Oliver liegt im Bett und starrt die Vorhänge ihres Himmelbetts an.
Sie hat geweint, zwei Mal.
Nachdem Troy mit Matt und Al diskutiert hat, die beide für Oliver Partei ergriffen haben, ist die Hufflepuff direkt in den Schlafsaal geflüchtet.
Matt ist ihr gefolgt, doch auf ihre Bitte hin hat er sie allein gelassen.
Oliver braucht ihre Ruhe.
Sie ärgert sich über sich selbst. Warum hat sie so emotional reagiert? Ihr war schließlich bewusst, dass das Risiko bestehen würde, dass ihr nicht geglaubt wird.
Matts verständnisvolle Reaktion ist eine Ausnahme gewesen und sie kann nicht erwarten, dass ihr alle so offen gegenüber treten.
Warum eigentlich nicht?, denkt sie frustriert. Warum glauben die Leute, sie wüssten besser Bescheid darüber, wer ich bin, als ich?
Beim Abendessen waren zum Glück nur Troy und Marilyn nicht zu überzeugen (wobei Marilyn selbst nichts gesagt, Oliver aber genau so skeptisch angeschaut hatte wie Troy). Mos Reaktion war nach Olivers und Matts Erklärung verständnisvoll gewesen und Al hatte sie ja von Anfang an akzeptiert.
Dennoch will Oliver sich gar nicht erst ausmalen, wie die anderen Jungs aus dem Schlafsaal ihr Outing aufnehmen werden.
Matt und Mo würden sie vermutlich unterstützen (zumindest auf Matt kann sich Oliver zu einhundert Prozent verlassen - bei dem Gedanken fühlt sie sich ein kleines bisschen besser), aber Ezra und Leo...
Sie weiß, dass Leo als Vertauensschüler öfter anderen bei ihren Problemen hilft und als Ansprechperson für die Hufflepuffs dient. Aber so etwas hat er bestimmt noch nicht gehört, überlegt sie.
Wobei - gibt es auf der Schule noch andere Schülerinnen oder Schüler, die Olivers Problem haben?
Finden sich noch mehr nicht in dem ihnen zugeschriebenen Geschlecht wieder?
Ist Oliver damit überhaupt alleine?Eine halbe Stunde später klopft es zögerlich an der Tür zum Schlafsaal.
Oliver ist in ihrem Kopf inzwischen jedes erdenkliche Szenario durchgegangen, wie Leo und Ezra reagieren könnten. Da der schlimmstmögliche Fall bisher ein Duell mit potenzieller Körperverletzung und erheblichem Sachschaden darstellt, ist Oliver noch nervöser als ohnehin schon.
Die Schlafsaaltür öffnet sich und Matt kommt herein. Er schließt die Tür hinter sich und schaut Oliver abwartend an.
"Wie fühlst du dich?", fragt er sie vorsichtig.
Reflexartig will sie abwinken und sagen, dass alles gut ist. Aber Matts Blick ist so aufrichtig, dass sie es sich anders überlegt und ehrlich antwortet: "Nicht so gut. Ich hab Angst vor den Reaktionen der anderen."
Matt nickt. "Wenn du es heute lieber doch nicht machen willst, machen wir es nicht."
"Das ist ja aber auch keine Lösung", seufzt Oliver. "Ich glaube nicht, dass ich irgendwann anders mehr bereit dazu bin."
"Dann heute?"
"Ja. Heute."
"Okay, soll ich die anderen holen?" Matts Hand liegt schon auf dem Türgriff, als sich Oliver schlagartig aufrichtet.
"Jetzt?!"
Matt hält inne. "Na ja, es ist um Acht. Die anderen würden eh früher oder später kommen, oder?"
Oliver blinzelt überrumpelt. "Ja...", gibt sie dann zu. "Ja, du hast Recht. Okay, warte kurz."
Die Hufflepuff windet sich aus ihrer Bettdecke und steht auf. Sie streicht ihr Hemd glatt und nickt Matt dann unsicher zu.
Dieser schenkt ihr ein aufmunternes Lächeln und verschwindet nach draußen.Im nächsten Moment - für Oliver fühlt es sich an, wie nur Sekunden später - öffnet sich die Tür erneut und Matt kommt herein, gefolgt von Mo, der ihr zunickt, was wohl ein Solidaritätsbekundnis darstellen soll, und Ezra und Leo, die erwartungsvollen schauen.
"So", beginnt Matt und stellt sich neben Oliver, "Oliver will euch etwas sagen - Mo weiß es schon - und es wär cool, wenn ihr sie nicht unterbrecht."
"Du meinst 'ihn'", antwortet Leo.
Oliver schüttelt den Kopf. Sie setzt zum Sprechen an, bekommt aber keinen Ton heraus.
Panik steigt in ihr auf. Sie versucht, sie beiseite zu schieben und räuspert sich.
"Ehm. Ja. Ich... ich bin kein Junge."
Leo und Ezra schauen sie verständnislos an.
"Ich meine... ich fühle mich nicht wie ein Junge." Oliver spricht hastig, aus Angst, dass die beiden ihr nicht weiter zuhören werden, wenn sie zu lange braucht. "Also natürlich heißt das, dass ich keine Junge bin.
Ich... fühle mich dem nicht zugehörig. Oder halt - Ich fühle - ich bin..."
Oliver bricht ab und versucht, ihre Gedanken neu zu ordnen.
"Ich bin kein Junge. Es fühlt sich nicht richtig an, in diesem Schlafsaal zu sein und euch das nicht zu sagen."
Mo nickt und antwortet: "Ja. Danke, dass du -"
"Warte, warte, warte!", unterbricht ihn Leo. "Natürlich bist du ein Junge!" Er wendet sich Matt und Mo zu. "Soll das ein Witz sein?"
"Nein, soll es nicht!", antwortet Matt scharf.
"Aber wir wissen doch, dass er ein Junge ist!" Leo schaut wieder zu Oliver. "Was soll das?"
"Ich..." Oliver fehlen die Worte. Leos Reaktion ist heftiger, als alle anderen zuvor.
"Das ist doch bestimmt nur so ein Trick um in den Mädchenschlafsaal zu kommen!", fährt Leo fort, der Olivers Schweigen wohl als Bestätigung genommen hat und sich jetzt in Rage redet. "Ganz ehrlich, das ist so daneben! Einfach nur übergriffig und sexistisch. Außerdem kommst du damit eh nicht durch, also was soll das?"
Wütend blickt Leo sie an, doch Oliver kann nur fassunglos zurück schauen.
Wie kommt Leo nur auf Idee, sie könnte das nur machen, um zu spannern?
Natürlich schaut Oliver gern Mädchen an. Aber sie sexualisiert sie doch nicht, im Gegenteil.
Sie ist neidisch auf die Körper ihrer Klassenkameradinnen, auf deren Hände und Beine, auf deren Taille. Sie wünscht sich lange, glänzende Haare und schlanke Finger.
Sie würde sich gern so elegant bewegen wie Lynn und wünscht sich, dass man nicht die Adern an ihrem Unterarm sieht, wenn sie zaubert.
Aber bis eben war ihr nicht einmal wirklich bewusst, dass die Alternative zum Schlafsaal der Jungs ja natürlich der der Mädchen wäre.
"Das... das ist nicht meine Absicht!", antwortet sie Leo und lacht ungläubig. "Ich - Die Mädchen sind mir doch egal, ich will doch nur selbst... Du hast das falsch verstanden!"
Doch Leo hört ihr gar nicht zu. Er geht zur Tür des Schlafsaals und dreht sich dort angekommen zu den anderen vieren um.
"Ich weiß nicht, was das für ein dummer Scherz sein soll, aber er ist nicht lustig. Und ich verstehe nicht, wie ihr ihn anscheinend damit nich bekräftigt!", sagt er kalt zu Matt und Mo, bevor er den Raum verlässt.
Die Tür schlägt hinter ihm zu und im Raum hängt die Stille wie eine dunkke Gewitterwolke.
Oliver hat Tränen in den Augen und Leos Worte hallen in ihrem Kopf nach.
"Wir wissen doch, dass er ein Junge ist!"
Das wars. Oliver kann nicht mehr.
Sie hat zu viel geweint in den letzten Tagen.
Sich zu viele Gedanken über mögliche Outings gemacht.
Zu viel Hoffnung gehabt.
Und was kam dabei heraus?
Drei ihrer Freunde glauben ihr nicht.
Verstehen sie nicht.
Glauben, dass sie lügt.
Sie kann nicht mehr.
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OLIVE.R.
FanficOliver Barnes fünftes Schuljahr in Hogwarts läuft eigentlich ganz okay. Gute Noten, Mitglied in der Quidditchmannschaft der Hufflepuffs und Matt, der beste Freund, den man sich wünschen kann. Aber es gibt ein Problem. Oliver ist kein Junge. ~~~~~~~...