Ich wurde durch einen Schneeball geweckt.
Während ich noch im Tiefschlaf verweilte, hatten meine Geschwister entschieden, im Hintergarten direkt unter meinem Fenster eine Schneeballschlacht abzuhalten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis eines der harten (und höchst unbeständigen) Geschosse ihr Ziel so stark verfehlten, dass sie an die Fensterscheibe direkt über meinem Bett prallten.
Natürlich war ich sofort hellwach. Kein Wunder, ich war beinahe einer Herzattacke erlegen. Noch ganz benebelt vom plötzlichen Adrenalinschub fiel ich halb aus meinem Bett und riss das Fenster auf. Tatsächlich waren dort Arya, Robb, Rickon, Sansa und Jojen in einen mehr als brutalen Kampf verwickelt. Es hatten sich dem Anschein nach zwei Teams gebildet; die beiden Mädchen gegen den Rest der Bande, obwohl man kaum behaupten konnte, dass Bran eine große Hilfe war. Er versorgte seinen besten Freund lediglich mit Munition. Rickon hatte die Kunst des zielsicheren Schießens sowieso nicht unter Kontrolle, deswegen waren es eigentlich nur Robb und Jojen, die gegen die unterschiedlichen Schwestern antraten. Genüsslich lehnte ich mich vor, um das Schauspiel unter mir besser beobachten zu können.
Robb hatte sich Sansa angenommen, er hatte sie an ihrem Anorak gepackt und rieb ihren Kopf mit Schnee ein. Meine Schwester kreischte so laut, dass ich glaubte, mein Fenster müsste zersplittern. Grinsend ließ ich meinen Blick zu Arya weiterschweifen, die gerade Jojens Beschuss auswich. Unser neuestes Familienmitglied hatte größte Schwierigkeiten in Arya ein Ziel zu finden, denn dieses Mädchen war wirklich sehr flink.
"Komm schon, Jojen.", neckte sie ihn. "Du schaffst es!"
Sie sah hübsch aus, voller Energie. Ihr braunes, kurzes Haar stand von ihrem Kopf ab, als hätte sie in eine Steckdose gefasst, ihre Lippen und Wangen schimmerten rot.
Ich war mehr als gespannt darauf, was als nächstes passieren würde. Es war kein Geheimnis, dass Arya irgendwie Gefallen an Jojen gefunden hatte und umgekehrt genauso. Wie gut, dass ich so eine gute Sicht auf die Geschehnisse hatte, die dort unter mir vonstatten gingen.
Jojen lachte und kam auf Arya zu, die versuchte ihm auszuweichen, und dabei direkt in seine Falle ging. Er schlang seine Arme um ihren zierlichen Körper, und beide fielen zu Boden, als Arya sich wie eine Verrückte zu wehren begann.
"Jojen!", rief sie lachend. "Lass mich los, ich krieg keine Luft mehr!"
Ich spürte, wie mir die Röte übers Gesicht kroch. Diese Szenerie erinnerte mich stark an Ygrittes und meine Begegnung an der Bushaltestelle, als ich mich auf sie geworfen hatte, um sie vor einem herannahenden Ast zu schützen. Das war wirklich kein besonders glanzvoller Auftritt meinerseits gewesen.
Apropos Ygritte. Ich war ihr gestern tatsächlich im Diner begegnet und wir hatten uns dazu entschlossen, uns heute im Park zu treffen, denn sie wollte Geist kennenlernen und ich hatte zugestimmt, ihn mitzunehmen. Ich hoffte bloß, er benahm sich.
Arya hatte sich inzwischen aus Jojens Griff befreit und versuchte, immer noch lachend, sein Gesicht in den Schnee tauchen.
Seit Jojen bei uns war, hatte meine eigentlich sehr ernste kleine Schwester viel öfter einen Grund zum Lachen als sonst. Es war fast so, als gäbe er ihr positive Energie. Wenn dem wirklich so war, dann war Jojen wahrhaft ein rettender Engel, der von einer höheren Macht gesandt worden war, um Gleichgewicht in unsere Familie zu bringen...
Zuerst Bran, und jetzt Arya.
Sansa hatte Robb längst abgewehrt und war nun hinter dem Schuppen verschwunden. Wahrscheinlich leckte sie dort ihre Wunden.
