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Koffer und Tasche blieben im Vorzimmer stehen. Till bedachte mich mit einem besorgten Blick, sagte aber nach wie vor kein Wort und nahm neben mir auf der Couch Platz.
In der Zwischenzeit hatte ich mir eine Schmerztablette aus der Packung gedrückt und mit einem Glas Wasser hinuntergespült – hoffentlich wirkte sie bald. Ich war eigentlich kein wehleidiger Mensch aber im Moment war es mir eindeutig zu viel: Die Vorfreude auf Till, die weniger nette Begrüßung, dazu die Schmerzen und wahrscheinlich hatte ich es auch mit der Autofahrerei übertrieben – das alles rächte sich in diesem Augenblick. Ich stierte vor mich hin und bemerkte erst gar nicht, dass Till nach meiner Hand gegriffen hatte, erst sein leises Räuspern riss mich aus meiner Starre.

„Möchtest du mir mal erzählen, was mit dir passiert ist?", seine Stimme klang sanft und weich und wieder streichelte er dabei zärtlich über meine Hand.
„Ich lasse dich vor einer Woche mit einem blauen Auge fahren, und wir sehen uns wieder und diesmal ist dein Fuß kaputt. Was machst du bloß?"

„Also das blaue Auge ging ja mal auf deine Kappe, aber das ist zumindest wieder gut", seufzte ich, „und das hier", ich deutete auf mein Bein, das ich vor mir auf dem Couchtisch gelagert hatte, „war ein kleiner Zwischenfall mit einem Wildschwein. Gestern."

„Du...Moment, was? Was ist passiert?"
Er klang plötzlich sehr ernst.

Erneut gab ich die gestrigen Ereignisse in der Kurzfassung wieder. Till versteifte sich neben mir immer mehr und sein plötzlicher Ausbruch ließ mich zusammenzucken.

„Und warum, bitteschön, erfahre ich erst jetzt davon? Wieso hast du dich nicht gemeldet?"

Müde und kaputt von dem Pochen im Bein riss bei mir der Geduldsfaden und ich blaffte ihn an.

„Was geht dich mein kaputtes Bein an? Hast du Angst, dass du jetzt nicht mehr zum Ficken kommst, oder was?"
Mit einer schwungvollen Bewegung löste ich meine Hand aus Seiner und schleuderte dummerweise das Wasserglas vom Tisch, das gegen den steinernen Schwedenofen flog und zerbrach.

„Scheiße!", schrie ich durch das Zimmer und schlug auf die Couch ein.

Was war nur los mit mir?

Till sah mich erst entgeistert an, dann wurde sein Blick kalt.

„Wenn du mich für so kalt hältst, dass ich nur hier bin, um mit dir zu Ficken, dann habe ich mich wirklich in dir getäuscht", er klang richtig wütend und auf einmal bekam ich es mit der Angst zu tun. Angst, dass ich ihn wirklich verletzt hatte. Angst, dass er einfach abhauen würde.
Er war aufgestanden und funkelte mich zornig an. Ich wollte nach seiner Hand greifen doch er schlug sie weg.

„Till, ich...bitte...setz dich wieder", ich versuchte das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken, doch es gelang mir nicht, „ich wollte dir nicht weh tun. Es tut mir Leid, bitte glaub mir! Ich wollte nur nicht, dass du es dir vielleicht anders überlegst, und deswegen nicht herkommst. Dein Anruf kam gestern so überraschend und ich weiß noch nicht mal, was das", ich deutete zwischen uns hin und her, „ist..."
Bei mir war die Luft draußen, und ich starrte diesen Schrank von Mann an, der noch immer vor mir stand. Wie ich diesen Blick deuten sollte, wusste ich nicht.
Langsam ließ sich Till wieder auf der Couch nieder.

„Wie kommst du nur auf so einen Blödsinn, dass ich wegen sowas", er deutete auf meinen Fuß, „absagen würde? Und wenn ich nur aufs Ficken aus wäre, bräuchte ich nicht extra nach Österreich fliegen, da wäre in Berlin auch genug Auswahl."
Der letzte Satz troff nur so vor Gehässigkeit.

Autsch, das hatte gesessen.

