Ich bin der wahrscheinlich weltgrößte Glückspilz unter den Komapatienten. Das klingt ganz falsch, ich weiß- natürlich gibt es noch größere Wunder auf diesem Gebiet, zum Beispiel Leute, die nach 10 Jahren wieder aufwachen, Menschen, die wie von den Toten auferstehen und plötzlich fließend fremde Sprachen sprechen können. Mein 'Glück' ist da eher von anderer Natur. Ich meine- bestimmt gibt es viele, die aufwachen und gar niemanden an ihrer Seite haben oder bloß jemanden, bei dem sie sich nur denken: 'Oh-... nicht der schon wieder...'
Aber ich hatte keinen aufgedunsenen, übermüdeten Göttergatten an meiner Seite, der mich zurück in ein erbärmliches Leben führte, keine überdreht kreischende Freundin oder Schwester, die mich in den Wahnsinn trieb, keine ultrabesorgten Eltern, die meine Nerven strapaziert hätten- nein, an meinem Bett wartete ein Mann wie ein Covermodel von einem Hochglanzmagazin. Wie geschliffen und gemeißelt- trotz Augenringe und Blässe, doch daran ist seine lange Wache über meinen reglosen Körper Schuld. Bei mir waren es aber keine 10 Jahre sondern 'nur' 4 Monate. Aber diese Zeitspanne reicht schon, um einem das geregelte Leben gehörig zu entreissen. Insbesondere da mein Kopf ganz schön durcheinander ist. Ich hab nicht nur diese 4 Monate verloren- sondern auch die 3 Jahre vor meinem Autounfall. Retrograde Amnesie.
Deswegen war ich verblüfft, als ich den Mann da an meiner Seite sitzen sah. Ich dachte nur... das ist doch der Typ, der ab und zu in meine Wohnung kommt, mit mir Pizza im Bett isst, mit mir Serien guckt und mit mir schläft. Warum ist ausgerechnet er in dieser absurden Situation bei mir?
Aber es stellte sich heraus, dass er in den 3 Jahren vor meinem Unfall mehr geworden ist als das. Er ist mein Ehemann geworden. Mein Vertrauter. Derjenige, der 4 Monate lang an meinem Bett gewacht hat, derjenige, der sofort los geeilt ist, um bei mir zu sein, als alles Gewohnte zusammenbrach und aus den Fugen geriet. Und ich habe das sehr rasch akzeptiert, auch wenn meine Erinnerungen an ihn nur die Erinnerungen an einen Freund mit gewissen Vorzügen sind. Denn Paul ist großartig. Er hat sich so rührend um mich gekümmert. Er war immer, immer, immer da.
Er war so ein strahlender Ritter und ich war ein matschiges, undefinierbares Irgendwas. Ich hab früher mal gedacht, es läge in der Natur von Männern, einfach wegzulaufen, wenn Dinge zu schwierig werden. Aber nicht Paul, er ist ganz anders.
Er hat so viel unerschöpfliche Stärke und Tapferkeit bewiesen. Er war an meiner Seite, obwohl ich nicht mal ein menschliches Wesen war. Laufen, Schlucken, Sprechen- ich musste vieles neu lernen. Ich fühlte mich so unfassbar hilflos, wie ein unliebsamer Krüppel, der nur Ärger macht. Paul hat mir immer geholfen. Hat mich mit seiner Liebe umwickelt und in einen warmen, wohligen Kokon eingepackt, der mir das Gefühl gab, alles könnte wieder gut werden, genau so wie früher. Obwohl ich nicht mal wusste, was 'früher' bedeutete.
Ja, ich hab sogar den unbeschwerten Zustand in meiner abgehobenen, schwebenden Krankenhauswelt ein bisschen genossen. Wie ein Baby wurde ich umsorgt, verhätschelt, für jeden noch so winzigen Fortschritt gelobt und mit Liebe überschüttet.
Es war eine selbstsüchtige Zeit- aber jedem tut so ein bisschen Selbstsucht manchmal gut, oder nicht? Vorallem nach so einem schlimmen Ereignis.
Über den Unfall wurde nie viel gesprochen. Paul hat mir nur das nötigste erzählt. Hat erklärt, dass ich keine Schuld gehabt hätte, dass mir ein Arsch die Vorfahrt genommen hätte und dass er die Schadensersatzzahlungen regeln würde.
Guter, guter Paul. Er kümmerte sich um alles, regelte alles.
Es war so leicht, sich ganz neu in ihn zu verlieben. Einerseits hatte ich natürlich sehr viel Angst, meine eigene Unfähigkeit bereitete mir Panik, mein Kopf machte mich ganz verrückt, weil er mir einfach so viele wichtige Erinnerungen versperrte, so viel Zeit meines Lebens war einfach weg, einfach verschwunden.
Aber... neben diesen Phasen von Furcht hatte meine ganz eigene kleine Liebesgeschichte Platz, die mich mit neuem Leben erfüllte und mir Kraft gab. Ich bin ein verwöhntes Babykätzchen und würde mich gern den ganzen Tag im Schoß meines Geliebten einrollen und mich streicheln und kraulen lassen- deswegen finde ich es irgendwie romantisch, wenn die Welt um mich herum im Nichts versinkt und jemand mich mit Liebe beschenkt, sodass ich aufblühe.
Paul kümmert sich um alles. Bringt mir alles, was ich möchte ins Krankenhaus. Er ist mein Butler, Physiotherapeut, Masseur, Seelsorger.
Er macht seine Sache wirklich gut, aber... wir können nie allein miteinander sein, immer sind irgendwelche Krankenschwestern oder Ärzte da, immer hab ich irgendwelche Reha-Termine, die uns voneinander trennen.
Deswegen kann ich meinen Prinz, meinen gutaussehenden, fürsorglichen Prinz nur anschmachten... Er küsst nur meine Wange, nimmt mich nur mit Zurückhaltung in seine Arme.
Ich kann es nicht erwarten, dass er mich zurück nach Hause bringt. Damit auch das richtige Leben wieder anfängt. Damit er nicht nur mein Retter ist, sondern auch mein Ehemann. Damit ich die Seite von ihm sehe, die ich noch gar nicht kenne- oder besser gesagt, die ich wieder vergessen habe.
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Der Raum
Mystery / ThrillerMarie erwacht nach 4 Monaten aus dem Koma, die letzten 3 Jahre ihres Lebens hat sie völlig vergessen. Ihr Mann, Paul, an den sie sich kaum erinnert, führt sie behutsam zurück ins Leben- doch etwas an ihm ist seltsam. Er verbietet ihr, einen bestimmt...