"Hey Leute!", rief ich. Sofort drehten sich fünf Köpfe auf der Suche nach dem Ursprung meiner Stimme um. Robb grinste, als er mich am Fenster lehnen sah.
"Erst jetzt wach? Wir hatten schon die Vermutung gehegt, du seist ins Koma gefallen!" Mein Bruder lachte und ich rief zurück: "War ich, glaubt mir. Aber dann reist mich plötzlich ein unverschämter Schneeball aus meinem wohlverdienten Nahtodzustand."
Arya deutete sofort auf Jojen. "Bedank dich bei ihm, er wollte eigentlich mich treffen, hat aber dann wohl etwas verfehlt."
Sie warf ihm einen koketten Blick zu. "Er kann überhaupt nicht schießen." Jojen konnte diese Beleidigung nicht auf sich sitzen lassen, und ehe Arya es sich versehen konnte, war ihr Gesicht voller Schnee. Jojen stürmte lachend davon, Arya hinterher.
Ich wechselte einen wissenden Blick mit Robb, der verschwörerisch die Augenbrauen hoch und runter zog.
"Ich glaube er steht auf sie.", ließ er verlauten und ich nickte.
"Definitiv."
In diesem Augenblick kam Sansa hinter dem Schuppen hervor, beladen mit Schneebällen. Sie bedeutete mir, Robb abzulenken, damit sie sich ihm unauffällig nähern konnte.
"Robb, wie läuft's eigentlich mit Talisa?", fragte ich also unschuldig, während Sansa leise durch den tiefen Schnee auf Robb zuwatete.
"Super." Ein verklärtes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. "Sie ist das schönste Mädchen auf diesem Erdkreis."
Irrtum Bruder, das ist Ygritte.
"Ich bin so froh, dass ich mich gegen diese Frey entschieden hab. Sie hätte sich letzten Endes zu so einer machtbesessenen Idiotin wie ihr Urgroßvater entwickelt."
Ich wollte gerade etwas erwidern, eine Zustimmung oder eine Bemerkung, jedoch wagte Sansa in diesem Augenblick den endgültigen Angriff.
Schreiend rannte sie auf Robb zu, ihr langes rotes Haar wie ein Amazone hinter sich herwehend, und bewarf ihn mit ihrer gesamten Munition.
"Rache!" Ihre Stimme hallte durch den Hintergarten. "Rache für Sansa Stark!"
Robb wurde von der schieren Energie unserer Schwester umgeworfen, und versuchte verzweifelt, die Oberhand zu gewinnen.
"Runter von mir, du irre Dämonin!"
Sansa schnaubte bloß und presste ihm eine Handvoll Schnee auf den Mund.
Ich schloss mein Fenster, lachend, und machte mich daran, mir etwas Passendes für mein Date mit Ygritte rauszusuchen.
Man wollte ja einen guten Eindruck vermitteln, nicht wahr?
•••
Ygritte erwartete mich am Eingang des Parks. Ihr wildes rotes Haar lugte unter einer schwarzen Strickmütze hervor, passend zu ihren Handschuhen. Es schneite leicht, weshalb sie sich gerade die Schneeflocken aus ihren Augen wischte, als ich sie erblickte.
Geist, den ich an der Leine hatte, fiepte aufgeregt, als wir in ihre Nähe kamen. Mehr als fiepen konnte er nicht, denn er war stumm, seit ich ihn kannte. Trotzdem war er meiner Meinung nach der schönste unserer Hunde. Er war schneeweiß, ohne einen einzigen dunklen Fleck, der die Reinheit seines Fells verunglimpfen würde. Seine Augen waren rot, was vielleicht auf den ersten Blick etwas verstörend aussah, aber mir gefiel es. Er sah dadurch so unnahbar aus.
Sie lächelte, als sie uns erblickte.
"Jon!" Ihre Stimme klang fröhlich, und ein warmes Gefühl machte sich in mir breit. Wie perfekt sie doch war, wie unglaublich elegant.
Ihr Blick fiel auf Geist, der neben mir hertapste, sorgsam darauf bedacht, in keine Schlammpfütze zu treten. Er wusste, dass ihn eine Waschprozedur erwartete, wenn er dreckig wurde. Und wenn er eines hasste, dann war es Seife und Hundeshampoo, gepaart mit einer kratzigen Bürste, die sich durch sein Fell ackerte.
