22.

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Jenny zwinkerte Mats zu, der sich wie abgesprochen neben sie setzte und Marco somit gar keine andere Wahl bekam, als sich neben mich zu setzen. Am liebsten hätte ich meine Hände über den Kopf zusammen geschlagen, so unangenehm war mir die ganze Situation. Die Zeit bis zum Anstoß, die mir eben noch so kurz vorkam, war nun Ellenlang, sodass ich mich langsam fragte warum ich überhaupt so schnell hergekommen war. Schnell richtete ich nochmal meine Jacke, die auf meinen Beinen lag, bevor ich Marco begrüßend zu nickte. Ein wenig verhalten setzte er sich zu mir und zog sich den Kragen seiner Jacke ins Gesicht, bevor er etwas tiefer in den Sitz rutschte. Kein Wunder, nachdem ich ihm gestern im Laden an den Kopf geworfen hatte, dass er mich nicht so bedrängen sollte. Wenn ich so richtig darüber nachdachte musste er sich doch jetzt total idiotisch fühlen und ich würde ihm lieber um den Hals fallen, als so unangenehm neben ihm zu sitzen. Auch Jenny, die sich angeregt mit Mats unterhielt, bemerkte mittlerweile die schlechte Stimmung zwischen uns und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Egal, ich schob diese doofen Gedanken beiseite, schließlich wollte ich Lennard unterstützen. Nachdem Anpfiff ging es schon gut los und ich konnte nicht nur meinen overdresseden Aufzug vergessen, sondern auch, dass Marco der neben mir saß. Lennard spielte fantastisch, auch wenn bis jetzt auf keiner Seite ein Tor gefallen war. In der Halbzeitpause starrte Marco mich regelrecht von der Seite an. Ich schaute ihn irgendwann an, als ich es nicht mehr aushielt so angestarrt zu werden und warf ihm einen fragenden Blick zu. "Du bist die ganze Zeit am Zittern, ziehst aber nicht deine Jacke an, die auf deinem Schoß liegt. Ist das wieder so ein Frauending oder willst du wieder krank werden?" fragte er interessiert und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ich wurde rot und schaute auf meinen Schoß: "Äh, ne keins von beidem, ich-" stotterte ich drauf los. Er unterbrach mich indem er eine Decke unter seinem Sitz hervor zauberte: "Hier ich habe immer eine dabei. Zieh deine Jacke jetzt endlich an und ich lege dir die Decke auf deine Beine. Ich kann nicht verstehen wo dein Selbstbewusstsein ist." Er grinste bei dem letzten Satz. Stutzig schaute ich wieder zu ihm herüber: "Wie meinst du das?","Ich weiß, dass das deine Arbeitsklamotten sind. Du siehst gut aus. Du brauchst dich nicht verstecken Yve." grinste er. Schon wieder schaute ich auf meinen Schoß und musste in mich hinein lächeln. Derweil legte Marco mir vorsichtig die Decke über die Beine und rutschte näher zu mir, bevor er seinen Arm hinter mir auf meine Stuhllehne ablegte. Ich würde den Fehler nicht noch einmal machen und ihn jetzt von mir stoßen. Ich war überrascht davon, wie fürsorglich und aufmerksam er doch sein konnte. 
Das Spiel ging weiter und natürlich lagen alle Augen wieder auf dem Spielfeld. In mir herrschte plötzlich ein ganz ungewohntes und unruhiges Gefühl. Ich musste an den Traum von heute Nacht denken. Nachdem ein Tor durch Sancho fiel und die Euphorie so langsam verflog, wurde mein Gefühl noch schlechter. Die Bayern wurden immer aggressiver und Lennard der heute im Sturm spielte, schien alles ab zubekommen. Ein Bein hier, ein Schubser da. Er tat mir richtig leid. Auch Marco zog bei jedem Sturz meines kleinen Bruders scharf die Luft ein. "Favre sollte ihn lieber runter nehmen, wenn er nicht will das dein Bruder kleingehäckselt wird von den Bauern." murmelte Marco leise neben mir. Ich nickte hysterisch: "Warum macht er das nicht? Lennard sieht schon komplett fertig aus!" sagte ich, lauter als gedacht. Die Buh-Rufe im Stadion gegen das gegnerische Team wurden derweil immer lauter. Als Lennard freie Bahn Richtung Tor hatte und so besenkt los stürmte mit dem Ball, wie ich eben fuhr, standen wir alle auf. Meine Hände schwitzten wie bekloppt und mein Herz schlug wie wild gegen meine Brust. Gerade als Lennard schießen wollte holte Boateng ihn auf und zog ihm geschickt mit seinem Fuß von hinten die Beine weg. Im ganzen Stadion war ein schmerzerfülltes Stöhnen zu hören. Da bewahrheitete es sich, mein mulmiges Gefühl. Marco und ich warfen uns schockierte Blicke zu, denn Lennard stand nicht wieder auf. Das Spiel wurde endlich unterbrochen und der Schiedsrichter holte das BVB-Team von der Bank die meinem Bruder von Platz halfen. Boateng bekam eine rote Karte und pöbelte auch noch wie verrückt den Schiedsrichter an. Ich verdrehte die Augen. Meine Hand krallte sich wie von selbst in Marcos Oberarm: "Wo wird Lennard hingebracht?","Du darfst da nicht hin. Beruhige dich erstmal. Es musste keine Trage kommen, das ist schon mal gut." redete Marco beruhigend auf mich ein. Aber ich konnte und wollte mich nicht beruhigen. "Wir haben doch nur uns. Marco er ist keine 30, er ist erst 19 Jahre alt. Er sollte nicht alleine sein." flehte ich mit glasigen Augen. Marco raufte sich die Haare, griff aber dann nach einer kurzen Pause der Grübelei nach meiner Hand und zog mich hinter sich her. In diesem Moment verfluchte ich dieses riesen Stadion, auf meinen hohen Hacken kam ich dem verletzten Marco nicht mal hinterher und stoppte kurz. "Was hast du?" fragte er irritiert als er bemerkte, dass ich stehen geblieben war und kam wieder auf mich zu. Ich hielt mich kurzerhand an seiner Schulter fest, zog mir die Schuhe aus und gab ihm zu verstehen, dass ich weiter wollte. Er schüttelte grinsend den Kopf und blieb stehen. "Hallo? Wir können weiter!" sagte ich also unmissverständlich. Kurzerhand legte er vorsichtig seine rechte Hand in meinen Nacken, zog mich sanft an sich heran und legte intensiv seine Lippen auf meine, nur um sie kurz darauf wieder von mir zu lösen und mich dann wieder mit sich zog als wäre nichts geschehen. Perplex ließ ich mich also wieder von ihm mit ziehen und ignorierte, dass meine Füße vor Kälte beinahe abfielen. Angekommen an unserem Ziel klopfte Marco dann auch noch höflich an die Tür. Ich für meinen Teil wäre am liebsten wie eine Furie darein gestürmt, oder sogar auf den Platz, um diesen arroganten Boateng mal einen Gehfehler der allerfeinsten Sorte zu ziehen. Die Tür flog auf, Marco und ich quetschten uns wortlos durch, nur um kurz darauf die Worte "Wahrscheinlich ein Bänderriss" von Doc zu hören. Lennard schmiss sich sauer auf die Liege zurück und schlug seine Hände über dem Kopf zusammen.

SchmetterlingseffektWo Geschichten leben. Entdecke jetzt