»Plätzchen«
Als Jimin an diesem Abend wieder in seiner Wohnung ankam, dachte er noch immer über die Worte seiner Gäste nach. Und auch über seine eigenen. Er wollte wirklich, dass mehr Menschen wieder lernten das Leben zu schätzen. Und zwar auf emotionaler Ebene und nicht in materiellen Werten. Er wollte, dass man wieder lieben konnte und dass es vollkommen normal war, wenn man einem Fremden half. Er wünschte sich, dass er jeden Winter auf einen Weihnachtsmarkt gehen und dort mit Menschen sprechen konnte, die er vorher nie gesehen hatte.
Unruhig lief Jimin in seiner kleinen Wohnung vor der Couch auf und ab. Taehyung war nach der Show sofort zu sich nach Hause gegangen. Ihm war plötzlich eingefallen, dass er seit achtzehn Tagen seine Pflanzen nicht mehr gegossen hatte. Jimin wunderte sich nicht mehr, warum er überhaupt echte Pflanzen besaß. Viel mehr fragte er sich, wo er selbst welche herbekam.
Der junge Moderator einer unbekannten Talkshow stand vor seiner Fensterfront und beobachtete den rasenden Verkehr unter ihm. Zur Ruhe kommen, hatte Kim Junmyeon gesagt. Aber wie sollte das gehen, wenn andere um einen herum immer weiter rannten?
Jimin seufzte. Er ließ sich auf seine Couch fallen und drehte sich weg vom Fenster. Stattdessen fiel sein Blick auf seine weiße Wohnungstür. Wäre die nicht zugefallen vor achtzehn Tagen, würde Jimin wahrscheinlich immer noch denken, Weihnachten wäre nur wegen der drei freien Tage brauchbar. Wäre sie nicht zugefallen...
Ob seine Nachbarn wirklich ein herkömmliches Türschloss besaßen?
Jimin runzelte die Stirn. Er hatte sowieso nichts zu tun. Er sollte einfach bei ihnen vorbeigehen. Vielleicht saßen sie ja auf dem Dach und würden ihn gar nicht bemerken. Schwungvoll erhob er sich also von seiner Couch und stand kurz darauf nun doch unentschlossen vor der Wohnungstür seiner Nachbarn.
Keine Frage, es war ganz sicher Namjoons und Yoongis Wohnung. Das Türschloss sah aus, als hätten sie extra eine Zeitreise in die Vergangenheit vor eintausend Jahren gemacht, um es zu besorgen. Sollte er anklopfen? Klingeln? Wollte er überhaupt zu ihnen?
Egal, ob er nun wirklich wollte oder nicht, Jimin würde sie besuchen. Denn gerade erst hatte er gelernt, wie wichtig es war, neue Menschen kennen zu lernen. Also nickte Jimin sich selbst bekräftigend zu und klopfte dann zaghaft an die Tür.
Nur einen Moment später hörte er Schritte und schon wurde die Tür geöffnet. Yoongi stand mit müdem Blick vor ihm, der sich aber in ein süßes Lächeln verwandelte, als er Jimin sah. Es war ein Wunder, dass er ihn überhaupt erkannte. Auf dem Dach damals war er nicht wirklich ganz bei sich gewesen.
"N'Abend, Nachbar. Schön, dass du dich traust zu uns zu kommen."
Jimins Wangen verfärbten sich rosarot. Er hatte sich in den letzten achtzehn Tagen mehr verändert, als man denken mochte. Yoongi machte einen Schritt zur Seite und ließ Jimin eintreten. Der dunkelhaarige Hippie ging vor durch einen kurzen, engen Korridor und rief dabei schon von Weitem: "Namjoon-ah! Wir haben Besuch!"Namjoon stand mitten in der kleinen, vollgestellten Küche vor einem hölzernen Tisch, der von Mehl und Teig verklebt war. Ebenso wie der Mann, der mit einem breiten Grinsen Plätzchen ausstach. Aus einem Radio, das Jimin als das vom Dach identifizieren konnte, erklangen fröhliche Weihnachtslieder, die Namjoon lautstark und vor allem schief mitsang.
"Tag auch, wir haben dich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen", unterbrach er kurzzeitig seine kleine Show, um ihren Gast zu begrüßen. Jimin nickte zögerlich, während er sich mit großen Augen weiter umsah.
"Taehyung hat mich mit zum Einkaufen geschleppt. Das war eine äußerst merkwürdige Reise, wenn ich es mir jetzt recht überlege."Namjoon und Yoongi lachten leise. Sie schienen heute nichts geraucht zu haben. Jedenfalls waren ihre Blicke klar und man konnte sich mit ihnen ganz normal unterhalten.
"Wenn du schon mal hier bist, willst du vielleicht mit uns Plätzchen backen?", schlug Yoongi vor.
"Ja und du kannst uns auch gerne was von eurer Reise erzählen. Uns gehen langsam nämlich die Weihnachtsgeschichten aus."Ein strahlendes Lächeln erhellte Jimins Gesicht. Er hatte noch nie Plätzchen gebacken, aber es sah nach einer Menge Spaß aus. Und außerdem begann er seine Nachbarn zu mögen.
Schon nach kurzer Zeit war Jimin ebenfalls über und über mit Mehl bedeckt. In der Küche breitete sich der süßliche Geruch der Kekse aus und der junge Moderator beendete endlich seine Erzählung mit den Worten: "Und deshalb glaube ich, dass ich mir diese Weihnachten gar nichts wünsche. Angesichts der Freude, die ich die letzten Tage allein wegen Weihnachten gesehen habe, sind die Geschenke, die ich bisher bekommen habe, so ziemlich ohne Wert."
Seine Nachbarn hatten ihm gebannt gelauscht, ab und zu gelacht oder ihn für wenige Fragen unterbrochen. Jetzt lehnte Namjoon sich an den alten Küchentisch und verschränkte nachdenklich seine Arme. Schließlich nickte er. "Wir haben eure Talkshow heute gesehen. Wir schauen sie immer. Dieser Sender gehört zu den einzigen drei, die wir mit unserem Fernseher empfangen können." Er grinste. Dann wurde sein Gesicht wieder ernst und er fuhr fort: "Das, was dieser Psychologe gesagt hat, ist genau das, was wir auch denken. Aber wir leben eben auch so und führen nicht nur große Reden."
Jimin klopfte sich die Hände ab und setzte sich dann auf den Fliesenboden vor den hundertjährigen Backofen. Er sah den Plätzchen dabei zu, wie sie langsam dunkler wurden und fragte dann: "Was wünscht ihr euch zu Weihnachten?"
"Nichts besonderes", sagte Yoongi. "Wir feiern immer zu zweit, weil niemand was mit uns zu tun haben will. Und wenn wir ehrlich sind, sind die meisten es sowieso nicht wert, dass wir etwas mit ihnen zu tun haben wollten."
"Wir schenken uns gegenseitig Kleinigkeiten", ging Namjoon dazwischen, bevor Yoongi noch den Rest der Menschheit beleidigen konnte.Jimin nickte. "Ihr könnt doch zu uns kommen, wenn ihr wollt. Wir wollen auf dem Dach von Taehyungs Gebäudekomplex, gleich gegenüber, feiern."
Nach kurzem Überlegen fügte er hinzu: "Eigentlich wollten wir auch den Baum dort oben schmücken. Aber wir haben keinen Baumschmuck.""Habt ihr nicht?" Erstaunt blickten Namjoon und Yoongi ihn an.
"Hey, Yoongi. Wir haben doch noch die Kiste irgendwo rumstehen. Die mit dem Baumschmuck, der jedes Jahr übrig bleibt."
"Richtig, weil du immer so eine Krüppeltanne besorgst", grummelte Yoongi.Jimin sah seinen Nachbarn belustigt bei ihrer Streiterei zu, als Yoongi sich an ihn wandte.
"Komm mit. Die Kiste ist im Wohnzimmer."Als sie zusammen den angrenzenden Raum betraten, hüllte Jimin plötzlich eine wohlige Wärme ein. Den Großteil des Zimmers besetzte ein Kamin, in dem die Flammen züngelten und damit reichlich die gesamte Wohnung aufheizten.
In dem Wohnzimmer roch es außerdem nach etwas, das Jimin nicht ganz einordnen konnte. Allerdings glaubte er, dass der Geruch von einem der hölzernen Männlein kam, die nebeneinander auf dem Kaminsims standen und vor sich hin räucherten."Was ist das?", fragte er Yoongi, der damit beschäftigt war einen großen Karton unter einem Stapel Decken und Kissen hervorzuziehen. Er drehte sich fragend um und lächelte, als er erkannte, was Jimin meinte.
"Das sind Räuchermännchen. Du kannst sie aufmachen und Räucherkerzen reinstellen. Wenn du die anzündest, rauchen sie und verbreiten diesen Geruch. Das gehört zu einem typischen Weihnachten dazu."Jimin nickte. Er würde sich auch so einen besorgen, wenn er einen fand. Typisches Weihachten klang nach etwas, das er ab sofort jedes Jahr gern haben wollte.
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-Joiy
Ich habe ein Jin Fanart gezeichnet, weil einige von euch gerne eins von ihm in dem Winterpelz haben wollten:
Und danke für die 500 Reads 💜
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All I want for Christmas... | Adventskalender
FanfictionIn einer Welt, in der es pünktlich zum ersten Dezember schneit und Weihnachten jedes Jahr genauso läuft, wie es sollte, wünscht sich Park Jimin nichts weiter als... Ja, als was denn? Er hat eine Menge Wünsche. Eben genauso, wie es sich für einen Men...