"Oh", rief Ygritte entzückt aus. "Das muss Geist sein!"
Der Hund wedelte bei der Erwähnung seines Namens mit dem Schwanz und stob auf Ygritte zu, um sie zu begrüßen.
Andere Mädchen wären bei einem fünf Fuß großen Hund, der enthusiastisch auf sie zusprang, nicht so ruhig geblieben wie Ygritte. Diese kniete sich bloß zu ihm nieder und kraulte ihn ungerührt an den Ohren.
"Ich wollte auch immer einen Hund." Sie seufzte traurig. "Aber Manke und Dalla mögen keine Tiere."
"Wie lange lebst du schon bei ihnen?", fragte ich neugierig. Ygritte erhob sich, während Geist unruhig fiepte. Wahrscheinlich wollte er endlich in den Park.
"Seit ich fünf bin." Ygritte machte ein paar Schritte Richtung Eingang des Parks und ich folgte ihr. "Die beiden haben mich in einem Waisenhaus in Finnland aufgelesen. Angeblich kommen meine Eltern von dort her." Sie zuckte mit den Schultern. "Ich weiß fast gar nichts über meine Familie. Dalla ist die Großcousine meiner Mutter, sie ist aber Amerikanerin, genau wie Manke."
Geist stemmte sich gegen die Leine, ich wusste, wie gerne er durch den Schnee rasen würde, aber ich konnte ihn nicht freilassen, nicht hier, in einer öffentlichen Institution.
"Erinnerst du dich noch an sie?", fragte ich sie leise. "An deine Eltern?"
Ygritte dachte einen Moment nach, dann schüttelte sie den Kopf. "Nein." Ihr nordischer Akzent klang stärker durch denn je. "Manke und Dalla sind jetzt meine Familie." Sie lächelte mich an, ihre hellblauen Augen durchbohrten mich.
"Und du, Jon Schnee? Hast du Erinnerung an deine Mutter?"
Ich wollte schon ein spontanes "Nein" von mir geben, als ich stutzte. Es gab tatsächlich ein Bild von ihr, welches ich, tief im Inneren meines Gedächtnisses, besaß. Es musste wohl kurz nach meiner Geburt gewesen sein, denn die Frau, die sich mit einem Lächeln voller Liebe über mich beugte, sah müde und abgekämpft aus.
"Naja.", antwortete ich vage. "Sie war wunderschön, auf jeden Fall. Langes, braunes Haar, dunkle Augen, schneeweiße Haut." Ygritte sah mich nachdenklich an.
"Hast du deinen Dad schon einmal nach ihr gefragt?" Ihre Stimme klang sanft, als wollte sie mit aller Kraft verhindern, dass ich mich unwohl fühlte.
"Ich hab's versucht.", entgegnete ich düster. "Er wollte mir jedoch keine Auskunft geben."
Inzwischen waren ins Herz des Parks vorgedrungen, ebenso menschenleer wie der Rest. Um einen kleinen, im Augenblick zugefrorenen See standen eine Reihe von Parkbänken, alle von einer kleinen Schneehaube bedeckt. Ygritte hielt auf eine der Bänke zu, und befreite sie mit einer behandschuhten Hand vom Schnee.
Während ich Geist endlich von der Leine ließ, und dieser sofort den See erkundete, ließ Ygritte sich auf die Bank fallen und bedeutete mir, mich neben sie zu setzen. Ich gehorchte, und nachdem wir kurz geschwiegen hatten, fragte sie mich weiter: "Würdest du gerne wissen, wer deine Mum ist?"
Ich überlegte. Es hatte mich schon immer gereizt herauszufinden, welche Frau wohl so besonders gewesen war, dass Eddard Stark sein Ehegelübte kurzerhand vergessen hatte. Aber andererseits standen die Dinge zwischen mir und Catelyn gerade so gut, da wollte ich nichts riskieren.
"Ja, vielleicht." Mit meinen Augen folgte ich Geist, der gerade über die Eisoberfläche schlitterte, und dabei fröhlich fiepte.
Ygritte kniff die Augen zusammen als sie sich zurücklehnte und ihr Gesicht gen Himmel streckte.