Wir saßen nebeneinander und sahen uns an, ich suchte nach den passenden Worten, die mir aber nicht so Recht einfallen wollten, und ihm ging es offensichtlich ähnlich.
Mit hängenden Schultern saß ich da, lautlos rannen einzelne Tränen mein Gesicht hinab. Ich machte mir nicht mal die Mühe, sie wegzuwischen – ich hatte diesen wunderbaren, freundlichen und ruhigen Mann mit meinem unüberlegten Ausbruch augenscheinlich tief verletzt, wie konnte ich das wieder gut machen? Andersrum gedacht, wenn er mir solche Sachen an den Kopf geworfen hätte, wäre ich wahrscheinlich schon längst abgehauen. Dafür bewunderte ich ihn noch mehr, dass er das bis jetzt nicht getan hatte.

Till erhob sich.
„Wo finde ich die Toilette?"

Müde blickte ich zu ihm auf und musste mir nun doch die nasse Wange abwischen, dann deutete ich schräg hinter mich.

„Hinten im Gang, letzte Türe – oberster Lichtschalter."

Er verschwand.
Neben mir vernahm ich ein leises Scharren: Paulchen hatte sich hervorgewagt und versuchte nun, eine der Glasscherben durch die Gegend zu tragen. Das hatte mir gerade noch gefehlt.

„Paulchen, du Idiot, lass das!", fauchte ich den kleinen Kerl an, der vor Schreck einen Satz machte und wieder davon lief.
Mühsam erhob ich mich, stellte fest, dass die Tablette ihre Wirkung zeigte, und sammelte schnell die Scherben zusammen. Diese wickelte ich vorsorglich in Küchenrolle ein und entsorgte sie danach im Mistkübel. Ich hörte die WC Spülung, doch die Türe blieb geschlossen. Er betrachtete wahrscheinlich auch die Kunstwerke am Klo – und er ließ sich einige Zeit damit.
Mittlerweile hatte ich wieder auf der Couch Platz genommen, doch weder Paulchen noch Till ließen sich blicken.
Ich versuchte immer wieder, die richtigen Worte zu finden, aber mein Kopf war wie leergefegt. Wie sollte ich mich entschuldigen? Ich konnte ihn ja schlecht ins Bett zerren – nach der Reaktion von vorhin war an das sicher nicht zu denken.
Endlich vernahm ich das Öffnen und Schließen der Türe und Till setzte sich wieder neben mich. Ich suchte in seinem Gesicht nach irgendeinem Anhaltspunkt, wie es jetzt weitergehen sollte, wurde aber nicht so recht schlau daraus.

„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mich jetzt gerne hinlegen."
Er klang ruhig aber abweisend.

Ich schluckte – war es das? Einfach schlafen gehen und morgen würde er abreisen?

„Ähm, klar."
Ich wollte aufstehen, um ihm alles zu zeigen, doch er winkte ab.

„Bleib sitzen, ich finde mich schon zurecht."

„Oh, ok. Ähm, Badezimmer ist neben der Toilette, Schlafzimmer ist die Türe auf der anderen Seite. Und falls die Katzen irgendwo herumliegen, schmeiß sie halt einfach raus."

Ein Nicken, dann nahm er sein Gepäck und verschwand Richtung Badezimmer.

Und nun?

Ich streckte mich auf der Couch aus, checkte meinen Instagram Account und scrollte schließlich durch einige Bilder auf meinem Handy. Bei dem Foto von Till und mir am Steg blieb ich hängen. Wieder kamen Tränen hoch.
Ich hörte ihn aus dem Badezimmer kommen und ins Schlafzimmer gehen. Kurz bildete ich mir ein, seine Stimme vernommen zu haben, dann war ein Pfauchen zu hören und im nächsten Moment schlitterte Tiger um die Kurve und verkroch sich unter dem Tisch. Aha, Till hatte meinen schüchternen Kater also kennengelernt. Gerade, als ich aufstehen und nachsehen wollte, fiel die Schlafzimmertüre ins Schloss und ich blieb tief getroffen stehen. Den Kloß im Hals hinunterschluckend sank ich wieder auf die Couch – die würde wohl heute Nacht meine Schlafgelegenheit sein. Ich griff nach meiner Kuscheldecke, rollte mich darunter zusammen und weinte mich leise in den Schlaf.


DahoamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt