Kapitel 9

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Wie jeden Dienstag nach der Schule sitze ich in der Bahn. Es ist voll, so wie immer. Das einzige, was mir nicht normal erscheint ist , dass Hayden nicht da ist. Ich schaue mich um, suche nach ihrem pechschwarzen Haaren.
Vergebungslos.
Sie ist nicht hier.

Stirnrunzeln steige ich an meiner Haltestelle aus. Auch am Bahnsteig sehe ich mich nach dem mysteriösen Mädchen um. Wir treffen uns sonst jeden Dienstag. Dienstag ist unser Tag.
Kopfschüttelnd laufe ich auf die Treppen zu und steige sie hinauf ins Tageslicht. Die Sonne scheint auf mich nieder, blendet meine Sicht. Ich schaue mir meine Umgebung nicht an, ich könnte sogar im Schlaf nach Hause laufen, so vertraut ist mir der Weg.
Kurz bevor ich die Straße überqueren will, fällt Hayden in mein Blickfeld. Ganz in schwarz gekleidet lehnt sie an einem Baum, die tiefhängenden Äste hätten sie fast ganz verborgen. Als sie merkt, dass ich sie gesehen habe schlecht sich ein Lächeln auf ihre bezaubernden Lippen.
Unsicher lege ich meine Hände links und rechts an den Gurt meines Rucksacks und laufe zu ihr rüber. Hi Dylan." Hey Hayden." Kommst du mit zu mir?" , frage ich plötzlich, ohne auch nur eine Sekunde nach zu denken. Klar." , sie lächelt und folgt mir, als ich ansetzte zu gehen. Tut mir leid, ich musste noch was für meine Tante abholen." Schon okay." , versichere ich ihr. Gib mir mal dein Handy." Ich frage nicht warum sondern gebe es ihr sofort. Alles was ich besitze, hätte ich ihr gegeben. Sie tippt darauf herum, ruft plötzlich jemanden an. Als dann Haydens Telefon klingelt, ist mir klar was sie gemacht hat. Beim nächsten mal schreib ich dir eine SMS wenn später wird." , frech grinst sie. Okay."

Hayden atmet ruhig. Ihr Kopf liegt angenehmen auf meiner Brust. Ich habe einen Arm um ihre Schulter gelegt und spiele mit ihren Fingern. Sag mal,-" , fange ich an. -wie ist das eigentlich so?" Was meinst du?" , Hayden legt ihre freie Hand auf meinen Bauch, umfasst meine. Ich meine das mit dem Gedanken." , leise summt sie. Es ist nicht so wie du es dir vorstellst." , meint sie. Ich will gerade etwas sagen, als mir einfällt, dass sie weiß, wie ich es mir vorstelle. Ich laufe nicht durch die Stadt und höre jeden einzelnen Gedanken der Menschen, an denen ich vorbei laufe." , erzählt Hayden. Es läuft nach meinen Regeln, so wie ich es will. Wenn ich wissen will was jemand denkt, dann höre ich es. Wenn ich es nicht wissen will, dann lass ich es bleiben. Dann ist es still in meinem Kopf." , erklärt sie. Ich habe mir als Kind immer gewünscht zu wissen was die Erwachsenen denken." , beichte ich. Glaub mir, die denken bloß an Geld, ihre Arbeit und an ihre Affären." , ich muss grinsen.

Es gab mal eine Zeit, da ist es so laut in meinem Kopf gewesen, ich konnte meine eigenen Gedanken nicht hören. Ich weis nicht mal, ob die Gedanken die ich hören konnte, fremde oder doch meine eigenen gewesen sind. Es ist ein unübersichtliches Chaos gewesen, Wortfetzen tauchten auf, so plötzlich, dass es keinen Zusammenhang gegeben hat. Nichts, was sich in meinem Kopf abgespielt hat, ergab einen Sinn." , sachte streiche ich über Haydens schwarzes Haar. Sie sind glatt, fühlen sich seidenweich an und gleiten leichtfertig durch meine Finger hindurch. Ist das die Anfangszeit gewesen?" Ja. Ich bin so überfordert gewesen, konnte mir den Lärm in meiner Birne einfach nicht erklären." Konnte dir jemand helfen? Also ich meine hast du jemanden davon erzählt?" , frage ich neugierig. Meine Tante, sie kann das auch. Ich lebe seid dem ich Elf bin bei ihr. Fast drei Jahre später, kurz vor meinem vierzehnten Geburtstag hat es angefangen." , Hayden hält kurz inne. Meine Großmutter hat mir ständig von Frauen erzählt, die jeden durchschauen konnten. Mit ein wenig Anstrengung wissen sie woran du denkst und was dir im Leben am meisten bedeutet. Meine Oma ist alt gewesen, hat ständig Unsinn erzählt. Und ich war jung, habe den Ernst der Lage und ihre Worte nicht verstanden. Als es angefangen hat, habe ich es meiner Tante erzählt. Sie hat mir geholfen, mich gelehrt wie ich es unter meine Macht bringen kann, es kontrollieren kann." Und jetzt kannst du es kontrollieren?" , hacke ich nach. Hayden zögert. Sie rappelt sich auf, blickt mir nun in die Augen. So hübsche Augen hatte sie. Ich hab alles unter Kontrolle." , flüstert sie. Ihr Gesicht schwebt ein paar Zentimeter vor meinem. Mein Blick gleitet von ihren Augen zu ihren Lippen und wieder zurück. Unentschlossen, wie mein nächster Schritt aussehen soll, blicke ich Hayden in die Augen. Sie grinst. Sie grinst wie ein Gott verdammtes Honigkuchenpferd. Es ist ziemlich offensichtlich, dass sie weiß, was für eine Frage ich mir gerade gestellte hatte. Sie weiß was in meinem Kopf abgeht. Ohne, dass Hayden etwas sagt, legt sie ihre Hände in meinen Nacken, spielt mit meinen Haaren und legt so ganz nebenbei ihre betörenden Lippen auf meine.

832 Wörter

Der Schrei Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt