Kapitel 106

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Ich stand da und beobachtete die Leute. Naja, eigentlich wartete ich eher auf einen Moment, wo ich Leo und mich loseisen und verschwinden konnte. Bis jetzt hatte sich aber noch nichts ergeben. Und das nervte mich ehrlich gesagt so ziemlich. Ich wollte mein Mädchen endlich in die Arme nehmen und küssen. "Hey, Max." Ich drehte mich um und schaute in das grinsende Gesicht von Lucy. "Echt 'nen geiler Aufriss, den deine Alten hier abbrennen lassen." Also so ruhig und nett wie Luca war, so aufgedreht und frech war seine kleine Schwester. Manchmal fragte ich mich echt, was ich verbrochen hatte, dass sie sich immer an mich klettete. Selbst in den Pausen in der Schule hing sie immer bei uns ab und nervte. Ein paar mal schon konnte ich nicht einmal meine knappe Zeit mit Leo genießen, weil sie mich zugetextet hatte. Gab es eigentlich keine Mädels in ihrer Klasse, die sie da nerven konnte?  "Du glaubst es ja echt nicht, aber mein Alter wollte erst gar nicht hierher fahren. Ja gut, irgendwie kann ich ihn ja schon verstehen. Wer will schon in eine Zeckenhütte. Aber ich bin ja gut ausgerüstet." Und ob ich mir den Aufstand vorstellen konnte. Ich hatte ja meinen Paps erlebt. Also wieso sollte es im Hause Goretzka anders sein. Aber was meinte sie mit Zeckenhütte und vorbereitet? Ich schaute zu ihr und sie hielt ein kleines Fläschchen mit blauer Flüssigkeit hoch, darauf stand Antizeckenmittel. Boah, was sollte der Mist? Konnte mich hier bitte mal jemand von befreien? "Ach Max, kannst du bitte noch Getränke aus dem Keller holen?" Wann hatte ich mich zu letzt so gefreut die Stimme meiner Mutter zu hören. Ich nickte und setzte mich in Bewegung "Warte, ich kann dir doch helfen." Ach nö, das musste doch nicht sein. "Nix da, du bist Gast hier.", griff meine Mom ein "Außerdem wartet Leo schon im Keller und hilft." Hatte sie eben Leo und Keller gesagt? Ich beschleunigte mich sofort. Danke, Supermom. "Aber die ist auch Gast.", hörte ich Lucy noch im Weggehen zetern. Am besten gefiel mir aber Moms Antwort "Nee, die ist Familie." Ja, Leo gehörte zu unserer Familie, wenn auch noch nicht offiziell, aber das würde sie garantiert irgendwann. Die Kellertür schlug hinter mir zu und sofort schlangen sich Arme um mich. "Ich dachte schon wir haben heute überhaupt keine Zeit für uns." Leo strahlte mich an und als nächstes spürte ich ihre Lippen auf meinen. Ja, das war es, was ich mir schon den ganzen Tag gewünscht hatte. Ich zog sie ganz fest in meine Arme. "Manno, ich will da jetzt nicht zurück.", maulte Leo als ich mich nach einer Ewigkeit von ihr gelöst hatte und zog einen süßen Flunsch. Ich zuckte mit den Schultern "Ich auch nicht, aber garantiert kommt sonst bald jemand und sucht uns." Leo stampfte mit dem Fuss auf "Das ist so unfair. Weißt du, so langsam hasse ich Papili echt. Sowie wir achtzehn sind, brennen wir einfach durch. Dann kann er gar nichts mehr machen." Dieser niedliche trotzige Gesichtsausdruck beschleunigte mein Herz genauso wie ihre Aussage. Leo würde einfach mit mir abhauen. Das hieß, sie hatte genauso wenig Zweifel wie ich, dass wir für immer zusammenblieben. Ich griff gerade nach einem Korb mit Getränken  als sich die Kellertür öffnete und Roman hereinkam "Ach gut, dass ich dich hier finde, Max. Du kannst mir bestimmt helfen." Sein Blick wanderte zu Leo "Was machst du denn hier, mei Minischnütli?" Leo wackelte mit den Flaschen, die sie in der Hand hatte. Roman nickte sofort und wandte sich wieder mir zu "Wo sind die Marshmallows? Ich brauche die sofort." Er scannte die Regale mit einem hektischen Blick ab. Oha, dann machte wohl die kleine Dramaqueen Delphie gerade wieder Stress. Ich drehte mich kurz um und zog eine Tüte zwischen den ganzen Naschereien hervor. "Danke.", erleichtert atmete er auf und stürzte auch schon wieder aus der Tür, nachdem