"Winter ist so schön." Sie biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. "Wahrscheinlich bestätigt das die Theorie, dass ich aus Finnland bin. Ist dort nicht ewiger Winter?"
Ich zuckte lachend mit den Schultern. "Geografie ist nicht meine Stärke. Ich weiß nicht mal die Hauptstadt von dem Bundesstaat, in dem wir uns gerade befinden."
"Juneau." Sie lachte glockenhell. "Du weißt gar nichts, Jon Schnee."
Ich schmollte wie ein kleines Kind. "Ich kann Mathe... und Physik!"
"Das war's?"
"Und in Chemie bin ich auch nicht schlecht.", gab ich stolz zurück.
"Das ist ja sehr einseitig." Ygritte grinste ihr typisches schiefes Grinsen, welches sie so süß wirken ließ. "Irgendwelche Sprachen?"
"Zählt ein Crashkurs in Französisch?", fragte ich hoffnungsvoll.
Sie sah mich streng an. "Nein, Jon."
"Dann nur Englisch.", murmelte ich verlegen.
Zum Glück schien sie meine sprachliche Unbegabung nicht allzu schlimm zu finden, denn sie erzählte mir lachend über einen Freund ihres Adoptivvaters, der sich wegen seiner schlechten Kenntnisse der italienischen Sprache in ebendiesem Land gründlich blamiert hatte. Ich entschied, von nun an mehr Wert auf die Sprachen zu legen, denn so etwas Peinliches sollte mir nie passieren.
Ich war überrascht, wie gut ich mich mit Ygritte unterhalten konnte. Sie war so ungezwungen und locker, und dabei auch noch intelligent und interessant.
Wir sprachen über alles, was uns in den Sinn kam; von meiner Universitätsauswahl zu ihrer Kindheit, in der sie mehr als zehnmal hatte umziehen müssen, da ihr Adoptivvater ein viel gefragter Historiker war.
"Er findet euch übrigens ganz spannend.", warf sie ein. "Euch Starks, und Lannisters. Laut ihm existieren diese Familien schon seit Jahrhunderten, und liegen sich seit mindestens genauso vielen Jahren schon in den Haaren."
"Das kann ich mir vorstellen.", erwiderte ich düster. Keiner aus meiner Familie hatte mir jemals einen Grund nennen können, warum wir die Lannisters so sehr hassten und sie uns. Die Ursache für diese Auseinandersetzung musste wohl in einer anderen Zeit stattgefunden haben, in einem anderen Land.
Die Sonne war schon beinahe untergegangen, als Ygritte, Geist und ich uns auf den Rückweg machten. Unglaublich, ich hatte fast vier Stunden mit ihr verbracht, ohne dass es ich bemerkt hatte, wie die Zeit verstrichen war. Dieses Mädchen war etwas ganz besonderes, soviel war klar.
Der Schnee fiel inzwischen wieder heftiger, die Flocken dick und groß wie kleine Wattebäusche. Wir standen vor dem Parkausgang, im Licht der Straßenlaterne, die unsere Szenerie beleuchtete.
"Ich schätze, wir sehen uns." Ygritte lächelte mich an, wobei ihre blauen Augen aufleuchteten.
Ich nickte, und bevor ich wusste, was in mich gefahren war, hatte ich mich nach vorne gelehnt, und sie sanft auf die Stirn geküsst.
"Danke für diesen wunderbaren Nachmittag, Ygritte."
Zum ersten Mal seit ich sie kannte, wirkte sie durcheinander, denn als ich einen Schritt von ihr wegtrat, um Geist enger an die Leine zu nehmen, strich sie sich mit einer fahrigen Bewegung das Haar aus dem Gesicht.
"Nichts zu danken, Jon Schnee." Ihre Stimme zitterte leicht. "Es war mir ein Privileg mit dir Konversation zu betreiben."
Und mir erst, Ygritte, und mir erst.
DU LIEST GERADE
Game of Thrones Reloaded
RomanceWer hätte gedacht, dass in dem kleinen amerikanischen Örtchen New Westeros ein solches Chaos ausbrechen würde? Es ist doch bloß eine landesweit gelesene Zeitung, die einen Wettbewerb aushält, der die idyllischste Familie bestimmen soll. In New West...