Gelegenheiten

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Adrien sah in diese himmelblauen Augen, die ihm stumm eine Frage zu stellen schienen. Was bedeutet dein Lied?  Sowas konnte man nicht fragen, natürlich nicht. Und doch hatte er den Eindruck, dass sie genau dies wollte. Welche Bedeutung mein Lied hat? Es gibt diese eine Person, für die ich es komponiert habe. Diese eine Person, über die ich mit niemandem reden kann, nicht einmal mit dir. Die Person, der meine tiefsten Gefühle gelten. Der ich vertraue, ohne sie wirklich zu kennen. Das Mädchen, das ich liebe. Er hatte lange an dem Stück gearbeitet. Immer dann weitergemacht, wenn es ihm schlecht ging, was meistens dann war, wenn er Liebeskummer hatte. Das Traurige war, dass Ladybug das Stück wohl nie hören würde. Oder? Es gab sicher keine Möglichkeit, es ihr zu zeigen. Aber würde sie dann begreifen, wie sehr er sie liebte? Oder würde sie es einfach ignorieren, ihn wie sein Vater nicht verstehen und keine Interesse an seinen Gefühlen haben? Bestimmt eher die zweite Möglichkeit. Das war am realistischsten. Obwohl -  Marinette schien es doch auch irgendwie gefallen zu haben. Sie schien es mitgefühlt zu haben. Das hatte er an ihrem Gesicht gesehen, das wieder die Gesichtszüge angenommen hatte von dieser nachdenklichen Marinette, wie damals auf dem Balkon, als sie so wehmütig ins Nichts geschaut hatte. So hatte sie sogar verweilt, als das Stück schon längst fertig war. Als hätte ich sie hypnotisiert. Adrien kicherte. Doch plötzlich fiel ihm ein, dass er die ganze Zeit nichts anderes tat. Die Zeit vergessen, obwohl ... Das darf doch nicht wahr sein!


"Ladybug wird mich hassen." Wie konnte er sie einfach im Stich gelassen und stattdessen blöd auf dem Klavier herumgeklimpert haben? Wofür war das denn bitte? Plagg zog eine Grimasse. "Und Marinette auch, wenn man bedenkt, dass du ausgerechnet jetzt 'duschen' musst! Fällt dir keine bessere Ausrede ein?" Adrien stöhnte genervt. "Was hätte ich denn anderes machen sollen? Hätte ich gesagt, dass ich aufs Klo muss, hätte sie viel zu früh Verdacht geschöpft. Oder geglaubt, dass ich immer was weiß ich wie lange auf Zeit auf dem Klo brauche. Total peinlich." Plagg nahm den Käse an, den Adrien ihm endlich reichte. "Also grundlos duschen zu müssen finde ich auch nicht viel weniger peinlich! Die denkt sicher, du hättest eine Nicht-perfektes-Aussehen-Phobie und kriegst Störungen, wenn du auch nur ein gaaanz kleines bisschen unsauber bist. Das nenne ich einen wahren Superhelden!" "Du spinnst doch! Bevor du mich noch weiterhin nervst und Ladybug komplett den Verstand meinetwegen verliert: Plagg, verwandle mich!" Plagg konnte noch gerade den letzten Happen in den Mund schmeißen, ehe er wie von einem Strudel in den schwarzwerdenden Ring aufgezogen wurde. Kurz danach verschwand Adrien in Gestalt von Cat Noir durch das Badfenster und begab sich auf den Weg zu Glaciator, so beeilend wie möglich, um Ladybug endlich helfen zu können.


"Cat Noir wird mich hassen." Tikki kicherte. "Ist es nicht das, was du dir wünscht? Dass er endlich aufhört, dir zu sagen, wie sehr er dich liebt?" Marinette verdrehte die Augen. "Dieser Kater ist doch total unfähig ohne mich. Der wurde sicher schon komplett fertiggemacht. Dabei brauch ich doch sicher noch seinen Kataklysmus!" "Hey, du solltest Cat Noir nicht unterschätzen!" Jaja ... Es gab gerade Wichtigeres zu klären. Natürlich, das würde noch mehr Zeit kosten, aber sonst würde sie sich nicht auf den Kampf konzentrieren können. Ihre ganzen Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum, und es ist, als würde jede Sekunde ein neuer dazukommen. "Tikki, ich muss mit dir reden. Zuerst einmal eine Frage: Kannst du mir erklären, warum Adrien ausgerechnet jetzt duschen muss? Wollte er bloß eine Ausrede, um Ruhe von mir haben zu können?" Tikki lachte. Sie war sich ziemlich sicher, was der wahre Grund war. Aber den konnte sie ihr ja nicht sagen. "Unsinn! Na überleg doch mal. Bestimmt hat er nachher noch ein Fotoshooting oder so. Da will er halt nicht schmutzig sein. Außerdem ist das ja für Adrien nichts Neues, an ungewöhnlichen Momenten duschen zu gehen. Erinnerst du dich noch an Simon Says? Da war es doch genau so." Bilder tauchten in ihrem Kopf auf, wie sie an der Tür stand und sich erkundigen wollte, ob Adrien auch wirklich da war. "Kann ich mich noch anziehen?", hatte er gefragt. Und sie, verdammt nochmal, hatte geantwortet: "Sicher. Wenn's sein muss" und dabei gegrinst wie eine Vollidiotin. Das war sie ja offensichtlich auch. "Bitte erinnere mich nicht daaaran", stöhnte sie verzweifelt auf. "Außerdem hast du ja recht. Aber ich hab trotzdem noch tausend andere Fragen." Tikki kniff die Augen lächelnd zusammen. "Muss das jetzt sein? Das arme Kätzchen verzweifelt doch noch!" Marinette geriet langsam echt in Panik. "Das muss ich aber wirklich noch erzählen. Weißt du, vorhin, da hab ich so ein Blatt von Adrien gesehen ... das mit den erfüllten und unerfüllten Wünschen. Und da war ... MEIN - also Ladybugs Name drauf!" Und da fiel es ihr plötzlich ein. "Tikki! Adrien hat seine Tasche hier abgestellt. Ich könnte doch ... ganz schnell, solange er noch duscht, ganz kurz einen Blick darauf ..." Tikki verschränkte die Ärmchen vor der Brust. "Nein, Marinette, das ist Einbruch in die Privatsphäre, das weißt du doch. Außerdem solltest du dich stattdessen, ganz schnell, solange Adrien noch duscht, als Ladybug aus dem Staub machen und die Stadt retten!" Enttäuscht seufzte Marinette auf. Sie hatte recht. Natürlich hatte sie. Aber sie wüsste so gerne Bescheid, was Adriens tiefste Wünsche waren ... vielleicht konnte sie ihm dann ein paar erfüllen, an seinem nächsten Geburtstag oder so. Oder einfach so, und ihm dazu seine Liebe gestehen und ... oder noch besser: Sie würde vermutlich sogar erfahren, mit welchem Mädchen er sich wünscht, zusammenzukommen oder ... Marinette! Beeil dich endlich, was ist denn mit dir los? Du musst die Gelegenheit mit Adriens Dusche nutzen und so schnell wie möglich endlich aus dem Fenster verschwinden!  Alles andere muss halt danach geklärt werden ... "Tikki, verwandle mich!"

Zu hören war nur noch das kurze Berühren der Glasscheibe und das Schwingen des Jojos, das Ladybug ins Weite nach draußen verschwinden ließ.

Ladybug und Cat Noir: Wahre Liebe?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt