wissenschaft. Doch ich bin ein Halbdämon. Ich bin anders.
Und auch einer der Menschen war nicht wie die anderen bei der Sache gewesen. Tame. Sie hatte sich nicht so leicht vom Dämonenspiel verzaubern lassen. Das konnte ich ihr übrigens nicht verdenken. Mein Onkel konnte knallhart sein, wenn es sein musste.
Am nächsten Morgen erreichte mich der Anruf des Polizisten, den ich manipuliert hatte. Ich saß mit Emory in der Küche und trank gerade meinen Kaffee. Er hörte den Anruf über Lautsprecher mit und als klar wurde, dass sie Zeugen ausfindig gemacht hatten, die mein gestohlenenes Auto am südlichen Stadtrand gesehen hatten, verdüsterte sich seine Miene.
"Ich glaube, ich weiß, wo es ist. Wir müssen deinen Polizisten-Freund hinführen. Aber davor erledige ich den Rest."
"Warte!", rief ich aus. Ich war aufrichtig erschüttert. Mir dämmerte, dass diese Geschichte für irgendjemand kein gutes Ende nehmen würde, der eigentlich gar nichts dafür konnte. Schuld daran war nur Aldon. "Was hast du vor?"
Emory sah mich mit steinerner Miene an. Die blauen Augen hatten sogar auf mich eine eisig kalte Wirkung, sodass ich fröstelte. "Wenn ich die Manipulation beseitige, wird er aufwachen. Kannst du dir vorstellen, was das für ihn bedeutet? Der arme Tropf wird seines Lebens nicht mehr froh. Ich mach es kurz. Er wird nicht mal merken, dass ich da war, denn er wird sofort tot sein."
Er ließ sich nicht umstimmen, egal was ich auch versuchte, und mir war nach wie vor nicht wohl dabei. Emory würde wieder den Schaden beseitigen, den Aldon hinterlassen hatte. So war es immer.

© OakBark
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Fallen Stars - Tame & Maelor - DämonenblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt