1. Alltagstrott

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"Kaylie! Hey Kay warte Mal!"
Ich fuhr herum um nachzusehen, wer da nach mir gerufen hatte. Grundsätzlich hätte ich es mir auch denken können: Der einzige Mensch, der an dieser Schule nach mir rief, war Aaron. Zumindest wenn man von den Lehrern absah.
Mein bester Freund drängte sich durch die Massen an Schülern, die sich im Gang vor den Unterrichtsräumen tummelten und gezwungenermaßen auf das Klingeln der Glocke warteten.
Es war Montag und dementsprechend war auch die Stimmung der Schülerschaft: Lustlos, unmotiviert und müde. Aaron war der Einzige, der breit grinste als er es endlich bis zu mit geschafft hatte.
"Na wie war dein Wochenende?" Er sah richtig gut gelaunt aus.
Ich zuckte die Achseln. "Ganz okay. Ich war eigentlich nur Zuhause und hab gelesen. Bei dir?"
Aaron strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. "Ich war meine Oma besuchen weißt du ja."
Er machte eine Kunstpause und ich nickte. Aaron war an diesem Wochenende zu seiner Großmutter eingeladen gewesen, da sie an seinem Geburtstag vor ein paar Wochen leider nicht gekonnt hatte. Wieso erzählte er mir das?
"Guck Mal was sie mir geschenkt hat. Komisch oder?" Er streckte mir seinen linken Arm hin. "Ich meine... Ich liebe meine Oma aber sowas schenkt man doch nicht seinem Enkel zum 16."
"Hattest du ein Auto erwartet?", fragte ich spöttisch und ich trat einen Schritt näher an ihn heran um zu sehen, was er mir da zeigte.
"Nö aber zumindest ein Motorrad." Aaron grinste und wedelte mit den Arm, um meine Aufmerksamkeit auf sein Geschenk zu lenken. An seinen Handgelenk befand sich ein etwa vier Zentimeter breites, braunes Lederarmband mit einer antik aussehenden Uhr in der Mitte. Neugierig betrachtete ich den bronzenen Zeitmesser mit dem weißen Ziffernblatt, den goldenen Zeigern und schwarzen Ziffern. Das Gehäuse schimmerte metallisch und war mit verschiedenen Ornamenten graviert, die sofort meine Aufmerksamkeit gewannen.
"Ich wusste sie würde dir gefallen.", grinste mein bester Freund und ich lächelte ertappt. Das Interesse für alte Schmuckstücke und Uhren hatte ich von meiner Oma geerbt, die in ihrem Haus jede Menge solcher Stücke hortete. Und obwohl Aarons Großmutter Anna und meine Oma Katharina schon seit ihrer Kindheit befreundet waren und die Leidenschaft für antike Sammlerstücke teilten, hatte Anna ihrem Enkel dieses Hobby nicht vererbt.
Es klingelte zur ersten Stunde und ich riss mich vom Geburtstagsgeschenk meines besten Freundes los. Gemeinsam mit Aaron betrat ich den stickigen Unterrichtsraum und setzte mich an meinen Platz im die erste Doppelstunde des Tages über mich ergehen zu lassen: Englisch. Ausgerechnet.

Acht Stunden später hatten wir es endlich überstanden und spazierten gemeinsam nachhause. Unsere Familien waren seit vier Generationen befreundet und Aaron und ich verbrachten fast unsere gesamte Freizeit zusammen. Wir machten gemeinsam Hausaufgaben, erfanden absurde Geschichten über Paralleluniversen und sehnten uns gemeinsam nach etwas, das uns aus unserem langweiligen Alltag riss. Einmal pro Woche besuchten wir auch gemeinsam unsere Großmütter, die in der selben Siedlung lebten, kauften für sie ein und hörten uns Geschichten über die Vergangenheit an.
"Was machst du jetzt eigentlich wegen deines Geburtstags?" Aaron zupfte ein Blatt von seinem dunkelgrünen T-Shirt.
"Wenn Oma es erlaubt, feier ich bei ihr."
Die grau-grünen Augen meines besten Freundes begannen zu leuchten.
"Das wird ja eine richtige Party Kay!"
Ich lachte ihn aus. "Wieso auch nicht? Meine Eltern sagen man wird nur einmal 16 und auch wenn wir in der Schule nicht gerade die Beliebtesten sind, wird sich niemand von denen eine Party entgehen lassen."
"Ich beanspruche die Rolle als Ehrengast.", stellte Aaron klar.
"Die hast du eh sicher.", lachte ich. "Ich muss nur nochmal Oma fragen."
"Das kannst du ja direkt morgen erledigen.", freute er sich. Da seine Großmutter Aarons Geburtstag mit ihm hatte nachfeiern wollen, war er am Wochenende ausnahmsweise alleine gefahren, was meinen besten Freund aber nicht davon abhielt mich auf meinem wöchentlichen Besuch bei meiner Oma zu begleiten, der gleich morgen anstand.
"Das sollte ich auch. So viel Zeit bleibt bis Samstag nicht mehr." Ich grinste lässig und freute mich auf meinen Geburtstag.
"Wieso feierst du nicht direkt Freitag? Das würde viel mehr Sinn machen."
Aaron runzelte die Stirn.
"Weil ich mit meiner Familie bei Oma reinfeiern wollte. Du bist natürlich auch eingeladen und wenn du Lust hast, kannst du mit mir direkt da bleiben und am Samstag bei den Vorbereitungen helfen."
"Klingt super. Bin dabei.", erwiderte er euphorisch.
"Na dann muss nur noch Oma mitspielen."
"Als würde Katharina etwas dagegen haben, wenn du deinen Geburtstag bei ihrer feierst. Deine Oma ist die coolste." Aaron hielt kurz inne und grinste. "Nach meiner natürlich."
"Darüber zu diskutieren wäre sinnlos Aaron. So ähnlich wie die beiden sich sind, kann gar keine von beiden cooler sein." Wir lachten und ich war richtig gut gelaunt. Ich hatte das Gefühl, dass diese Woche großartig werden würde.

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