55. Kapitel

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~Samu~
Was war das doch für eine Scheiße! Ich konnte nicht einfach zu den Beiden fahren, wie es jetzt eigentlich am Sinnvollsten wäre. So musste ich wohl oder übel den Kleinen mit involvieren und hoffen, über ihn an Sofia ranzukommen, um ihnen irgendwie helfen zu können. „Leevi, ist dein Papa heimgekommen? Oder hat sich Sofia verletzt?“ „Nein. Papa kommt doch erst morgen. Und… ich… ich weiß nicht, ob Aitifia verletzt ist. Ich war doch in meinem Zimmer. Ich hab… gespielt. Samu, vielleicht… bin… ich… schuld?“ inzwischen schluchzte er so heftig, dass ich ihn beinahe nicht verstanden hatte. „Nein Großer, du bist ganz sicher nicht schuld.“ versuchte ich ihn zu beruhigen. Verdammt, warum konnte ich nicht da sein? Es tat mir beinahe körperlich weh, ihn so verzweifelt zu hören und nichts tun zu können. Mir waren die Hände gebunden. „Aber … was… soll ich… jetzt machen?“ „Jetzt beruhige dich erst mal, Leevi. Wir machen das jetzt zusammen.“ Auch ich musste mich zuerst einmal etwas beruhigen, um klar denken zu können … deshalb atmete ich zweimal tief durch und sprach dann weiter. „Du gehst jetzt zur Badezimmertür und versuchst, ob sie offen ist.“ Ich konnte seine tapsenden Schritte hören als er lief. Dann hörte ich ein klackendes Geräusch, offenbar die Türklinke. „Samuuuu, …?“ Er hatte offenbar Angst, dass ich nicht mehr in der Leitung war. „Ja, Leevi. Ich bin noch dran.“

„Die Tür geht nicht auf.“ Ich konnte ihn rütteln hören und gleich darauf mit fast flehender Stimme „Aitifia, bitte … mach die Türe auf!“ Erst tat sich nichts. Ich konnte nur seinen Atem und ein leises Schniefen hören. „Leevi, versuch es noch einmal. Sprich mit Sofia.“ Meine Worte ermutigten ihn noch einmal Sofia zum Öffnen der Tür zu bewegen. Und tatsächlich… kurz darauf konnte ich das Klacken des Schlosses hören und die Türe. „Aitifia…“ es rauschte und raschelte in der Leitung, was fast Sofias Stimme übertönte. „Leevi. Nicht weinen…“ nun war das Schluchzen des Kleinen deutlich zu hören. „…mir geht es gut. Nicht weinen.“ Sie versuchte ihn zu beruhigen, was ihr wohl auch so langsam gelang. Ich musste einen von beiden unbedingt dazu bringen mit mir zu sprechen, deswegen brüllte ich ziemlich laut in mein Handy, in der Hoffnung , dass mich einer der Beiden hören würde. „Leevi, Sofia…“ nichts tat sich. „Sofia, Leevi…“ schrie ich noch einmal. Dann endlich vernahm ich Sofias Stimme „Ist da jemand am Telefon Leevi?“ Wieder war ein Rauschen und Rascheln zu hören, dazwischen nun Leevis Stimme „Ja, Samu ist am Telefon.“ Dann passierte einen kurzen Moment nichts, was ich nutzte, um noch einmal schreiend auf mich aufmerksam zu machen. „Sofia, bitte sprich mit mir.“  Oh man, endlich … zu meiner Erleichterung vernahm ich erst ein Atmen in der Leitung und dann ihre zaghafte Stimme „Samu?“ „Ja, Schmetterling… ich bin hier. Was ist passiert?“

Ich war so froh sie zu hören. doch es war deutlich zu erkennen, dass sie geweint hatte, denn die weiteren Worte erklangen sehr brüchig. „Samu… ich … es… Aiino hat mich angerufen. Er weiß es.“ Ich konnte nicht nachvollziehen, was sie mir sagen wollte. „Sofia, ich verstehe nicht. Was weiß Aiino?“ „..dass Du uns nach Hause gebracht hast … du mich umarmt hast … wir uns treffen.“ Fuck, das durfte nicht wahr sein, woher sollte er es wissen. Er war doch gar nicht vor Ort. Hatte uns etwa jemand gesehen? Das konnte doch nicht sein.

Doch leider bestätigte Sofia meine Vermutung. „Irgendjemand hat es gesehen und ihm berichtet.“ Und dann begann sie zu erzählen. Was für ein Arsch!! Wie konnte er ihr drohen, ihr solche Angst machen und sie so unter Druck setzen?! Kein Wunder, dass mein zartbesaiteter Schmetterling zusammen gebrochen war. Wieder einmal verfluchte ich diese beschissene Situation und die Tatsache, nicht bei ihr sein zu können. Gerade jetzt, wo sie eine starke Schulter brauchte, jemanden der sie stützte und stärkte. Was für eine Sch….!!!

Ich sollte hinfahren und die beiden einfach mitnehmen. Doch so einfach war das leider nicht. Dieser Aasgeier von Vater würde uns hundertprozentig die Polizei auf den Hals hetzen. Nicht wegen des Vertrages, da hätte er keine Chance, und das wusste er sicher selbst… aber wegen Kindesentführung. Und das war definitiv kein Kavaliersdelikt.
Es ist einfach zum Kotzen, wenn einem die Hände gebunden sind und man eine Situation momentan hilflos akzeptieren musste.


~Sofia~
Das Gespräch mit Aiino hatte mich so geschockt, dass ich danach nicht mehr klar denken konnte. Geistesgegenwärtig hatte ich mich noch ins Badezimmer geschleppt, damit Leevi, der in seinem Zimmer spielte, meinen Zusammenbruch nicht mitbekommen würde. Ich sehnte mir so sehr Samu herbei … wollte seine Stimme hören, die mir sagte, dass alles gut werden würde … wünschte mir seine Stärken, beschützenden Arme herbei … doch ich war nicht in der Lage mein Handy zu holen, um ihn anzurufen. Die aufkommende Angst lähmte mich, machte mich hilflos. Und was die Situation noch zusätzlich für mich unerträglich machte, war die Tatsache, dass ich mich entsetzlich für meine Hilflosigkeit schämte. Ich sollte doch stark sein. Schließlich ging es nicht nur um mich, sondern auch um Leevi.

Ich konnte nicht sagen, wie lange ich im Badezimmer an die Wand gelehnt, in mich zusammengesunken gesessen und den Tränen frei Lauf gelassen hatte. Irgendwann holte mich ein Rütteln an der Türe zurück und lies mich auf Leevis Stimme aufmerksam werden. Ich konnte nicht gleich aufstehen, brauchte noch einen kleinen Moment, bis ich in der Lage war, die Tür zu öffnen. Sofort stürzte sich mein kleiner Schatz auf mich und hielt mich fest, bis er mir dann das Telefon in die Hand drückte. Ich war unglaublich froh, Samus Stimme zu hören, was auch ein bisschen der Schwere,  die auf meinem Herzen lastete, nahm. Allerdings fiel es mir erst nicht leicht, das Ganze auszusprechen.

Leider konnte ich es nicht verhindern, dass Leevi unser Gespräch mitbekommen hatte. Ja und was machte mein kleiner tapferer Schatz? Er versuchte mich zu trösten, indem er mich fest in seine kleinen Ärmchen genommen und mir hoch und heilig versprochen hatte, kein Wort über Samu und unsere Treffen, zu seinem Vater zu sagen. Er sollte unser beider Geheimnis vor seinem Vater sein. Auch die Treffen mit seiner Mutter wollte er für sich behalten. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass Aiino nicht auf die Idee kam, seinen Sohn auszufragen, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass Levi dem Druck seines Vaters standhalten könnte. Er war doch noch ein kleiner Junge.

Doch zum Glück war Aiino die nächsten Tage sehr beschäftigt. Er war von morgens bis abends aus dem Haus, wodurch wir ihm glücklicherweise so gut wie nicht begegneten. Nur einmal lief ich ihm noch kurz über den Weg, als ich in der Küche etwas holen wollte. Mit einem süffisanten Lächeln und einem Tonfall, der mir einen kalten Schauer über den Rücken hinab jagte, erinnerte er mich noch einmal an seine Anweisungen und das Einhalten des Vertrages. Als er weg gegangen war, musste ich mich erst einmal kurz fest halten und tief Luft holen. Mit zittrigen Knien setzte ich meinen Weg fort. Erst ein Anruf bei Samu und das Hören seiner Stimme, konnte mich wieder einigermaßen beruhigen.

Den Kontakt zu Samu hielten wir weiterhin aufrecht, allerdings hatte ich bei jedem Telefongespräch etwas Bauchweh. Ich traute Aiino nach seinen Drohungen zu, dass er möglicherweise versuchte, mitzuhören, mein Handy abzuhören. Ich war bedacht darauf, dieses immer bei mir zu tragen, sodass es nirgends herumliegen würde, kein Fremder Zugriff darauf bekommen würde.

Einige Tage später hatte ich eine folgenschwere Begegnung mit der Haushälterin. Als ich ihr in der Küche über den Weg lief, sprach sie mich an. „Na Mädchen… sind sie schon auf der Suche?“ Etwas verwundert, dass sie mich überhaupt angesprochen hatte … was sehr selten, bis gar nicht vorkam … entgegnete ich ihr „Ich habe schon gefunden, was ich gesucht habe.“ und zeigte ihr das Obst für Leevi in meiner Hand. „Nein… das habe ich nicht gemeint.“ erwiderte sie und setzte gleich nach „Suchen sie schon nach einer neuen Anstellung? Wird sicher nicht so einfach werden, etwas zu finden.“  Irritiert sah ich sie an. Wie kam sie denn auf so eine Frage?  „Wieso sollte ich mich nach einer neuen Anstellung umsehen? Ich habe nicht vor zu kündigen.“

Das Grinsen, mit dem sie mir entgegen sah, deutete mir sofort an, dass ich das, was sie gleich sagen würde, nicht hören wollte. „Lange wird der ihnen nicht mehr bleiben, Mädchen. Der Knirps wird bald nicht mehr hier im Hause sein, dann braucht man sie nicht mehr.“ Ihre Worte waren völlig unverständlich für mich. Sie ließen mich vor Schock den Atem anhalten.
Woher wollte sie das wissen? Wie kam sie darauf?

Somebody will find you Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt