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Avyanna Salvatore
Wieso bin ich nochmal Mafia Boss geworden?
Kann ich schnell abtreten? Jetzt sofort, bitte. Ich tue alles, solange ich nicht Mister Ancelotti treffen muss!Mit zusammengepressten Lippen gucke ich aus dem schwarz getönten Fenster der Limousine. Vor mir türmt sich ein mehrstöckiges fünf-Sterne-Restaurant, welches ausschließlich von den steinreichen der Reichen besucht wird. Selbst die Straßenlaternen davor, die zu dieser Stunde warmes Licht verbreiten, sehen edler aus, als um die Ecke.
Das Restaurant hat fünf Stockwerke, weil die Tische drinnen weit auseinander stehen, so dass niemand die Gespräche der anderen belauschen kann. Ohne gute Kontakte und einer frühen Vorbestellung kommt man dort unter keinen Umständen rein. Dafür sorgen die vier muskelbepackten Security Männer am Eingang.Die Idee hierher zu gehen, kam von Mister Ancelotti. Er war es auch, der entschieden hat, dass wir uns erst um zwanzig Uhr treffen. Zu meiner Verwunderung hat er außerdem vorgeschlagen, mich vor meiner Villa abzuholen. Da ich jedoch nicht für einen Herzinfarkt meines Unterbosses Sergio verantwortlich sein möchte, habe ich Ancelottis Angebot abgelehnt... und möglicherweise auch, weil ich so wenig Zeit wie möglich mit Ancelotti verbringen möchte...
Je länger ich das luxuriöse Gebäude anstarre, desto sicherer bin ich mir, dass ich auf der Stelle abhauen sollte.
«Du solltest nun aussteigen, sonst kommst du zu spät», erinnert mich Arthur, der am Lenkrad der Limousine sitzt.
Ich werfe ihm einen tödlichen Blick zu. «Dann komm ich halt zu spät.» Oder vielleicht komm ich auch gar nicht.Arthur schaut mich über den Rückspiegel an. «Sechstes Gebot.» Scheiß Gebot. Wofür braucht man denn bitte ein Gebot, dass einen verpflichtet Termine einzuhalten und pünktlich zu kommen? Die hätten lieber ein Verbot für Menschenhandel in die zehn Gebote für Mafias niederschreiben sollen.
Ich brumme. «Jaja, ich weiß.» Aufstehen tue ich trotzdem nicht. «Kann ich mich nicht entschuldigen, und sagen, dass ich krank bin?» Tatsächlich müsst ich nicht mal lügen. Ich leide unter Bauchkrämpfen, dröhnenden Kopfschmerzen und leichter Übelkeit.
«Dir geht es blendend», erwidert Arthur hartnäckig. «Der Doktor hat dich auf deine Bitte hin heute drei Mal untersucht. Du stresst dich nur zu sehr wegen diesem Termin.»Ich schmolle. «Muss ich wirklich?» Ich will mich nicht mit Ancelotti treffen und mir geht herzlich am Arsch vorbei, dass ich mich gerade kindisch verhalte. Ich will nicht!
«Ja, du musst.»
«Du bist blöd.»
Noch während mein Mund die Worte formt, steigt Arthur aus und öffnet mir meine Tür. Ausdruckslos starrt er mich an. «Und du kommst zu spät.»Am liebsten würde ich meine purpurnen High Heels, die in derselben Farbe wie mein enganliegendes Kleid sind, nach ihm werfen, aber dafür sind sie zu schade. Also zwinge ich meinen Körper dazu, sich zu bewegen und auszusteigen.
Dann streiche ich mir mein schulterfreies Kleid glatt, welches einen tiefen, V-Ausschnitt zeigt und mir bis auf den Boden reicht. Nun überprüfe ich noch, ob meine aufwendige Hochsteckfrisur sitzt, was sie glücklicherweise tut.
Schmuck trage ich keinen, bis auf den Ehering meiner Mutter und kleine Diamantohrringe. Dazu umklammere ich eine purpurne Clutch, in der mein Handy, mein Geldbeutel und ein Messer liegen. Selbstverständlich ist das Messer genauso exklusiv und teuer wie der Rest, der meinem Körper schmückt, und ist sogar am Griff mit kleinen Rubinen besetzt. Ob das übertrieben ist? Pff, nein, natürlich nicht.«Viel Glück», wünscht Arthur mir, bevor ich mein Kleid raufe, an ihm vorbei gehe und zu einem Security Mann laufe.
Die meeresblauen Augen des Security Mannes huschen über meinen Körper und bleiben zu lange an meinen Kurven hängen. In diesem Moment verfluche ich Mayra, die mich gezwungen hat dieses figurbetonte Kleid anzuziehen. Ein Hosenanzug hätte es auch getan.
«Wie ist ihr Name, meine Schönheit?», erkundigt er sich und zwinkert mir frech zu, während ein schiefes, perverses Grinsen seinen Mund umspielt. Erneut gleitet sein Blick über meinen Körper, dieses Mal jedoch langsamer.
Ich unterdrücke ein Schnauben und grinse kokett. «Avyanna Salvatore. Mister Ancelotti hat den Tisch reservieren lassen.» Mein Blick fällt auf sein Namensschild. Lucas Corleone. Gut zu wissen.Als ich meinen und Ancelottis Namen erwähne, flackert Angst in seinen Augen auf. Gut so. Er weiß, wer ich bin. Nun schluckt Lucas Corleone, bereut es sichtlich, meinen Körper bewundert zu haben und mich auf so unprofessionelle Weise angesprochen zu haben. «Oh, ähm, Mister Ancelotti wartet im fünften Stockwerk auf Sie.»
Nicht einmal eine Entschuldigung? Idiot. Provokant lächle ihn an. «Wollen Sie nicht noch meine Tasche kontrollieren, Sir?»
Hilfesuchend blickt er zu einem seiner Kollegen, der ihn jedoch nicht beachtet. Ich wette, dass er noch nicht lange hier arbeitet. Professionalität sieht anders aus. «Nein, Miss, ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Sie dürfen nun eintreten.»Angsthase. Ich hätte liebend gerne sein Gesichtsausdruck gesehen, wenn er das Messer entdeckt. Was er dann wohl gemacht hätte? «Noch einen schönen Abend», lächle ich ihn so unschuldig wie ein kleines Mädchen, ohne böse Hintergedanken, an. «Genießen sie ihn noch, bevor es zu spät es ist.» Denn spätestens morgen ist er arbeitslos.
Die Farbe weicht aus seinem Gesicht, auf dem ganz groß Panik geschrieben steht. Als ich in das luxuriöse Gebäude hinein laufe, spüre ich den entsetzen Blick von ihm in meinem Rücken. Ich grinse.
Seufzend atme ich den köstlichen Geruch von exquisiten Essen ein, und schenke der elfenbeinfarbenen Einrichtung mit den weißen, goldenen und mahagonibraunen Akzenten kaum Beachtung. Zielstrebig gehe ich auf den Aufzug zu, und steige schließlich ein, als er seine Türen öffnet.
Bevor sich die Türen wieder schließen, erhasche ich einen Anblick auf meine Limousine, die noch immer am Straßenrand parkt. Arhur rechnet wohl damit, dass ich panisch hinaus gestürmt komme. Was für ein Vertrauen er in mich hat.Schlecht gelaunt starre ich den Knopf zum fünften Stockwerk an. Für einen Rückzieher ist es zu spät. Leider. Außerdem wäre die Demütigung vor Arthur erniedrigend. Verdammt. Ich muss da jetzt echt hoch, oder?
Ich kann mich nicht noch länger drücken. Mit feuchten Händen drücke ich auf die Taste für das Stockwerk. Und ab geht die Fahrt – die sehr, sehr kurze Fahrt. Ich habe gerade genug Zeit, Mayra zu informieren, dass sie dafür sorgen soll, dass Security Mann Lucas Corleone gefeuert wird.
Bevor ich mich seelisch wappnen kann, Ancelotti privat zu treffen, öffnen sich die Aufzugstüren mit einem Zischen. Ich blinzele mehrmals, um mich an das gedämpfte Licht zu gewöhnen. Irritiert stelle ich fest, dass es in dieser Etage weniger Kronleuchter gibt, als in den anderen. Goldene, dreiarmige Kerzenständer stehen auf jedem der drei Tischen in diesem Raum, der für locker fünfzehn Tische ausgereicht hätte. Schummriges Mondlicht fällt durch die großen Fenster ein, sorgt für eine geheimnisvolle, märchenhafte Stimmung.
Ich runzele meine Stirn, als ich bemerke, dass nur der Tisch, an dem Miguel Ancelotti bereits auf mich wartet, gedeckt ist. Scheint, als hätten Mister Ancelotti und ich ein ganzes Stockwerk für uns allein. Demnach kann er mich ohne Zeugen töten. Wie wunderbar.
Ich atme tief durch, dann schreite ich aus dem Aufzug und stolziere auf den Mafia Boss zu. Plötzlich kommt mir ein Gedanke, der mich erschüttert: Ich wünschte, Leandro würde an dem Tisch auf mich warten. Ich presse meine Zähne aufeinander, versuche diesen lächerlichen Gedanken beiseite zu schieben, was sich aber als schwerer als erwartet herausstellt.
Statt zu hinterfragen, wieso Ancelotti mich treffen wollte und das ausgerechnet hier, frage ich mich lediglich, wie Leandro auf das sexy Kleid, das ich derzeit am Leibe trage, reagieren würde. Oh, verdammt.