er mir die Tüte aus der Hand gerissen hatte. Das war echt wieder knapp gewesen. Wäre er ein paar Minuten früher aufgetaucht, hätte er uns erwischt. Das konnte so nicht weitergehen. Wir mussten uns echt etwas einfallen lassen."Ay, füllt ihr die Flaschen erst ab?" Jetzt tauchte auch noch Lucy hier auf. Am liebsten hätte ich genervt aufgestöhnt. Ich schaute zu Leo, die sie mit ihren Augen fixierte und anfunkelte. "Ja, sind blaue Flaschen, die sind besonders groß, da dauert das länger." Oha, mein Mädchen mochte da jemanden wohl gar nicht. Naja gut, da war ich relativ bei ihr. "Wenigstens kannst du damit diese kleinen widerlichen Zecken platt machen." Lucy baute sich vor Leo auf. Diese große Klappe ging mir auch mächtig auf die Nerven. Bevor das ganze hier aber noch eskalierte, drückte ich Lucy zwei Flaschen in die Hand und schob sie zur Treppe. "Diese kleine miese Blaue mache ich gleich platt.", hörte ich mein Mädchen nur zischen. Ja, sie war definitiv geladen. Oben angekommen sah ich wie mein Paps zusammen mit Mili, Erik und Kevin in einer Ecke stand und sich sehr angeregt unterhielt. Ihre Blicke wanderten immer zu Lucas Vater, der sich mit Roman unterhielt. Okay, Leos Vater hatte scheinbar keinen solchen Verfolgungswahn gegen die Farbe blau. Aber ehrlich gesagt sah das Gespräch der vier ziemlich nach einer konspirativen Diskussion aus. Wahrscheinlich war es wieder besser gar nichts davon zu wissen. Ich schaute nach meiner Mutter, die zusammen mit Jasi,  Kathi, Vicki und wenn mich nicht alles irrte Lucas Mutter zusammenstand und sich unterhielt. Die Frauen waren heftigst am Lachen als Mom mich heranwinkte. "Das ist einer unserer ältesteten, Max.", stellte sie mich vor. "Na, du musst doch genauso alt wie unser Luca sein?" Ich nickte nur "Na wenigstens ist die nächste männliche Generation in unseren Familien nicht so geistig eingeschränkt.", lachte sie "Luca versteht diesen ganzen Revierkampf genauso wenig wie ich. Klar, bei uns in München warst du auch für die Bauern oder eben ein 60er. Aber das war trotzdem nicht so wie hier." Mom schaute sie mit aufgerissenen Augen an "Dann warst du eine 60erin?" Ein grinsendes Nicken war die Antwort "Ich war auch immer Herthanerin, genau wie Jasi." "Dann seid ihr auch nicht von hier?" Lucas Mutter schaute verwundert zwischen allen hin und her, die mit dem Kopf schüttelten "Nö, wir kommen alle aus Berlin und haben nur so BVB Irre geheiratet." Lucas Mutter bekam sich vor Lachen gar nicht mehr ein "Ihr hättet vorhin echt Leon erleben sollen. Der hat sich erst wie ein bockiges kleines Kind geweigert ins Auto zu steigen. Fahren musste ich sowieso, weil er nicht in die verbotene Stadt fährt. Und hier hat er dann beim Aussteigen wieder gebockt. Das ist echt unglaublich." Die anderen Frauen fingen auch an zu lachen "Könnt ihr euch vorstellen, was bei uns zu Hause abgebrannt ist, als unsere Kinder einer Schule in Dortmund zugewiesen wurden? Der wollte gleich wieder die Umzugskartons packen. Aber wir müssen uns echt etwas einfallen lassen. Leon hat für nächste Woche seine ganzen alten Mannschaftskameraden mit Töchtern im Alter von Luca zu einer Einweihungsfeier eingeladen. Der denkt echt ich merke nicht, was er damit bezweckt." Mom fing lauthals an zu lachen "Den Scheiß hat Marco heute auch erfolglos probiert." Sie hakte sich bei Lucas Mutter unter "Aber ehrlich gesagt finde ich Luca und Maja passen super zusammen. Und du, Lisa?" "Ich auch. Ich will, dass mein Sohn glücklich ist und das ist er mit deiner Tochter. Was anderes interessiert mich nicht. Komm' dann lasse uns mal einen Gegenplan schmieden." Okay, das war der Moment, wo ich raus war. Nicht schon wieder Mitwisserschaft. Und schon gar nicht, wenn scheinbar zwei Supermoms sich in ihre Heldinnenanzüge schwangen.

Kein Schuss, trotzdem ein Treffer  ✔Teil 5Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt