Dienstag, 06.07: Ivy
Schlaftrunken rieb ich mir die Augen. Meine Augenlider fühlten sich an, als wären sie aus Beton und klappten mit jedem Versuch, sie zu öffnen, wieder herunter. Dazu brummte mein Kopf fürchterlich.
Auf meinem Schoss lag das Tablet, ausgeschaltet. Vermutlich war der Akku leer. Langsam kamen die Erinnerungen wieder und der Kloß im Hals war wieder da. Sieben Dislikes waren mir nach dem Abendessen angezeigt worden und trotz zwanzig Likes wollte dieses schreckliche Gefühl in mir einfach nicht verschwinden.
Nur fünf neue Follower hatte ich dazugewonnen und ich fühlte mich so leer wie lange nicht mehr. Mühsam rappelte ich mich auf und durchsuchte mein Zimmer nach dem Ladekabel für mein Tablet. Um besser sehen zu können, schob ich mein Rollo ein Stückchen nach oben.
Lächerlich schöne Sonnenstrahlen schienen in mein dunkles Zimmer und tauchten es für einen Moment in ein warmes, so helles Licht, dass man die Staubkörner umhertanzen sah. Endlich hatte ich das Ladekabel gefunden und schloss es an.
Sofort ertönte ein Piepston, so als wäre das Tablet erleichtert, endlich wieder etwas Strom fressen zu können. Ich tippte den Code ein, und mit einem leisen "Ding" öffnete sich der Startbildschirm. Zehn neue Nachrichten zu meinem Videoblog. Mit einem mulmigen Gefühl klickte ich sie an.
Unter meinem letzten Video standen jetzt vier Kommentare. "Du hast gut Reden, gerade mal neuntausend Follower und du laberst schon irgendetwas vom großen Erfolg. Schau dir mal richtige Bloggerinnen an. Die haben Erfolg!"
In mir drin zog sich alles zusammen. War ich etwa keine richtige Bloggerin? Gab es immer noch Dinge, die mich so sehr von anderen unterschieden? Wochenlang hatte ich daran gearbeitet, eine perfekte Bloggerin zu werden. Alles umsonst!
Mit einem Mal kamen mir die Tränen und der grelle Bildschirm verschwamm vor meinen Augen. Die salzige Flüssigkeit lief mir in Bächen das Gesicht herunter und verfing sich in meinen goldenen Haaren- alles umsonst!
Die Haare, die Schminke, nichts davon hatte mir etwas genützt. Insgeheime war ich immer noch die dumme Loserin. Obwohl ich noch leicht verschwommen sah, blickte ich wieder auf den Bildschirm.
"Lass sie doch, du hast ja keine Ahnung. Ich will mal sehen ob du es schaffst, fast zehntausend Follower zu bekommen."
Jemand hatte mich verteidigt, es gab immer noch Fans, die zu mir hielten!
"Danke für die Tipps",
"Du bist die beste Bloggerin der Welt."
Ich schluchzte noch einmal auf und wischte mir eilig die Tränen weg. Von einem fiesen Kommentar durfte ich mich nicht unterkriegen lassen.
Meine virtuellen Freunde standen immer hinter mir! Das durfte ich nicht vergessen! Ein Blick auf die Uhr an meinem Tablet verriet mir, dass es schon Zeit fürs Frühstück war. Eine letzte Träne weinte ich noch, dann stand ich auf. Fest entschlossen, mich davon nicht mehr unterkriegen zu lassen.
Im Esszimmer warteten schon Mama, Papa und Leni auf mich. Mama versuchte gerade, irgendetwas von der Pfanne zu kratzen und Marleen sah ihr leise kichernd dabei zu. "Ivy, guck mal! Mama hat versucht, Pfannkuchen zu machen!", gluckste sie.
"Nicht nur versucht!", stöhnend wendete sie den Pfannkuchen und lies ihn nicht mehr aus den Augen. Neben dem Herd stand bereits ein Teller, auf dem die fertigen Pfannkuchen aufgestapelt lagen. Die meisten von ihnen waren schon von einer schwarzen Kruste überzogen.
Ich musste unwillkürlich grinsen. "Jetzt fang du nicht auch noch damit an.", ermahnte mich Mama streng, dann musterte sie mich etwas genauer. "Hast du geweint Ivy?", wollte sie besorgt wissen, dabei trat sie einen Schritt näher an mich heran. "Nein, wie kommst du denn darauf?", entgegnete ich. Hatte ich meine Tränen etwa nicht gut genug weggewischt?
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Teen FictionVirtuelle Freunde sind toll! Sie loben und bewundern dich, sie sind dir für jede Antwort dankbar und füttern dich mit Selbstbewusstsein. Aber sind sie auch noch da, wenn du gerade mal nicht perfekt gestylt bist? Trösten sie dich, wenn du nicht mehr...