Dieb

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Wilhelm von Norderfeste entließ seinen Sohn schließlich aus ihrer Umarmung und versprach, dass alles so arrangiert werden würde, wie Winfrid es brauchte, um wieder zu Kräften zu kommen.

„Ich bin mir sicher, dass es dafür weniger Godwin und mehr seiner Hexenkünste braucht als deinen frechen Knappen", sagte der Vater schließlich zum Abschied. „Sobald du und er dafür bereit sind, werde ich ihn in den Adelsstand erheben. Eine langweilige Zeremonie, aber notwendig. Niemand wird es dann wagen, an seiner Ausbildung zum Ritter zu zweifeln. Ich teile es ihm sogleich mit und schicke ihn dann zu dir. Gehabe dich wohl."

Froh und glücklich über diese Worte ließ sich Winfrid erleichtert auf sein Lager zurücksinken. Das Gefühl war großartig. Umso unglaublicher kam es ihm nun vor, dass er nie zuvor eine Aussprache mit seinem Vater gesucht hatte. Und nun schien alles so einfach! Der erste Morgen mit Ronan kam ihm in den Sinn, wie beengt ihm plötzlich alles in seinen ritterlichen Kleidern und Waffen vorgekommen war. Diese Last war um so vieles leichter geworden, dass er die Lust verspürte, laut zu jauchzen. Erst lachte er einmal kurz über seinen eigenen Übermut, dann stieß er einen lauten Jubelruf aus.

Ungewöhnlich nur, dass dennoch niemand zur Tür hereinkam. Wo blieb Ronan? Dieser musste doch nicht weniger auf heißen Kohlen gesessen haben als er selbst? Sofort spürte der Ritter, wie sich eine angstvolle Unruhe seiner bemächtigte. Entschlossen erhob er sich und stellte fest, dass er bereits wieder sicheren Tritt hatte. Er wollte gleich zu seinem Liebsten. Kaum durch die Tür, fiel sein Blick sofort auf Godwin, der allein auf dem Gang stand und ihn alarmiert kommen sah.

„Wo ist Ronan?", ging er ihn an.

„Du solltest dich ausruhen", versuchte sein Bruder abzuwehren und ihn zu besänftigen.

„Ich bin ganz ruhig, wenn ich weiß, wo er ist."

Winfrids wilder Blick sagte offenbar genug, sodass Godwin keinen zweiten Versuch unternahm, den Ritter davon abzuhalten, nach dem Burschen zu suchen.

„Er sagte nur, er müsse an die Luft", erzählte der Rothaarige jetzt. „Wilhelm ist schon im Kräutergarten und schaut dort nach. Ich wollte hier sein, falls du mich brauchst."

„Im Garten", wiederholte Winfrid nachdenklich. Dies war wohl die nächstgelegene Möglichkeit, um ins Freie zu gelangen, wenn man nicht auf den geschäftigen Hof oder die Mauern mit den Wachen gehen wollte. Aber es passte nicht zu seinem Liebsten. Er war nicht so ... Dann fiel es dem Blonden wie Schuppen von den Augen.

„Er wird bei Eomer sein ... Ich muss zu ihm."

Als Godwin sich anschickte, mitzukommen, setzte Winfrid noch ein „Allein" hinzu.

„Du bist unverbesserlich ..."

„... wie alle derer von Norderfeste."

Da waren sich die Brüder einig.

Völlig gleich, was er gerade versprochen hatte, Winfrid war angespannt und machte sich so schnell er konnte auf den Weg zu den Stallungen. Er zweifelte nicht, dass es seinen Liebsten dorthin getrieben hätte, denn die Verbindung Ronans zu dem Grauen ließ ihn gewiss dessen Nähe suchen. Dies bedeutete allerdings, dass der Bursche durch das Gebaren des Herzogs höchst verunsichert war und diesen Zustand wollte Winfrid so bald wie möglich beenden. Halb rechnete der Ritter damit, den Jungen völlig aufgelöst zu finden, halb fürchtete er, ihn gar nicht mehr zu finden. Aber so verzweifelt könnte er doch nicht sein? Winfrids Vater hatte freundlich zu ihm gesprochen, bevor er die Lüge seines Sohnes bemerkte. Mit Ronan hatte das doch nichts zu tun ...

Auf dem Weg über den Hof schauten ein paar der Leute, die dort ihre Arbeit verrichteten, zu dem Herzogsohn, als wüssten sie, warum er so eilig unterwegs war. Vielleicht hatten sie zuvor auch schon den auffälligen Lockenkopf gesehen und versuchten sich nun einen Reim auf das Geschehen zu machen. Winfrid ignorierte sie gänzlich und schritt fester als erwartet hinüber zu dem Stall, in dem die fürstlichen Streitrösser untergebracht waren. Vor dem Tor hielt er kurz inne und öffnete es langsam. Ebenso trat er ein. Der Geruch von frischem Stroh und die stille Gegenwart der Tiere beruhigte ihn und so sah er sich um. Tatsächlich stand Eomer an seinem Platz direkt bei einer der Fensterluken, neben dem Palomino- Destrier seines Bruders Wilhelm. Und Ronan war bei ihm. Er hatte die Arme um den Hals des Tieres gelegt und seinen Kopf daran. Die Kleider eines Edelknaben hatte er abgelegt und trug nur seine mittlerweile abgewetzte schwarze Pluderhose. Winfrid bemerkte schon am Anblick des nackten Rückens und an den Zuckungen seiner feinen Muskeln, dass der Bursche schwer atmete oder gar bitterlich weinte, auch wenn kein Laut zu hören war, außer dem sanften Schnauben der Pferde.

Im ersten Impuls wollte der Blonde gleich rufen, dass alles in Ordnung sei und zu ihm stürmen, doch das würde ihn erschrecken. Also kam Winfrid leise und bedächtig näher, bevor er mit sanfter Stimme sprach:

„Deine Tränen fließen ganz umsonst, mein Schöner. Es ist alles so, wie ich es dir versprach. Mein Vater ist ein besserer Mann als du denkst und ich selbst wusste."

Im selben Moment stieß Ronan einen tiefen Seufzer aus. „Er schickt mich nicht fort? Zu diesem Seevolk?", fragte er, ohne sich umzudrehen, so als könne er nicht erfassen, was Winfrid sagte

„Nein, du und ich, wir bleiben zusammen. Du musst nirgendwo hin. Nicht zu einem unbekannten Volk und schon gar nicht zurück. Du gehörst zu mir."

„Ist das wirklich wahr?" Noch zögerlich ließ Ronan die Arme sinken und drehte sich seinem Geliebten zu. Er sah so zerbrechlich aus, wie an dem Morgen, als er voller Blut gewesen war, was Winfrids Herz zusammenzog.

„Natürlich ist es das. Selbst wenn mein Vater zwischen uns stünde, ginge ich mit dir. Aber er tut es nicht. Dich, meinen Retter und Auserwählten, wird er in den Adelsstand erheben. Und er akzeptiert, was ich ihm sagte: Deine Herkunft bleibt allein dein Geheimnis zu hüten oder preiszugeben."

Endlich erhellte sich sein Blick aus verweinten Augen und ein Lächeln breitete sich über Ronans Gesicht. Winfrid schloss ihn liebevoll in seine Arme und spürte, wie der Bursche ein paar tiefe Atemzüge nahm. Währenddessen strich er ihm tröstend über den Rücken und verdrängte seinen eigenen dunklen Gedanken an die Vergangenheit seines Liebsten in Untertal. Viele Dinge dort mussten ihn tief verletzt haben. Und der Schutzwall, den er dort um sich und sein Innerstes errichtet hatte, war nicht unerschütterlich. Auch der blonde Ritter wusste, wie sich so eine Mauer anfühlte, aber die würden sie beide hoffentlich nie wieder brauchen.

Als er sicher war, dass Ronan die Worte verstanden und sich beruhigt hatte, versuchte es Winfrid mit einem kleinen Scherz.

„Was ist? Krieg ich keinen Kuss? Das ist wohl das Mindeste, nachdem du versucht hast, mein Pferd zu stehlen."

Der Bursche hob den Kopf und grinste. Natürlich hatte er das nie vorgehabt. Er wollte sich von dem stolzen Eomer verabschieden. Und Winfrid wusste das natürlich auch.

„Nur zu gern, wenn du mir zeigst wo."

„Freche Pferdediebe küssen mich gewöhnlich hier", neckte der Blonde weiter und deutete auf seine Nase.

Gern stieg Ronan auf das Spielchen ein und leckte einmal darüber.

„Was war das denn?"

„Nicht gut? Warte ..."

Dieses Mal küsste der Bursche seinen Ritter genau auf die Nase. Der runzelte sie sogleich zusammen, lachte und zeigte auf seine Stirn.

„Noch einen, bitte."

Lächelnd und gern gehorchte Ronan, zumindest halbwegs, denn er legte den Kopf etwas zur Seite und küsste den Blonden direkt auf den Mund. Winfrid erwiderte sogleich und fühlte mit seinen Lippen nach denen seines Liebsten, der jedoch lachend und neckend zurückzuckte.

„Mmmrrrh, was denn jetzt?", beschwerte sich der Ritter.

„Na was schon?", reizte der Lockenkopf. „Wir haben nicht ewig Zeit hier im Stall. Du brauchst eine Rasur und ein Bad. Und ich auch."

„Das sehe ich in der Tat auch so."

Die Vorfreude in Winfrids Stimme war nicht zu überhören.


Die Nacht des RittersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt