29. Ablenkung

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Kais Sicht

Zuhause angekommen, schmiss ich mich ins Bett und heulte.

Schlaf ein – dachte ich – schlaf ein!

Doch als ich am Morgen wieder aufwachte, ging es mir immer noch so scheiße.

Ich nehm das Zeug – beschloss ich und ging zum Frühstück. Doch als ich dann mit einem Glas Wasser draußen abgelegen auf einer Bank saß und das Codein hineinschütten wollte, kam Charlie und riss mir die Ampulle aus der Hand.

„Sag mal, spinnst du?"

„Nein. Ich leide, Charlie. Und ich will das Scheißzeug nehmen, um nichts zu spüren!", schrie ich ihn an und versuchte es ihm wegzunehmen.

„Nein, du bekommst es nicht!", weigerte er sich und wich zurück.

„Bitte Charlie...", versuchte ich es weiter.

„Was ist passiert? Weinst du wieder wegen Minato?"

„Ich will nicht drüber reden. Gib mir einfach die Scheißdrogen!", flehte ich Charlie an und versuchte, sie zu erhaschen.

„Nein!"

„Es ist meine Entscheidung.", sagte ich und er hielt sie in die Luft.

Doch auf einmal wurden sie Charlie von jemanden aus der Hand genommen. „Gib ihm sein Zeug zurück.", sagte Hiros Stimme und warf mir die Drogen zu. „Er hat Recht. Es ist seine Entscheidung. Wenn er sie will, soll er sie nehmen. Auch wenn es nie einen Grund gibt, zu Drogen zu greifen."

„Was soll ich denn sonst machen?", heulte ich.

„Ablenkung hilft."

„Ich hab keine Lust, mit irgendjemanden Zeit zu verbringen.", schniefte ich und kauerte mich auf der Bank zusammen. Trübselig schaute ich die Flüssigkeit an und ließ sie vor meinen Augen herum tanzen. „Lass mich allein, Charlie. Du bist mit daran Schuld, dass es mir so verdammt Scheiße geht, Idiot.", scheuchte ich ihn mit verweintem Gesicht weg.

„Kai war dein Name, richtig?", fragte Hiro mich. „Ich weiß zwar nicht, was vorgefallen ist, seit gestern, aber du hattest etwas liegen gelassen.", sagte er und übergab mir mein Portmonee.

„Danke.", schniefte ich und steckte es in die Hosentasche.

„Und was hältst du jetzt davon, wenn wir zusammen den Tag verbringen. Du brauchst das Codein nicht. Ich lenk dich ab. Du hast sicher eine Trennung hinter dir.", redete er und streichelte mir über den Rücken.

Mit zitternder Unterlippe nickte ich.

„Okay, dann gehen wir in den Freizeitpark, Kai. Das lenkt dich ab. Vertrau mir.", lächelte Hiro liebevoll.

Wieder antwortete ich ihm mit einem traurigen Nicken und als ich mich beruhigt hatte, führte er mich nach draußen zum Camp. Dort hatte er ein Moped stehen und gab mir den zweiten Helm, den er unter einen der Sitze verstaut hatte.

„Auf geht's. Und denk nicht mehr daran. Oder möchtest du reden?"

Ich schüttelte den Kopf und schnellte den Helm fest. Dann setzte ich mich hinter Hiro und er sagte: „Halt dich ruhig fest."

Leicht hielt ich mich fest, doch meine Schlinge um seine Körper verengte sich, als er Gas gab. Ich durfte ja schließlich nicht nach hinten runterfallen.

Somit fuhr ich mit Hiro durch die Stadt und ein paar Orte weiter zum Freizeitpark. Bereits als wir in den Ort hineinfuhren, hörte man die laute Musik. Etwas weiter weg parkten wir und Hiro verstaute die Helme. Anschießend liefen wir hinauf zu den Achterbahnen und weiteren Ständen.

„Auf was hast du Lust?", fragte er mich, wie ein guter Freund.

„Ähm...", überlegte ich und vergaß wirklich Minato, für diese Stunden in denen ich hier mit Hiro war.

Die laute Musik übertönten meine Gedanken und da mich Hiro allle zwei Minuten etwas gefragt hatte, hatte ich auch überhaupt keine Zeit darüber nachzudenken.

„Okay, lass uns...", begann ich zu sprechen und sah mich um. „Lass uns Achterbahn fahren!", rief ich und wir stellten uns an der langen Schlange an. Dort standen wir auch für eine lange Zeit, in der Hiro mich mit allem Möglichen löcherte, abgesehen von dem Zeug, was Thema: Liebe oder Beziehung betraf. Aber sonst ging er alles durch. Von meinen Geburtstag über zu meiner Familie bis hin zu den Nahrungsmitteln, die ich nicht mochte. Jedes kleineste Detail hinterfragte er um ein Weiteres. Ich wusste, er tat dies nur zu meiner Ablenkung, aber das machte er hervorragend. Und dabei kannten wir uns seit gestern. Er ging mit mir um, wie mit einem richtig guten Freund, mit dem man schon seit dem Kindergarten spielte. Mit dem man alles erlebte. Mit dem man durch Dick und dünn ging.

Wir lachten sehr viel an dem Tag. Fuhren mit jeder Attraktion mit, machten jedes noch so kleinste Spiel. Vom Schießstand über Loseziehen bis hin zum Entchenangeln. Überall gewannen wir sinnlose, aber dennoch irgendwie witzige Preise.

Zum Mittag holten wir uns ein Baguette und Brezeln und eigentlich alles, was man essen konnte. Wir haben uns durch jede Imbissbude durchgefressen über den ganzen Tag hinweg. Es war herrlich etwas mit ihm zu unternehmen. Mit Hiro zu unternehmen. Und ich konnte mir vorstellen, dass ich mich richtig gut mit ihm anfreunden würde.

Gegen späteren Nachmittag, pustete ich meine gewonnenen Seifenblasen in die Luft und Hiro versuchte sie jedes Mal zu zerplatzen. Wir schossen uns sogar gegenseitig mit den gewonnenen Wasserpistolen ab und verarschten Leute. Wir stellten uns witzige Herausforderungen und fuhren wieder und wieder irgendwo mit. Wir stiegen sogar heimlich auf ein Kinderkarussell drauf. Aber auf ein Fahrendes. Und von wegen nur bis 10! Das ging auch bis 17!

Ich hatte so viel Spaß an dem Tag, wie lang nicht mehr. Hiro tat mir richtig gut. Ich wurde der, der ich einst war, nur in besserer Form. Er brachte mich zum Lachen, zum Späße machen und lenkte mich ab, so wie er es versprochen hatte.

Am Ende des Tages stand ich an einem Mülleimer und warf die Scheißdrogen weg. Hiro hatte Recht. Man braucht sie nicht, wenn man einen guten Freund an der Seite hatte, der einen ablenkte und aufheiterte. Und dafür dankte ich ihm. Ich werde ihn auf ewig für diesen Tag dankbar sein. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Immer noch lachend liefen wir in der Dämmerung über den Rummel und ich sagte, dass ich langsam zurückmüsse, doch als wir im Camp ankamen, zog ich Hiro mit hinunter zum See. „Los komm mit. Das wird spaßig! Das ist hier mein letzter Tag. Morgen Mittag fahren wir schon wieder.", erklärte ich ihm und rannte über den Steg. Am Rand setzte ich zur Arschbombe an und spritzte alles nass.

Lachend rannte Hiro hinterher und sprang neben mich. Ich drückte ihn ein weiteres Mal Unterwasser. Und wieder spaßten wir rum, spritzen uns voll und lachten. Wir brüllten uns die Seele aus dem Leib. Klitschnass kroch ich hinaus und brachte Hiro noch zurück. Dort stand ich ihm immer noch mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht gegenüber und als er seinen Helm aufgeschnallte hatte, drückte ich ihn ganz dolle. „Danke Hiro. Vielen lieben Dank für alles. Und es tut mir leid, dass ich dich Gerstern beim Paintball abknallen wollte."

„Ach schon vergessen Kai. Wir sehen uns bestimmt mal wieder. Halt die Ohren steif. Finger weg von den Drogen und gute Heimreise.", lächelte er und stieg auf sein Gefährt.

Ich winkte ihm noch einmal und sah Hiro anschießend hinterher, wie er die Straße entlangfuhr.

Grinsend hüpfte ich zu meiner Hütte und riss mir im Bad die kalten, nassen Klamotten vom Leib. „Das war toll.", schmunzelte ich und zog mir was Neues an.

Anschießend hing ich das nasse Zeug auf und schmiss mich in mein Bett. Miles schien noch nicht zu schlafen, also sprach ich ihn an. „Hey!", rief ich.

„Jaaaa?", gähnte er.

„Gute Nacht."

„Ja. Nacht.", brummte er und drehte sich um.

❌BEHIND THE FENCE❌ #4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt