14 - Herbst

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Die Festlichkeiten zum Einzug des Priesters hatten bereits begonnen. Am Eingang des Tempels brannten zwei Fackeln, die im Wind zitterten. Auf dem grossen Platz vor dem Tempel stachen weitere Leuchten in einem weiten Kreis aus dem Boden. Eine beträchtliche Gruppe hatte sich bereits auf dem Vorplatz versammelt. Die Leute kannten sich, plauderten gelassen und lachten.

Salka stand mit Hjalmar neben der Treppe, die zum Tempel führte. Sie massierte sich mit einer Hand den geschwollenen Bauch. Das Kind hatte sie letzte Nacht nicht schlafen lassen und sie befürchtete, dass sie auch diese Nacht wieder von den kleinen süssen Fusstritten in ihrem Inneren wach gehalten werden würde. Sie konnte es kaum erwarten, den kleinen Kämpfer, mit dem sie ihren Körper teilte, bald kennenzulernen.

Hjalmar berührte ihren Arm und deutete mit der Hand in die Menschenmenge. „Hab ihn gesehen. Dort steht er."

Salka folgte seinem Blick und erkannte ihren Bruder. „Muss er wieder so betrunken sein?", seufzte sie.

„Dem ist dieser Beutezug nicht gut bekommen. Er trinkt sich den Schmerz vom Leib", meinte Hjalmar.

Salka nickte gedankenverloren, ihre Augen noch immer auf ihren Bruder gerichtet. Er und sein bester Freund Loki lagen sich in den Armen, grunzend und grölend. Dann warf sich Loki auf Ruriks Schultern, im Versuch, auf seinen Rücken zu klettern. In dem benebelten Zustand, in welchem sich die beiden offensichtlich befanden, war es unmöglich, das Gleichgewicht lange genug zu halten, sodass Loki stabil auf Ruriks Schultern hätte sitzen können. Sie kippten um und stiessen dabei ein paar genervte Leute zur Seite. Die beiden Männer lachten laut über ihr eigenes betrunkenes Scheitern. 

„Es beginnt", sagte jemand.

Salka löste den Blick von ihrem Bruder. 

Ein Raunen ging durch die Menschenmenge. Die Tür zum Tempel öffnete sich und der Tempelober trat ins flackernde Licht. Er trug ein weisses Leinengewand, welches ihm bis zu den Schienbeinen reichte. Seine nackten Füsse waren mit roter Farbe bemalt und sämtliche Haare waren ihm vom Kopf rasiert worden. Nur die Augenbrauen hatte man stehen lassen. Diese stachen schwarz in seinem bleichen Gesicht hervor. Seine Haut war fast so weiss wie das helle Gewand, welches er trug. Er wirkte gespenstisch. 

Stille kehrte ein, die Versammelten warteten gespannt auf das, was kommen würde. Der Tempelober streckte seine Arme aus und reckte sie dem Nachthimmel entgegen. Die weisse Gestalt leuchtete im Licht der Flammen und liess die Dunkelheit um die Gemeinschaft noch verschlingender wirken. Es herrschte Totenstille. Nur der Wind zerrte an den Gewändern der Menschen und liess den Stoff leise rascheln.

Ein Hornstoss erklang und hallte durch die Nacht. Salka zuckte vor Überraschung zusammen. 

Man schaute um sich, um auszumachen, woher der Ton gekommen war. Da richtete der Tempelober seinen Blick geradeaus und senkte seine Arme. Die Menschenmenge vor ihm öffnete sich, als zwinge sie eine unsichtbare Kraft auseinander.

Aus der Dunkelheit trat eine lange Gestalt.

Im Rhythmus dumpfer Trommelschläge schritt der Hohepriester durch die Passage, gefolgt von neun Dienern, welche in tiefen Tönen eine mystische Melodie summten. Sie trugen kleinen Schalen mit Nahrungsmitteln in ihren Händen und zwei zogen eine Ziege und einen Sklaven an einem Seil nach sich. Der Ziege hatte man einen Blumenkranz um den Nacken gehängt. Der Sklave trug eine Krone aus grünen Zweigen. Sein Blick war leer. Die Melodie klang düster und schwermütig. 

Einige Zuschauer standen auf ihre Zehenspitzen, um einen Blick auf den vorbeiziehenden Hohepriester zu erhaschen, andere waren vor Ehrfurcht erstarrt.

Salka griff nach Hjalmars Hand.

„So aufregend!", flüsterte sie. Sie hatte schon immer einem Priestereinzug beiwohnen wollen. Ihr Herz pochte ganz aufgeregt in ihrer Brust.

PlünderungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt